Über Robert Kubica
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Manchmal werden in der Formel 1 Märchen wahr: Der Krakauer Robert Kubica wurde 2019 nach einer Pause von mehr als acht Jahren wieder zum Grand-Prix-Piloten – als Williams-Fahrer rollte er beim Grossen Preis von Australien 2019 an den Start, nach 3046 Tagen Pause. So enorm ist der Abstand vom Sonntag des Grossen Preises von Abu Dhabi 2010 und dem Formel-1-WM-Auftakt 2019 in Melbourne.2010 ging Kubica mit Rang 5 auf der Insel Yas in die Winterpause, fuhr im Testwinter 2010/2011 Spitzenzeiten, für 2012 besass er einen Ferrari-Vertrag. Fernando Alonso hält ihn noch heute für den begabtesten all seiner Gegner.
Dann brach für den Polen die Welt zusammen. Bei einer Rallye im Februar 2011 zog er sich schwerste Armverletzungen zu. Jahre hat es gedauert, bis Kubica seinen rechten Arm wieder so brauchen konnte, dass ein Einsatz im GP-Renner überhaupt möglich ist. Ein Test in Valencia im Sommer 2017 zeigte – das alte Feuer lodert noch.
Der Pole durfte für Renault in Le Castellet einen 2012er Lotus-Renault testen. Darauf folgte auf dem Hungaroring ein zweiter Test, dieses Mal im 2017er Renner. Letztlich entschied sich Renault weniger gegen Robert Kubica als vielmehr dafür, den glücklosen Jolyon Palmer auf die Schnelle durch Carlos Sainz zu ersetzen.
Kubica erhielt eine weitere Chance: Er rückte zunächst mit einem 2014er Auto von Williams aus, dann in Abu Dhabi mit einem 2017er Boliden. In Arabien konnte der Russe Sergey Sirotkin die Techniker von sich überzeugen; die Mitgift seiner russischen Sponsoren dürfte bei der Entscheidung der Team-Leitung keine geringe Rolle gespielt haben. Kubica erhielt für 2018 ebenfalls einen Vertrag – aber nur als Reservist, Freitagsfahrer und Simulations-Pilot.
Robert nahm Mitte Mai 2018 in Barcelona erstmals seit Ende 2010 an einem GP-Wochenende teil, als er am Freitagmorgen den Williams fuhr. Kubica war von der Anteilnahme der Fans immer tief bewegt. Selbst als der WM-Vierte von 2008 jahrelang Operation um Operation erdulden musste und den GP-Pisten fernblieb, waren entlang der Strecken immer wieder Fan-Banner für Kubica zu sehen. Kubica war verschwunden, aber nie vergessen.
Als Robert dann endlich wieder ein Grand-Prix-Auto bewegen konnte, erwarteten die Fans vielleicht zu viel, wie Kubica findet: «Die Leute dachten, dass ich ins Auto steige und der Robert Kubica der Saison 2010 bin. Mit dem 2012er Lotus wäre das in Ungarn vielleicht sogar gegangen. Weil dieses Auto meinem 2010 bewegten Renner noch am nächsten kommt. Aber dann kletterte ich in Ungarn in ein Auto der neuen Turbo-Generation. Ich konnte nichts von meiner Erfahrung übernehmen. Die Fans glaubten an etwas ganz Aussergewöhnliches, das nun auf dem Hungaroring passieren würde. In Wahrheit war ich ein blutiger Anfänger.»
«Vor allem mein Speed auf eine schnelle Runde liess am Anfang zu wünschen übrig, weil ich mit diesen Reifen null Erfahrung hatte. Mein Speed in den Dauerläufen hätte gereicht, um im Ungarn-GP zuvor für Renault in die Punkte zu fahren. Das freie Training im vergangenen Mai für Williams in Spanien war wichtig. Weil Geschichten kursierten, wonach ich in Abu Dhabi eine Sekunde langsamer gewesen war als Sirotkin. Aber das stimmt nicht.»
«Da ich beim Arm eingeschränkt bin, reicht es nicht, das Gleiche zu tun wie andere Fahrer. Ich muss mehr machen. Mehr machen kann ich aber nur, wenn ich häufiger im Wagen sitze. Daher war es für mich vor dem Unterzeichnen des Williams-Vertrags so wichtig festzulegen, dass ich auch zum Fahren komme. Die Leute vergessen oft, dass auch im Motorsport die Übung den Meister macht. Fahren muss so natürlich für dich sein, wie ein Glas Wasser zu trinken.»
Der 6. Februar 2011 veränderte alles.
