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Jeremy Seewer (Yamaha): Der Schweizer redet Klartext

Von Adam Wheeler
Mit dem GP-Sieg in Villars-sous-Écot fuhr sich Jeremy Seewer (Yamaha) aus der Krise. Der MXGP-Pilot aus Bülach in der Schweiz blickt im Gespräch mit SPEEDWEEK.com zurück und stellt sich auch schwierigen Fragen.

Es dauerte bis zum siebten Rennwochenende der Motocross-WM 2023, bis Jeremy Seewer befreit lächeln konnte. Der Monster Energy Yamaha-Fahrer wurde bei den ersten Grand Prix schwer gebeutelt und lag vor Villars-sous-Écot nur auf dem achten Rang der Gesamtwertung.

Aber das lag nicht immer am 28-Jährigen selbst: Seewer wurde beim MXGP-Auftakt in Argentinien im Qualifying-Rennen in die Luft geschleudert und spürte die Auswirkungen noch zwei Wochen später auf Sardinien und stürzte erneut; auch bei seinem Heim-GP in Frauenfeld musste der Yamaha-Pilot teils ohne eigene Schuld mehrfach zu Boden. Seewer zeigte in Italien, Portugal und Spaniern aber Holeshots und Sieg-Potenzial, bis er am vergangenen Wochenende in Frankreich den GP-Sieg abräumte.

Jeremy, wie liefen die ersten MXGP-Events aus deiner Sicht?

Die ersten zwei, drei, vier Runden waren eine Katastrophe. Es begann in Argentinien mit diesem heftigen Abflug und hörte nie wirklich auf. Ich war immer auf einem guten Niveau, aber auf dem Papier lief es nicht gut. Das erste Rennen war einfach Pech, weil ich in Argentinien sehr zuversichtlich war. Man startet die Saison nicht, um zu gewinnen; es macht keinen Sinn, weil du dich damit zu sehr unter Druck gesetzt hast, aber ich wollte ein schönes Wochenende.

Dann ist etwas Großes passiert, das viel vom Selbstvertrauen geraubt hat. Du versuchst es abzuschütteln, aber es sitzt in deinem Kopf und es wollte nicht verschwinden. Ich bin auf Sardinien großartig gefahren, aber wegen dem, was passiert ist, war ich einfach müde.

Argentinien war ein paar Wochen lang mental hart. Vor Frauenfeld dachte ich, ich hätte mich erholt. Ich war schnell, aber wir konnten keine Starts hinlegen. Unsere Starts gingen schief, da wir mit dem neuen Motorrad auf dieser Art von Boden nicht so viel Erfahrung hatten. Die Schweiz und Arco waren tiefer, zerklüfteter und klebriger Boden, und wir kamen nicht weg. Es ging nicht nur mir so, den anderen im Team ging es genauso. Der Zusammenstoß mit Calvin [Vlaanderen, in der Schweiz] hat viel Kraft gekostet. Auf diesem Niveau – wenn nur ein paar Prozent fehlen, ist es sehr schwierig. In Arco war ich nicht derselbe, aber in Portugal hatte ich das Gefühl, dass es wieder aufwärts ging.

Sind das einfach nur die Umstände?

Drei- oder viermal war ich zur falschen Zeit am falschen Ort. Wir wissen, dass es sich schnell ändern kann. Es ist schwierig, sich über eine lange Saison hinweg aus Ärger herauszuhalten.

Wie seine Kollegen muss sich Jeremy in diesem Jahr auch an das neue Rennformat anpassen, bei dem für das Qualifikationsrennen am Samstag WM-Punkte vergeben werden. Die MXGP 2023 kommt so auf insgesamt 57 Rennstarts!
Wirft das aktuelle Format Fragen zur Sicherheit im MXGP auf?

Die Strecken und Dinge wie die Helme, sollen für eine Art Sicherheit sorgen, aber es kommt auch darauf an, wo wir fahren, was wir fahren und welches Programm wir am Wochenende haben. Das hat auch viel mit Sicherheit zu tun. Der Veranstalter versucht, den Sport zu fördern und so viel wie möglich in diese Richtung zu tun, und das ist auch ok. Die Fans würden uns wahrscheinlich gerne an 40 Wochenenden Rennen fahren sehen, weil sie echte Fans sind. Sie lieben es und das verstehe ich. Aber irgendwann wird es zu viel und ich habe das Gefühl, dass es im Moment am Limit ist. Eine meiner Stärken besteht darin, dies über eine Saison hinweg ausgleichen zu können, aber es wird immer anspruchsvoller für den Körper.

