Über Andy Green
Andrew (Andy) Green studierte Mechanik, nach Abschluss seines Studiums führte ihn sein erster Job in die Formel-1-Sprungbrettklasse Formel 3000 (heute GP2). Der junge Green arbeitete an der Seite von Rennurgestein Gary Anderson. Als Eddie Jordan seinen langjährigen Kumpel Anderson für sein Formel-1-Projekt abwarb, nahm Gary kurzerhand Green mit nach Silverstone, wir stehen anfangs der 90er Jahre.
Nachdem Green eine Weile in der Designabteilung gearbeitet hatte, versuchte er sich als Renningenieur und arbeitete unter anderen mit Rubens Barrichello und Ralf Schumacher.
Als Green ein Angebot von BAR (British American Racing) als Designer erhielt, nahm Green die Offerte, wurde aber entlassen, nachdem die Autos erfolglos blieben. BAR-Designer Adrian Reynard hatte allen Ernstes davon gesprochen, die alte Tradition aufrecht zu erhalten, wonach ein Renner aus seiner Feder gleich das erste Rennen gewinnt. In der Formel 1 herrschte freilich ein anderer Wind. BAR holte um genau zu sein im ersten Jahr keinen einzigen WM-Punkt. Es rollten Köpfe, darunter jener von Andy Green.
Daraufhin gründete Andy Green eine Beraterfirma und arbeitete dabei auch für Jaguar, aus dem Ende 2004 Red Bull Racing wurde. Mitte 2010 wechselte Green zu Force India, wo er zu Beginn der Saison 2011 zum technischen Direktor befördert wurde, nachdem sein Vorgänger Mark Smith zu Lotus abgewandert war.
Andy Green gilt als Meister darin, die beschränkten finanziellen Mittel überaus effizient einzusetzen. Die Force-India-Renner sind seit Jahren ein verlässlicher Wert in der Formel 1, und der Rennstall aus Silverstone konnte sich stetig steigern – vom zehnten WM-Rang 2008, über die Ränge 9 (2009), 7 (2010), 6 (2011), 7 (2012), erneut 6 (2013 und 2014) auf Rang 5 2015 und dann, als bisherigen Krönung, WM-Schlussrang 4 in der Saison 2016. Hut ab vor dieser Truppe.
Force-India-Geschäftsleiter Otmar Szafnauer lobt: «Andy gilt nicht als grosser Name in der Branche, aber er kennt unser Team bis zum letzten Mitarbeiter und bis zur letzten Schraube, er hat einen soliden Hintergrund als Designer und Renningenieur. Er ist der ideale Mann für uns, und ich hoffe, er bleibt noch viele Jahre.»
Green und sein Team wurden auch 2017 Effizienz-Weltmeister: Der Rennstall aus Silverstone wiederholte den hervorragenden vierten WM-Rang.
Das wäre wohl auch 2018 möglich gewesen, aber die finanzielle Lage wurde immer prekärer, weil Mitbesitzer Vijay Mallya kein Geld mehr ins Team steckte und ganz andere Probleme hatte. Im Sommer wurde Force India unter Gläubigerschutz gestellt. Ein Konkursverwalter fand neue Investoren (eine kanadische Gruppe von Geschäftsleuten um Lawrence Stroll), als de facto neues Team durfte Force India weitermachen, unter dem Namen Racing Point und mit der Auflage, dass die Punkte im Konstrukteurs-Pokal verloren sind. Dennoch wurde das Team WM-Siebter, und wenn wir alle Punkte einrechnen (also auch die verlorenen), dann lag der Rennstall auf Augenhöhe mit Renault.
2019 wurde kein einfaches Jahr: Racing Point kam über Rang 7 nicht hinaus. Erst in der zweiten Saisonhälfte kamen regelmässige Top-Ten-Platzierungen, vor allem dank des konstant fahrenden Sergio Pérez.
Andy Green sagt: «Im Laufe der Saison kamen mehr und mehr neue Teile ans Auto, endlich lief der Wagen wie geplant. Die erste Saisonhälfte war von den Vorkommnissen 2018 kompromittiert. Für 2020 können wir in Ruhe arbeiten. Dann wollen wir wieder am vorderen Ende des Mittelfelds mitmischen.»
Das wurde zwar erreicht, denn Racing Point wurde fabelhafter WM-Vierter, aber die Aufregung unter den Gegnern war gross. Für sie war der 2020er Racing Point RP20 nichts Anderes als eine krasse Kopie des Vorjahres-Mercedes.
Green verstand den ganzen Rummel nicht. «Ja, unser Auto ähnelt dem Mercedes in gewissen Bereichen, aber wir finden in der Boxengasse einige Fahrzeuge, welche sich an anderen orientieren. Wir sind da keine Ausnahme. Wir haben im letzten Sommer entschieden – wir müssen etwas radikal Anderes machen. Wir spürten, dass wir mit der Evolution unseres Renners RP19 an Grenzen stossen. Wir stellten uns die Frage: Könnte uns mit einem komplett anderen Konzept vielleicht ein grösserer Schritt nach vorne gelingen?»
