Über Andreas Seidl
Das war ein fetter Fang für McLaren-CEO Zak Brown: Der englische Traditionsrennstall angelte sich Anfang 2019 Andreas Seidl. Als der US-Amerikaner Zak Brown bei McLaren vom Direktor zum McLaren-CEO befördert wurde, hatte er immer gesagt: Früher oder später werde es einen Geschäftsleiter für das Formel-1-Team geben. Den hat der Kalifornier nun mit Andreas Seidl gefunden. Der Passauer war höchst erfolgreicher Teamchef des Porsche-Langstreckenprogramms – drei WM-Titel 2015, 2016 und 2017, in der gleichen Phase auch drei Le-Mans-Sieg in Folge.
Saisonauftakt 2014, der Teamchef hatte den Start zum allerersten Rennen mit dem Porsche 919 Hybrid vor sich: «Ein kleiner Schritt für die Menschheit, aber ein grosser Schritt für Porsche – wir haben zwei LMP1 in der Startaufstellung.» Auf den Schultern von Andreas Seidl lastete damals viel, sein trockener Humor wirkte wie ein erfrischendes Ventil.
Als Teamchef war der Oberbayer, geboren am 6. Januar 1976 in Passau, eine Art Zehnkämpfer. Als perfektionistischer Ingenieur verantwortete er den technischen Einsatz der Fahrzeuge, als Rennleiter die organisatorische Abwicklung eines WM-Laufes. Für den LMP1-Fahrerkader war er quasi der Bundestrainer, den Bereich Business Relations leitete er als Manager und Repräsentant, als Chefstratege traf er zusammen mit den Renningenieuren die akuten Entscheidungen. Er liebte die interdisziplinäre Herausforderung, den ultimativen Härtetest und das gnadenlose Feedback. Der Prüfstand war immer öffentlich. Das galt besonders für Le Mans. Dort mit einem Rennteam, das er von Anfang an geprägt hatte, um den Gesamtsieg zu kämpfen, das nannte Seidl einen Lebenstraum.
Seidl ist bei seinem neuen Job für alle Aspekte des Formel-1-Rennstalls McLaren zuständig, wir könnten ihn ruhig auch Teamchef nennen, und wird im Laufe der Saison 2019 zum Team stossen. Für Seidl ist die Formel 1 eine Rückkehr: Von 2000 bis 2006 arbeitete er bei BMW Motorsport, dann als Einsatzleiter für BMW-Sauber, dies bis 2009. Als sich BMW von Sauber trennte, stellte Seidl die Weichen für die DTM-Rückkehr von BMW, 2012 konnte mit Bruno Spengler der Titel gefeiert werden.
Mit Porsche hätte der Weg über den Langstreckensport zurück in die Formel 1 führen sollen. Weil aber die Formel-1-Mächtigen nicht dazu bereit sind, ein neues Motorenreglement einzuführen, hat sich das Interesse von Porsche abgekühlt. Ende 2017, als sich Porsche aus der LMP1-Klasse des Langstreckensports verabschiedete, baute der Mechanik-Ingenieur Seidl für die Zuffenhausener ein Formel-E-Team auf.
McLaren-CEO Zak Brown: «Wir sind sehr glücklich, dass wir Andreas für uns gewinnen konnten. Erstens ist das ein wichtiger Schritt dabei, uns personell zu verstärken. Zweitens braucht das Formel-1-Programm eine erfahrene Hand, um Freiräume für künftige Rennaktivitäten von McLaren zu schaffen. Wir halten Andreas für eine überaus fähige Führungspersönlichkeit, seine Erfolgsbilanz sagt alles.»
Andreas Seidl meint: «Es ist ein enormes Privileg, für McLaren arbeiten zu können, es ist auch eine Herausforderung, für die ich mich bereit fühle. Ich fand die Aufgabe unwiderstehlich, an der McLaren-Geschichte mitschreiben zu dürfen. McLaren hat die Erfahrung und die Weitsicht, um an die Spitze zurückzukehren, das ist meine Mission. Ich kann es nicht erwarten, die Arbeit aufzunehmen.»
Strategische Planung in Wenn-dann-Szenarien, das ist Seidls Credo. An Zufall oder Pech mag er nicht glauben. Ob Zeitplan oder Boxenstopp – alles wird durchdekliniert. Ihm bleibt kein Bereich verborgen, kein Detail ist klein genug, um nicht auf etwaige Performance-Relevanz untersucht zu werden.
Mit Seidl ging es für McLaren bergauf: vierter Schlussrang 2019, dann sogar Platz 3 im Konstrukteurs-Pokal 2020, erneuter vierter Platz 2021 (samt des ersten Sieges von McLaren seit 2012, mit Daniel Ricciardo vor Lando Norris in Monza), fünfter Platz 2022.
McLaren-CEO Zak Brown im November 2019: «Wir hatten bei McLaren zu viele Chefs in der Küche. Da passierte in der Firma sehr viel und auch zwischen den Teilhabern. Es gab gleichzeitig einen Mangel an Führung, aber inzwischen ist die ganze Struktur viel klarer, und einer hat das Sagen, und das ist Andreas. Er macht einen exzellenten Job.»
«Gewiss, Andreas baute nicht das 2019er Auto, das wurde ja schon aufgegleist, bevor er zu uns gekommen ist. Aber er dank seiner klaren Art und seinen Führungsqualitäten wurde unser Team entschlackt, die Leute wissen nun viel genauer, was ihre Aufgaben sind. Seidl hat dabei Technikchef James Key und den leitenden Ingenieur Andrea Stella eng eingebunden.»
