Über Sebastian Vettel
Sebastian Vettels Karriere begann im Alter von nicht ganz vier Jahren, als er von seinem Vater Norbert ein Kart geschenkt bekam. Als Sebastian sieben Jahre alt war, reiste er mit der ganzen Familie im Wohnmobil erstmals zu Wettkämpfen und erzielte bald unzählige Erfolge. Er machte früh klar, dass hier das Potenzial schlummert, ein ganz Grosser im Autorennsport zu werden.
Im Jahr 2003 bestritt Vettel seine ersten Formel-Rennen und bewies, dass er nicht nur mit einem Kart schnell unterwegs sein kann. Vettel beschloss eine Profilaufbahn einzuschlagen, und so wurde fortan für Fitnesstraining und das Erlernen der Technik seines Fahrzeuges viel Zeit investiert.
Nach dem Gewinn der Formel-BMW-Meisterschaft im Jahre 2004 mit 18 von 20 Siegen sicherte sich das neue deutsche Supertalent den Einstieg in die nächsthöhere Klasse, der Formel-3-Euroserie.
Zwei Jahre in der Formel 3 Euroserie folgten. 2005 gewann Vettel die Rookie-Meisterschaft und wechselte von Mücke Motorsport zu ASM. Er übernahm das Steuer des Meisterschaftssiegers Lewis Hamilton, der in die Formel 1 wechselte. In diesem Jahr (2006) machte Sebastian seine ersten intensiveren Formel-1-Erfahrungen als Testfahrer für BMW-Sauber. Mit Bestzeiten in freien Freitagtrainings liess er aufhorchen. Die Gegner glaubten: Das ist nur mit kaum Sprit und weichen Reifen möglich. Sie sollten sich täuschen. Ausserdem startete er als Gastfahrer in den Renault World Series und konnte gleich bei seinem ersten Einsatz gewinnen.
Das richtige Formel-1-Debüt folgte 2007: Als Ersatz von BMW-Sauber-Fahrer Robert Kubica (der nach einem schweren Unfall in Kanada einmal aussetzen musste) holte Seb in Indianapolis auf Anhieb seinen ersten WM-Punkt. Nachdem Kubica wieder in sein Auto zurückgekehrt war, musste Vettel nicht lange auf eine neue Chance warten – als Nachfolger des überforderten Scott Speed fuhr er ab Ungarn 2007 für Toro Rosso. Im Dauerregen von Fuji (Japan) mischte Vettel ganz vorne mit, bevor er in einer Safety-Car-Phase Red Bull Racing-Pilot Mark Webber von der Bahn räumte – beide waren von einem Manöver von Lewis Hamilton irritiert, der urplötzlich verlangsamt hatte.
Das Junior-Team von Red-Bull-Chef Dietrich Mateschitz behielt Vettel für 2008. Er legte eine sensationelle Saison hin. Pole-Position und Sieg beim Regenrennen in Monza waren der Höhepunkt der Saison, Vettel sicherte sich gleich mehrere Rekorde an diesem Wochenende: Jüngster Fahrer, der eine Pole-Position herausfuhr, und jüngster Grand-Prix-Sieger. Weiteres Highlight war für Vettel vermutlich das Überholmanöver gegen den späteren Weltmeister Lewis Hamilton beim Brasilien-GP. Die Gesamtwertung schloss der junge Deutsche mit 35 WM-Punkten auf Platz 8 ab. Damit lag er vor seinem Teamkollegen Sébastian Bourdais und vor allem auch vor den Kollegen aus dem Red Bull Racing-Team, Mark Webber und David Coulthard.
Red Bull tat das einzig Logische: Sebastian Vettel wurde zu RBR geholt. Zu Beginn der Saison 2009 hatte Vettel mit zahlreichen technischen Defekten zu kämpfen. Wieder auf nasser Bahn eroberte er in Shanghai Pole und den ersten Sieg von Red Bull Racing, Mark Webber komplettiert mit Rang 2 den Triumph. Zur Saisonmitte war der technische Rückstand auf das WM-führende Team um Ross Brawn aufgeholt. Vettel kämpfte bis zum vorletzten Rennen um den WM-Titel. Die Punkte, die er am Anfang auf Grund der Ausfälle liegengelassen hatte, fehlten jedoch am Ende. Vettel musste sich hinter dem Briten Jenson Button anstellen.