Viele Fahrer beschweren sich nicht, denn das ist reine Zeit- und Energieverschwendung. Ich mache es auch nicht. Während der Pandemie haben wir drei GPs in einer Woche absolviert, und das fühlte sich weniger anstrengend an, als jetzt zwei GP-Wochenenden hintereinander. Ein GP dauert drei Tage und manchmal haben wir noch Arbeit auf der Teststrecke.

Gehst du aufgrund der Punkte jetzt mit einer anderen Mentalität an das Samstagsrennen?

Ich denke, es ist automatisch anders. Früher warst du Dritter oder Vierter und wenn jemand vor dir war, will man natürlich vorbei – aber man musste es nicht. Ein fünfter Platz reichte meist aus. Wenn heute noch zwei Runden zu fahren sind und man die Chance hat, einen Gegner zu überholen, denkt man an den weiteren Punkt, den man dafür bekommen würde und riskiert mehr. Das ist normal.

Die Sache ist die: Wenn man das über die gesamte Saison betrachtet, hat man vielleicht 19 bis 20 Punkte verloren. Am Ende der Saison denkt man aber vielleicht, dass man die paar Punkte gar nicht gebraucht hat. Trotzdem möchte man aber möglichst viele einfahren.

Siehst du den Samstag als Chance oder fährst du mit angezogener Handbremse?

Es hängt von der Situation ab. Wenn man am Samstag null Punkte erzielt, am Sonntag aber den GP mit 50 Punkten gewinnt, dann denke ich, dass man das Wochenende zufrieden abgehakt, auch wenn man 6, 7, 8, 9 oder 10 Punkte zurückgelassen hat. Ich habe am Samstag [in Spanien] Punkte verloren und bin mir sicher, dass das auch anderen passieren wird. Über die Saison wird sich das ausgleichen, denke ich. Für die guten Starter ist das auf jeden Fall ein Vorteil.

Fühlt es sich jetzt eher so an, als hätte jeder GP drei Rennen? Vorher waren es zwei und dann ging es nur noch um die Qualifikation.

Ich würde nicht sagen, dass es intensiver ist, weil wir vorher auch nicht langsam gefahren sind. Aber es fühlt sich jetzt eher wie ein echter Lauf an und nicht nur wie ein Qualifikationsrennen. Am Samstagmorgen wachte man immer auf und hatte das Gefühl, die Arbeit würde einem Spaß machen, kein Druck und man würde in Schwung kommen. Der Sonntag stand ganz im Zeichen der Punkte, der Samstag galt der Vorbereitung und dem Vergnügen. Jetzt, im Zeittraining, denkst du bereits mehr über das Qualifikationsrennen nach, weil du eine gute Startposition haben willst und … nun, ich würde sagen, es ist tatsächlich intensiver!

Wenn das Samstagsrennen so wichtig ist, warum dann nicht volle Punkte vergeben?

Schwierige Frage. Mehr Punkte wären wieder ein anderes Level. Mehr Punkte und drei Rennen würden die Sache noch spannender machen. Sie wollen das Qualifikationsrennen am Samstag für die Fans, und wenn sie das für notwendig halten, dann ist das in Ordnung. Aber ich glaube aus vielen Gründen nicht, dass die Punkte für die Meisterschaft notwendig sind. Man sollte besser nicht zu viel darüber nachdenken.

Es scheint generell so zu sein, dass von Motorsportlern in Top-Serien mit mehr Rennen und höheren Anforderungen immer mehr abverlangt wird?

Ja. Supercross ist nur ein eintägiges Programm, aber der Kalender ist immer noch sehr hart. Schaut man sich speziell diese Serie an und all die Verletzungen, die sich erst in den vergangenen Wochen ereignet haben: Ich glaube, das ist auf die Erschöpfung zurückzuführen. Das ist meine Meinung. Wie können sie 14 Rennen absolvieren und in Ordnung sein, und dann sind vier der größten Stars verletzt? Natürlich kann es jederzeit zu Verletzungen kommen, aber die Serie neigte sich dem Ende zu und sie sind müde, versuchen aber immer noch, Druck zu machen. Tomac ist nicht einmal gestürzt, sondern hat sich die Achillessehne gerissen, und das passiert normalerweise bei Überanstrengung. Wenn es weniger Rennen und etwas mehr Erholungszeit gäbe, sähe es vielleicht anders aus.

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