«Wir haben nur noch zwei Jahre mit diesem Reglement. Also sind wir bewusst das grosse Risiko eingegangen, etwas Neues zu machen. Wir haben nichts zu verlieren. Hätten wir das Konzept des RP19 fortgesetzt, wären wir in der WM-Wertung stehengeblieben.»
«Gleichzeitig wurde es immer schwieriger, eine Route wie Red Bull Racing einzuschlagen, also mit einem an der Hinterachse recht hochbeinigen Auto, gleichzeitig aber Motor, Getriebe und Aufhängung von Mercedes zu übernehmen, deren Auto eine andere Philosophie verfolgt. Wir fragten uns: Wieso nicht den Weg von Mercedes gehen? Wenn du ein 2019er Mercedes-Getriebe und einen Mercedes-Motor verwendest, dazu einige Aufhängungsteile, dann macht es einfach Sinn, hier noch weiter zu gehen.»
«Die Aufregung um unsere Entscheidung kann ich kaum verstehen. Rennställe haben immer schon Konzepte oder Teile von Anderen übernommen – Flügel, Doppel-Diffusor, angeblasener Diffusor, Kopieren gehört zum Geschäft. Wir machen nichts anders, wir machen nichts Neue, wir machen nichts Illegales. Ich frage mich eher, wieso nicht mehr Teams diesen Weg gehen.»
«Ich weiss nicht, worüber sich die Gegner beschweren. Wir sind innerhalb des Erlaubten, und der Sinn der Formel 1 besteht darin, ein so schnelles Auto als möglich im Rahmen des Reglements zu bauen. Das haben wir getan. Und natürlich orientieren wir uns dabei am besten Auto im Feld. Wenn andere diesen Weg nicht beschreiten wollen, dann ist das ihre Sache. Sie hätten die gleiche Chance gehabt, sie haben es nicht getan.»
«Ich sehe es als Bestätigung unseres Konzepts, wenn sich die Leute über uns beschweren. Das ist für mich ein Zeichen dafür, dass wir etwas richtig gemacht haben. Würden wir am Ende des Feldes fahren, würde es niemanden interessieren.»
«Ich schätze, ein Teil der Kritik ist darauf zurückzuführen, dass Einige einfach keinen guten Job gemacht haben. Wir hatten bislang einfach nicht die Mittel, um einen Konzeptwandel zu vollziehen. Jetzt haben wir sie. Und vor diesem Hintergrund würde ich meinen Aero-Leuten sagen – was habt ihr bis jetzt getan?»
«Ich sehe unsere Chancen so: Wenn wir unser Auto gut verstehen, dann haben wir im hart umkämpften Mittelfeld bessere Karten. Die Arbeit mit diesem Konzept hat uns die Augen geöffnet. Wir haben den Windkanal gewechselt, von Toyota in Köln zu Mercedes. Wir haben den RP19 in beide Kanäle gestellt, die Ergebnisse waren vergleichbar. Also lag ein Abflachen der Entwicklung nicht am Werkzeug Windkanal, sondern an unserem Konzept. Wir dachten: Mit einem frischen Konzept können wir es vielleicht schaffen, einen erheblichen Schritt nach vorne zu machen.»
Die Gegner nahmen das alles so nicht hin: Der Gang einer Renault-Delegation zur Rennleitung hatte während der Saison 2020 schon etwas vom Film «Und ewig grüsst das Murmeltier»: Immer wieder wurden die Franzosen bei den Regelhütern des Autosport-Weltverbands FIA vorstellig, um gegen die Bremsbelüftung des Autos von Racing Point zu protestieren – im Anschluss an die Grossen Preise der Steiermark, von Ungarn und Grossbritannien.
Renault behauptete, dass die Bremsbelüftung des 2020er Racing Point der Lösung am 2019er Mercedes entspreche. Eine solche Kopie wäre verboten. Denn im Reglement ist verankert, dass diese Belüftung vom Rennstall selber entworfen und gebaut werden muss.
Racing Point-Teamchef Otmar Szafnauer gab sich vor der Anhörung am 5. August siegessicher: «Es ist unmöglich, dass unsere Teile illegal sind. Bremsbelüftungen sind überaus komplex, entsprechend lange dauert es, sie zu entwerfen und zu bauen. Wir haben 886 verschiedene Konstruktionszeichnungen unserer Bremsbelüftungen vorzuweisen, um das zu belegen.»