Robert Kubica erlitt bei der «Ronde di Andora Rallye» in Ligurien lebensbedrohliche Verletzungen. Es dauerte eine Stunde, um ihn aus dem Wagen zu holen. Die erste von insgesamt 18 Operationen dauerte sieben Stunden. «Die Leute reden immer von meinem Arm, weil er mein grösstes Handicap ist. Fakt ist: Ich musste um mein Leben kämpfen», sagt Kubica. «Ich hatte Knochenbrüche auf der ganzen rechten Seite, vom Fuss bis hoch zur Schulter. Die vielen Brüche waren der Grund, wieso ich so lange brauchte, um mich zu erholen. Obschon der Arm am schlimmsten in Mitleidenschaft gezogen wurde.»
«Die ersten beiden Monate waren wirklich schwierig. Ich kann von Glück reden, dass ich Formel-1-Fahrer und damit Athlet bin. Das ist vielleicht der Grund, warum wir den Arm überhaupt retten konnten.»
Eineinhalb Jahre nach dem Unfall sass Kubica wieder in einem Rallye-Auto. «Ich wollte zuerst am Morgen glücklich aufwachen, bevor ich wieder ein Rennfahrer sein wollte. Ich brauchte zwei Jahre, um auf ein halbwegs normales Niveau zu gelangen. Ein Jahr lang hatte ich nur Schmerzen. Meine Leidenschaft für den Sport ging nie verloren, mein Leben hat sich einfach komplett umgekrempelt.»
Im Jahr 2013 sah sich Kubica so weit erholt, dass er im Rennsimulator von Mercedes arbeitete. Damals konnte er aber das rechte Handgelenk nicht genug drehen, die Bewegung kam vielmehr aus dem Ellbogen heraus. Das ging im Rallye-Auto, nicht aber im engen Formel-1-Cockpit. Weitere Operationen folgten.
Ende 2015 begann Kubica, sein Training zu intensivieren. «Damals wog ich zehn oder fünfzehn Kilo mehr als heute.» Kubica probierte systematisch verschiedene Rennfahrzeug aus – Einsitzer, Tourenwagen, Sportwagen. Bei einem Besuch in der Dallara-Fabrik kristallisierte sich heraus, dass Robert genügend Bewegungsfähigkeit zurückerlangt hatte, um wieder an die Formel 1 zu denken.
Der Kontakt zwischen Robert Kubica und einer Kerngruppe von Fachleuten in Enstone (Renault, zwischendurch Lotus) war nie abgerissen. Sie waren es, die einen Test im 2012er Lotus E20-Renault vorschlugen. Kubica bedankte sich in Valencia 2017 mit einer Zeit, die schneller war als jene des damaligen Renault-Reservisten Sergey Sirotkin, ironischerweise später sein Rivalen um den Platz bei Williams.
Robert Kubica sagt: «Der Weg zurück in die Formel 1 war sehr lang, aber die wahre Herausforderung beginnt jetzt. Was fast unmöglich schien, wird nun wahr. Ich bin sehr stolz, dass ich einer von nur 20 Grand-Prix-Fahrern sein werde. Mein Jahr mit Williams war wichtig. Ich habe hinter den Kulissen viel gearbeitet, es gab viel Druck. Ich habe mein Wissen als Formel-1-Fahrer vertieft.»
«Es war nicht leicht. Viele Menschen haben nicht an mich geglaubt. Du bekommst von den Menschen ein Etikett verpasst. Man sagt dir, dass Dinge unmöglich seien. Aber ich denke lieber: Ja, ich kann das! Wieder am Rennlenkrad zu sitzen, war für mich das beste Training.»
Das Märchen Kubica hatte letztlich kein Happy-End: Am Singapur-GP-Wochenende Mitte September 2019 neigte sich ein Formel-1-Märchen dem Ende: Robert Kubica bestätigte am Marina Bay Circuit von Singapur, dass er 2020 nicht in einem Williams-Rennwagen sitzen wird. Für ihn kam mit viel Geld der Kanadier Nicholas Latifi zu Williams.
«Ich suche nach neuen Gelegenheiten 2020», sagte der WM-Vierte von 2008 in der Nacht von Singapur. «Um die in aller Gründlichkeit ausloten zu können, verkünde ich heute – ich habe die Entscheidung getroffen, über diese Saison hinaus mit Williams nicht weitermachen. Ich habe sehr viel Energie darin investiert, in die Formel 1 zurück zu kommen. Klar würde ich gerne bleiben. Aber nicht um jeden Preis. Ich will auch wieder Freude am Rennsport haben. Diese Saison war sehr schwierig.»
Kubica tat sich die ganze Saison über schon schwer bei Williams, die es geschafft haben, das zweite Jahr in Folge das schlechteste Auto zu bauen. Meist hatte Kubica gegen seinen jungen Stallgefährten George Russell das Nachsehen – im Quali-Duell setzte es mit 0:21 Punkten eine krachende Niederlage. Robert konnte nur im Chaos-GP von Hockenheim punkten, als Zehnter. Nur durch den kuriosen Rennverlauf beendete er die WM vor Russell, auf dem zweitletzten Platz.