2010 blieb Sebastian Vettel bei den roten Bullen. Ziel war der WM-Titel. Vettel dominierte die Saison, wurde aber erneut des öfteren durch technische Defekte eingebremst, was ihn mehr als 60 WM-Punkte kostete. Dadurch kam es zum Saisonende zu einem der spannendsten Finalrennen der Formel-1-Geschichte. Gleich vier Fahrer (Vettel, Stallgefährte Mark Webber, Ferrari-Pilot Fernando Alonso und McLaren-Pilot Lewis Hamilton) hatten Chancen auf den WM-Titel. Während Alonso mit 15 Punkten Vorsprung auf Vettel zum Saisonfinale nach Abu Dhabi reiste, lag der Deutsche hinter seinem Teamkollegen Webber nur auf Rang 3 und konnte nicht aus eigener Kraft Weltmeister werden. Vettel lieferte im Rennen einen Start-Ziel-Sieg ab und setzte sich doch noch durch gegen Webber, der ein schwaches Wochenende hatte, und Alonso, dessen Ferrari-Team das Rennen falsch interpretierte. Mit 23 Jahren, vier Monaten und 11 Tagen wurde Sebastian Vettel der jüngste Formel-1-Weltmeister der Geschichte.
In den folgenden Jahren dominierte Vettel: 2011 stand er 17 Mal auf dem Podium, davon 11 Mal als Sieger, er startete in 15 von 19 Rennen von der Pole-Position und führte die WM-Wertung vom ersten bis zum letzten Rennen der Saison an. Von den ersten acht Rennen gewann er sieben und feierte auch seinen ersten Triumph beim prestigeträchtigen Grand Prix von Monaco. Bereits in Japan, vier Rennen vor Saisonende, reichte Vettel ein dritter Platz zur vorzeitigen Titelverteidigung. Mit 24 Jahren und 98 Tagen löste der Red-Bull-Pilot Fernando Alonso als jüngsten Doppelweltmeister ab.
2012 machten es Sebastian Vettel und Red Bull Racing etwas spannender. Beim Auftaktrennen in Australien stand Vettel als Zweiter auf dem Podium, kam nach einer Kollision mit Narain Karthikeyan in Malaysia aber nur als Elfter ins Ziel und auch in China reichte es nur zu Rang 5. Erst in Bahrain stand er zum ersten Mal in dem Jahr auf der Pole Position und auch als Sieger ganz oben auf dem Podium und übernahm die Führung in der Fahrerwertung. In Valencia führte Vettel von der Pole-Position aus das Rennen an, eine defekte Lichtmaschine – ein Malheur, das sich in Monza wiederholte – sorgte aber für den ersten Ausfall des Jahres. Vom Grand Prix von Singapur bis Indien siegte Sebastian Vettel vier Mal hintereinander. In Abu Dhabi blieb der Red Bull Racing nach dem Qualifying in der Auslaufrunde mit trockenem Tank stehen und wurde aus der Wertung genommen. Nach einem Start aus der Boxengasse und einem zusätzlichen Stopp wegen eines kaputten Frontflügels wurde Sebastian Vettel am Ende Dritter. Seinen 100. Grand Prix in Austin beendete Vettel als Zweiter hinter Lewis Hamilton.
Vor dem letzten Saisonrennen in Brasilien hatte Sebastian Vettel 13 Punkte Vorsprung auf Fernando Alonso. Nach einem Dreher in der ersten Runde hetzte er als Letzter dem Feld hinterher und wurde schließlich Sechster. Fernando Alonso war Zweiter, verlor den Titel aber mit 278 zu 281 Punkten an den Deutschen. Der dritte Titel in Folge machte Sebastian Vettel zum jüngsten Dreifachweltmeister.
2013 wurde das Jahr des Sebastian Vettel. Mit 14 Saisonsiegen machte der Deutsche seinen vierten WM-Titel in Folge perfekt. In der Gesamtwertung hatte er auf den Zweiten, Ferrari-Star Fernando Alonso, stattliche 155 Punkte Vorsprung.