«Andreas hat aus dem Rennstall die Politik entfernt. Denn wenn keine klare Führung da ist, dann kann alles sehr schnell sehr politisch werden. So langsam fallen die Puzzle-Teilchen ans richtige Ort. Wir mussten endlich aus dieser Negativ-Spirale ausbrechen.»
Seidl Anfang 2021: «Ich spüre viel positive Energie spürbar. Wir dürfen aber nicht vergessen, wie hart der Kampf im vergangenen Jahr war, und wir haben den grössten Respekt vor unseren Gegnern, gegen die wir 2020 gekämpft haben. Wir legten uns mit Werksteams an, die eine sehr viel modernere Infrastruktur haben. Wir können also optimistisch in die Saison starten, gleichzeitig müssen wir aber angesichts unserer Möglichkeiten realistisch bleiben.»
«Wir brauchen einfach noch mehr Zeit, um unsere Pläne für die Rückkehr an die Spitze ganz umzusetzen. Es wird etwa zwei Jahre dauern, bis diese erkennbar sind. Bis dann sind wir eingeschränkt.»
Gut ist: Seidl führte die Infrastruktur von McLaren in die Moderne, mit Entscheidungen, die auf Jahre hinaus wirkungsvoll sein werden, etwa in Form des Baus eines neuen Windkanals. Und Seidl hatte mitgeholfen, die Weichen des jungen Oscar Piastri zu McLaren zu stellen, der von Mark Webber beraten wird, einem alten Seidl-Kumpel aus gemeinsamen Porsche-Tagen.
Weniger gut ist: Das Ziel, den Top-Teams mehr auf die Nerven zu gehen, wurde zu wenig oft erreicht, und gerade beim Schritt in die neue Flügelwagen-Epoche Anfang 2022, von Vielen im Mittelfeld als Abkürzung zum Erfolg gewittert, war McLaren letztlich enttäuschend.
Unfassbare 3213 Tage lang musste McLaren seit Brasilien 2012 auf einen neuen GP-Sieg warten, dann war es endlich passiert: Der Australier Daniel Ricciardo gewann in Monza 2021 sensationell vor seinem Stallgefährten Lando Norris. Teamchef Andreas Seidl ist überglücklich: «Ich kann unserer ganzen Mannschaft nur gratulieren, in Monza ist uns etwas ganz Besonderes gelungen. Wir hatten geahnt, dass wir ein Auto haben, dass schnell genug ist, um einen Fahrer aufs Siegerpodest zu bringen. Aber wer hätte von einem Doppelsieg zu träumen gewagt?»
«Verdammt lang her seit dem letzten Sieg 2012. Für solche Momente leben wir. Und dabei waren wir noch vor einer Woche am Boden zerstört, als wir in den Niederlanden unsere Autos nur auf den Rängen 10 und 11 ins Ziel brachten und einfach nicht schnell genug waren. Unglaublich! Wir wissen, dass der Weg noch lang ist, um regelmässig ein Wörtchen um Siege mitreden zu können, aber dies ist ist der beste Moral-Turbo, den man sich vorstellen kann.»
Viele bei McLaren glaubten – mit Seidl wird McLaren eines Tages wieder regelmässig um Siege und Titel mitreden. Aber dann, im Dezember 2022, der Paukenschlag: Der Vertrag von Seidl und McLaren, ausgelegt bis auf Ende 2025, wurde vorzeitig aufgelöst.
McLaren-CEO Zak Brown: «Andreas war mir gegenüber sehr offen. Er hat mir gesagt, dass er gerne neuer Geschäftsleiter von Sauber werden will, in dieser Übergangsphase, bevor 2026 Audi kommt. Also haben wir ihn ziehen lassen.»
Andreas Seidl sagt: «Ich freue mich auf meine neue Aufgabe. Sauber ist das viertälteste Formel-1-Team, und ich habe meine Zeit damals mit BMW-Sauber sehr genossen.»
Natürlich erfolgt die Ernennung von Andreas Seidl zum CEO der Sauber-Gruppe in Einklang mit dem kommenden Partner. Oliver Hoffmann, Vorstand für Technische Entwicklung der Audi AG: «Wir begrüssen die Wahl unseres zukünftigen Partners. Andreas Seidl hat eine breite Führungserfahrung aus verschiedenen Motorsportprogrammen auf Hersteller- und Formel-1-Teamseite ‒ eine beeindruckende Bilanz im Motorsport.»
Von 2000 bis 2006 arbeitete Andreas Seidl bei BMW Motorsport, dann als Einsatzleiter für BMW-Sauber, dies bis 2009. Als sich BMW von Sauber trennte, stellte Seidl die Weichen für die DTM-Rückkehr von BMW, 2012 konnte mit Bruno Spengler der Titel gefeiert werden.
Mit Porsche hätte der Weg über den Langstreckensport zurück in die Formel 1 führen sollen. Weil aber die Formel-1-Mächtigen nicht dazu bereit sind, ein neues Motorenreglement einzuführen, kühlte sich damals das Interesse von Porsche ab. Ende 2017, als sich Porsche aus der LMP1-Klasse des Langstreckensports verabschiedete, baute der Mechanik-Ingenieur Seidl für die Zuffenhausener ein Formel-E-Team auf. Dann kam der Anruf von McLaren.
Nun ist Seidl in die Schweiz zurückgekehrt: «Es war schön, in Hinwil viele bekannte Gesichter wiederzusehen.»