Dann war die Einschätzung der Rennkommissare Gerd Ennser (Deutschland), Dennis Dean (USA), Walter Jobst (Österreich) und Richard Norbury (England) da: Sie geben Renault Recht und büssten Racing Point mit 400.000 Euro und einem Abzug von 15 WM-Punkten (für das Team, die Fahrer behielten ihre Punkte), dies für die Verwendung einer unerlaubt kopierten Bremsbelüftung beim zweiten Rennen auf dem Red Bull Ring. Für die Verwendung auf dem Hungaroring und beim ersten Silverstone-GP gab es fürs gleiche Vergehen eine Verwarnung. Dies ist das destillierte Ergebnis einer 14seitigen (!) Erklärung.
Der Knackpunkt für die Regelhüter: Racing Point hatte 2019 beschlossen, Bremsbelüftungen nach dem Design des 2019er Mercedes W10 zu verwenden, um sie im 2020er Auto zu verbauen. Dabei wurden CAD-Modelle von Mercedes genutzt (computer aided design). Dies war gemäss 2020er Reglement verboten. Die FIA teilte mit: «Hätte Racing Point sich zum betreffenden Zeitpunkt, also im September oder Oktober 2019 darüber erkundigt, ob sie so vorgehen dürfen, hätten die FIA gesagt – nein.»
Ebenfalls wichtig: Hier ist gemäss des Kommissaren-Quartetts eine sportliche Regel gebrochen worden und keine technische – daher gab es für die Pink-Panther keine Disqualifikation. Die FIA-Experten stellten auch fest, dass sie beim Vorgehen von Racing Point keine Absicht feststellen konnten, die Regeln zu brechen. Die Kooperation des Rennstalls in diesem Fall wurde gewürdigt.
Als 2021 aus Racing Point dann Aston Martin wurde, war die grösste Umstellung für Andy Green nicht die Farbe des Rennwagens: Der erfahrene Ingenieur übernahm einen übergeordneten, neuen Job als technischer Gesamtleiter, mit Freiräumen für Green, um sich mehr um die mittel- bis langfristige Strategie des Rennstalls zu kümmern. Dazu holte Aston Martin den langjährigen Red Bull Racing-Aerodynamiker Dan Fallows als neuen Technikchef.
Andy Green sah dem Schritt zu den neuen Flügelautos 2022 mit gemischten Gefühlen entgegen. «Wir spüren diese merkwürdige Mischung aus Zuversicht und Besorgnis. Zuversicht, weil wir wissen, wie viel Hirnschmalz in unserem neuen Rennwagen steckt. Und Besorgnis, weil wir null Ahnung haben, wo wir gemessen an den Gegnern stehen. Und ganz ehrlich – natürlich stellst du dir als Techniker immer die bange Frage, ob du nicht vielleicht einen Aspekt übersehen hast.»
«So etwas wie die Entwicklung dieses Autos habe ich noch nie erlebt. Wenn ich es mit einem Wort zusammenfassen müsste, so würde ich sagen – nervenzerfetzend.»
«Die Umstellung des Reglements zu Bodeneffekt-Autos ist beispiellos in der Geschichte der Formel 1. Wir haben noch nie so viel gearbeitet. Und nun bringen die ganzen Teams die ersten Ausführungen ihrer Rennwagen auf die Bahn, wobei keiner die Antworten auf die vielen Fragen hat, die sich uns stellen. Ich glaube, dass wir bei allen Rennställen eine enorme Entwicklung ihrer Renner erleben werden. Das neue Reglement ist auch für uns Techniker eine aufregende Sache und bietet grosse Chancen, aber es zerrt wirklich an den Nerven.»
Aston Martin war am 11. Februar das erste Team, das einen 2022er Wagen auf die Testbahn brachte. Andy Green: «Es war unser Ziel, das Auto so früh als möglich ausprobieren zu können. Denn es geht nicht nur darum, die Aero-Simulationen eines Autos auf der Rennstrecke zu bestätigen. Wir müssen auch möglich früh etwas über das Verhalten des Autos auf den neuen Rädern und Reifen lernen.»
Im Laufe der Saison zeigte sich: Die Gegner hatten die Hausaufgaben besser gemacht. Der Schritt zu den neuen Wing-Cars wurde für Aston Martin nicht zur erhofften Abkürzung. Die Grünen entwickelten intensiv und machten im Laufe des Jahres Fortschritte, aber mehr als WM-Rang 7 war am Ende nicht drin, knapp hinter Alfa Romeo. Sebastian Vettel erkannte zu wenig Perspektiven und gab im Juli bekannt, dass er auf Ende Saison seine Formel-1-Karriere beendet. Für ihn kommt Fernando Alonso.
Unruhe auch in der Chef-Etage: Otmar Szafnauer wechselte zu Alpine, weil die Chemie mit Lawrence Stroll nicht mehr stimmte, Nachfolger von Szafnauer als Aston Martin-Teamchef wurde der Luxemburger Mike Krack.
Andy Green weiss: Fans und Fachleute erwarten 2023 von Aston Martin mehr.