Sebastian Vettel lebt seit 2008 mit seiner Freundin Hanna in der Schweiz, derzeit auf einem Bauernhof im Thurgau unweit des Bodensees.
Anfangs Oktober 2014 teilte Sebastian Vettel dem Red Bull Racing-Team mit, dass er 2015 nicht mehr für sie fahren werde. Der Heppenheimer erfüllte sich einen Bubentraum – Ferrari. Der Tapetwechsel fiel ihm leicht: In der WM 2014 wurde er von Daniel Ricciardo entzaubert. Nur vier Podestränge und WM-Rang 5, das war für den vierfachen Champion eine Enttäuschung. Zumal der Australier im ersten Jahr der neuen Turbo-Ära drei Mal gewinnen konnte.
Der Wechsel zu Ferrari elektrisierte Rennstall und Fahrer: Die Italiener setzten sich als Nummer 2 hinter den übermächtigen Mercedes-Benz fest, Vettel konnte in Malaysia, Ungarn und Singapur siegen, seine dreizehn Podestränge in der ersten Saison für Ferrari sind unerreicht.
Das von Ferrari-Präsident vollmundig angekündigte Saisonziel 2016 wurde jedoch verpasst: Vettel konnte kein Rennen gewinnen, Ferrari fiel in der WM hinter Red Bull Racing zurück, und der Heppenheimer wirkte mindestens am Funk oft gereizt. Sebastian wurde WM-Vierter.
Ferrari legte im Winter tüchtig zu und hatte vom ersten Rennen 2017 an ein Siegerauto. Vettel gewann in Australien, Bahrain und Monaco und hatte nach dem Rennklassiker im Fürstentum einen Vorsprung von 25 Punkten. Nach der Sommerpause jedoch war sein Titelrivale Lewis Hamilton fast nicht zu schlagen – fünf Siege in sechs Rennen. Ferrari verlor die Titelchancen wegen Vettels dummem Rammstoss gegen Hamilton in Baku, wegen der Startkollision mit Räikkönen und Verstappen in Singapur, wegen einer defekten Zündkerze in Japan. Am Ende wurde der Heppenheimer WM-Zweiter.
Vettel verlängerte seinen Ferrari-Vertrag im Sommer um drei Jahre bis Ende 2020.
Die Saison 2018 war beinahe ein Abziehbild von 2017: Erneut startete Vettel stark, mit Siegen in Australien und Bahrain. In Baku versemmelte er den Sieg mit einem missglückten Angriff auf Leader Bottas. Nach Rang 2 in Monaco und einem weiteren Sieg in Kanada schienen Seb und Ferrari auf Titelkurs zu segeln. Aber dann passierten drei Dinge gleichzeitig, welche letztlich wieder nur WM-Schlussrang 2 ergaben. Vettel machte zu viele Fehler: Kollision mit Bottas in Frankreich, als Leader in Hockenheim von der Bahn gerutscht, Kollision mit Hamilton in Monza, mit Verstappen in Japan, mit Ricciardo in Texas. Gleichzeitig entwickelte Mercedes effizienter als Ferrari. Und die Italiener setzten nicht so konsequent auf die Karte Vettel wie Mercedes und Toto Wolff das mit Hamilton taten.
Michael Schumacher brauchte damals fünf Jahre, um endlich den ersten Titel in Rot einzufahren. 2019 war die fünfte Saison von Vettel für Ferrari. Viele Tifosi sahen das als gutes Omen. Aber erneut wurden sie enttäuscht.
Eines der stärksten Bilder der Saison 2019: Wie Sebastian Vettel nach dem Kanada-GP wütend die P1-Tafel von Sieger Hamilton schnappte und vor seinen Ferrari stellte. Der Deutsche hatte von der Rennleitung eine Strafe erhalten, war zwar vor dem Briten ins Ziel gekommen, aber eben dennoch nur Zweiter. Daher sagt Seb bis heute, wenn er als 53-facher GP-Sieger bezeichnet wird: «54. Denn ich war auch in Kanada Erster.»