Kubica war klar, dass Nicholas Latifi für 2020 mit üppig Sponsorgeld vor der Williams-Tür steht, in Abu Dhabi wurde der Kanadier als neuer Stallgefährte von Russell bestätigt.
Das Jahr 2020 begann mit einer Sensation: Robert Kubica kehrte zu jenem Team zurück, das ihn 2006 in die Formel 1 brachte, zu Sauber. Kubica arbeitete 2020 als dritter Mann neben Kimi Räikkönen und Antonio Giovinazzi bei Alfa Romeo-Sauber. Kubica nahm den Adler seines Geldgebers PKN Orlen mit, der polnische Mineralölveredler und Tankstellenbetreiber wurde Co-Titelsponsor des Rennstalls aus dem Zürcher Oberland. Es wurde ein mehrjähriges Abkommen unterzeichnet.
Robert Kubica sagt: «Ich bin sehr happy, dass ich dieses neue Kapitel einer Karriere beginnen kann. Sauber war für mich immer ein ganz besonderes Team, und ich habe mich gefreut, in Hinwil noch viele bekannte Gesichter zu sehen. Die Zeiten haben sich geändert, aber unser Wille zum Erfolg nicht.»
Kubica fuhr beim Vorsaisontest in Barcelona und verblüffte am vierten Tag mit der schnellsten Zeit. Im Laufe der Saison sass der Pole bei den WM-Läufen der Steiermark, von Ungarn, Bahrain und Abu Dhabi im rotweissen Wagen.
2021 gab Kubica aus heiterem Himmel ein GP-Comeback: Kimi Räikkönen war positiv auf Corona getestet worden, Kubica sprang in Zandvoort und Monza ein, in den Niederlanden wurde er 15., in Italien 14. Dazu sass Robert erneut bei drei freien Trainings im Wagen.
2022 das gleiche Bild: Einsätze in den freien Trainings von Spanien, Frankreich, Ungarn und Abu Dhabi. Als einige Fahrer das Hüpfen der Autos der neuen Flügelwagen-Generation monierten, konnte Kubica nur müde lächeln.
«Es ist natürlich einfacher, sich zu beschweren und die FIA unter Druck zu setzen, das Problem anzugehen. Natürlich existiert das Porpoising-Phänomen, und ich sage nicht, dass dies kein Problem ist. Ich bin mir sicher, dass jeder im Fahrerlager bei der Abstimmung oder gar beim Design der Fahrzeuge Kompromisse eingeht, um dieses Problem in den Griff zu bekommen, und das geht auf die Performance. Wenn jemand das ignoriert, weil es einfacher ist, sich zu beschweren, dann versucht derjenige, durch das Argument der Sicherheit Druck auf die FIA auszuüben.»
Kubica stellte auch klar: «Natürlich will keiner Fahrer mit Rückenschmerzen sehen oder Piloten erleben, die Mühe haben, ihre Bremspunkte zu erkennen. Aber wenn das der Fall ist, dann sollte das Team sich auf diese Aspekte konzentrieren, und wahrscheinlich findet man durch das Set-up ein angenehmeres Fahrverhalten. Aber natürlich wollen das die Teams nicht – denn dadurch büssen sie an Performance ein.»
Siege wird Kubica in der Formel 1 keine mehr einfahren, dafür trat er 2020 in der Deutschen Tourenwagen Masters an (ein Podestplatz), wurde Champion in den 2021er European Le Mans Series (LMP2), mit drei Siegen, 2022 wurde er in der LMP2-Klasse der Langstrecken-WM Gesamtfünfter.
Kubica ist Realist: «Ich weiss, dass meine Zeit in der Königsklasse zu Ende geht. Ich will nicht nur wegen meines Partners Orlen im GP-Renner sein, ich will nützlich sein. Aber mir ist klar, dass mir die Leute mit 38 Jahren nicht die Bude einrennen.»
Der Pole weiter: «Meine Zukunft liegt im Langstreckensport mit diesen neuen Hypercars. Da tummeln sich 2024 Toyota, Peugeot, Porsche, Cadillac, Ferrari, Lamborghini und Alpine, wenn alles klappt. Da würde ich gerne dabei sein. Wenn mein Weg nicht in ein Hypercar führen sollte, dann würde ich mich auch in der LMP2 wohlfühlen. Ich habe überdies zwei Rennen in Amerika bestritten, in der IMSA-Serie, die finde ich auch spannend.»
Von Robert Kubica ist noch Einiges zu erwarten.