Vettel belegte regelmässig Spitzenränge, konnte 2019 aber erst in Singapur siegen, es sollte sein letzter Triumph in der Formel 1 sein. Letztlich entwickelte Ferrari zu wenig markant, um Mercedes die Stirn bieten zu können. Vettel wurde nur WM-Fünfter und lag am Ende der Saison sogar hinter seinem neuen Stallgefährten Charles Leclerc. Der hatte in Belgien und Italien seine ersten zwei Grands Prix gewonnen.
Längst war klar, wen Ferrari als die Zukunft betrachtete. Die Liebe zwischen Ferrari und Vettel war erkaltet. Noch vor dem Saisonbeginn 2020 wurde verkündet, dass Vettel keinen neuen Vertrag mehr erhalten würde.
Vettel zeigte eine schwache letzte Saison in Rot, fuhr nur sieben Mal in die Punkte, aus dem bärenstarken Ferrari-Motor von 2019 war – nach von der FIA verlangten Änderungen – eine Luftpumpe geworden. Vettel wurde nur WM-Dreizehnter, seine schwächste Formel-1-Saison.
Die Zeit mit Aston Martin blieb hinter den Erwartungen: Vettel zeigte mit Rang 2 in Baku 2021, dass er nichts von seinen Fähigkeiten eingebüsst hatte, und er zeigte in seinem letzten Formel-1-Herbst 2022 einige überaus kampfstarke Rennen, aber da hatte der Heppenheimer längst bestätigt – Ende 2022 ist Schluss mit Formel 1. Denn Ende Juli hatte sich Vettel an seine Fans gewandt und den Rücktritt bekanntgegeben.
Es sind die privaten Momente, ausserhalb der Glitzerwelt der Formel 1, die viel über einen Menschen aussagen. Red Bull Racing-Teamchef Christian Horner erzählte im Rahmen des WM-Finales von Abu Dhabi 2022 die Geschichte, wie sich Freizeit-Bauer Sebastian Vettel bei einem Züchter ein paar Schafe abholte und einen Esel obendrein.
Horner sagte: «Das Beste an der Geschichte war, dass der Züchter ganz offenbar keinen Schimmer hatte, wer dieser Mann ist. Und dann ist Vettel mit diesem Esel herumspaziert, und Autofahrer machten lange Hälse und trauten ihren Augen nicht: ‘Ist das wirklich Formel-1-Weltmeister Vettel mit einem Esel?’ Ich fand das zum Schreien.»
Das erinnerte an eine Geschichte, die Michael Schumacher vor Jahren erzählt hat. «Einmal ging ich mit dem Hund spazieren und traf eine Frau, die ebenfalls mit dem Hund unterwegs war. Wir sind ins Gespräch gekommen, haben über dies oder das gesprochen. Und auf einmal sagte sie zu mir: ‚Und was machen Sie so beruflich?’ Sie hatte keine Ahnung, wer ich bin. Das fand ich grossartig.»
Die Wege der Familie Schumacher und Sebastian Vettel sind eng verwoben. Sebastian Vettel hatte als Kart-Junge Poster des grossen Michael Schumacher im Zimmer hängen und sagt: «Ich habe gewissermassen zwei Michael Schumacher kennengelernt. Den einen, als ich aufgewachsen bin, als ich noch ein Bub war, das war, als würdest du den lieben Gott treffen. Und dann erlebte ich ihn als Erwachsener, als ich selber dann auch gross war.»
«Beim einen Mal traf ich den Champion, beim anderen Mal den Menschen Schumacher. Ich habe erfahren, was Michael verkörpert, dann wer er wirklich ist. Ich habe ihn nie neben den Schuhen erlebt (beginnt zu schmunzeln), ausser vielleicht, wenn er sich mal ein paar Drinks gegönnt hat. Ich habe ihn nie wütend gesehen. Ich habe ihn nie etwas sagen gehört, das keinen Sinn ergeben hätte. Er hatte immer alles unter Kontrolle. Es spielte keine Rolle, ob er in einem Kart sass, in einem Buggy beim Race of Champions oder in einem GP-Renner – bei ihm hattest du immer den Eindruck, dass er Herr der Lage ist.»
Als Michaels Sohn Mick Schumacher in die Formel 1 kam, übernahm Sebastian die Rolle des väterlichen Freunds, der dem aufstrebenden Piloten mit Rat und Tat zur Seite steht.
Sebastian Vettel hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass er seinen Sport anhaltend liebt. Es ist eher der tiefe Wunsch, mehr Zeit für die Familie zu haben und neue Herausforderungen zu suchen, der ihn zum Rücktritt bewogen hat – nach langer, sehr langer Überlegung.
Wenn Vettel 2022 um Podest-Ränge mitgeredet hätte, wäre dann alles anders gekommen? Vettel ehrlich: «Ich weiss es nicht. Vielleicht wäre ich zur gleichen Entscheidung gelangt, möglicherweise hätte ich es nicht getan – es ist unmöglich, das zu sagen. Was ich wichtig finde: Man muss sich selber treu bleiben. Ich liebe es zu gewinnen. Das klingt selbstsüchtig und egoistisch, aber das Gewinnen treibt mich an. Und das war leider nicht möglich.»
Mit einer bewegenden Rede hat Sebastian Vettel in Sommer 2022 erklärt, warum er seinen Helm an den Nagel hängen wird – der Deutsche will lieber seine Kinder aufwachsen sehen, als noch weiter Energie in die Formel-1-Karriere zu investieren.
Damit bleibt Vettel sich selber treu: Er hat immer ungewöhnliche Entscheidungen getroffen, dabei auf die Menschen gehört, die ihm wichtig sind und letztlich darauf, was er vernimmt, wenn er in sich selber hineinhorcht.
Vettel konnte im Rennen loderndes Feuer zeigen. Dann meldete er sich am Funk und schimpfte: «Blaue Flaggen! Blaue Flaggen!» Wenn einer nicht schnell genug zur Seite ging. Wenn ihm einer auf der Bahn blöd kam, feuerte er ab: «Ehrlich jetzt!»
Und keiner sollte bei tollen menschlichen Werten wie Ehrlichkeit, Fleiss, Toleranz oder Einfühlungsvermögen vergessen, welch eiserner Siegeswille Vettel zeigen konnte. So als er damals in Malaysia die Red Bull Racing-Stallorder ignorierte und sich an Mark Webber vorbeipresste. Vettel nach dem Rennen: «Unterm Strich ist es ganz einfach – ich war schneller, ich überholte, ich gewann.»
Sebastian Vettel ist nicht einer der erfolgreichsten Formel-1-Rennfahrer geworden, weil er Gegner höflich vorbeiwinkt.
Nur Lewis Hamilton und sein Vorbild und Freund Michael Schumacher haben mehr WM-Läufe gewonnen. Nur Hamilton, Schumi und Senna haben mehr Pole-Positions erobert. Nur Hamilton hat mehr Punkte eingefahren.
Aber es sind nicht die Zahlen, die Vettel ausmachen, es sind seine Werte: Sich selber gegenüber treu, immer über den Tellerrad des Motorsports hinausblickend, klar in seinen Ansichten, auch wenn die unbequem sind, mit einer vorbildlichen Arbeits-Einstellung – Vettel war immer einer der ersten an der Rennstrecke und einer der letzten, welche die Piste verlassen haben.
Die Mechaniker von Ferrari liebten ihn auch deshalb, weil sie erkannten, wie wichtig ihm Rennhistorie ist. Vettel ist wohl der einzige Formel-1-Fahrer, der alle Weltmeister aufzählen kann, in der richtigen Reihenfolge obendrein. Weil er Italienisch lernte.
Die Mechaniker von Red Bull Racing und Aston Martin liebten ihn, weil sie es mit einem Mann zu tun hatten, der aus dem Nichts heraus Zitate aus englischen Fernsehserien abfeuerte, «und weil er ein besseres Englisch spricht als Nigel Mansell», wie mir ein Mechaniker einmal lachend gesagt hat.
Christian Horner ergänzt: «Unsere Leute haben sich gekugelt über seine Parodien. Vettel konnte die drolligsten englischen Dialekte nachmachen, unsere Mechaniker haben ihn vergöttert. Und wenn Seb seine Leute zum Lachen bringen konnte, hat sein Gesicht geleuchtet vor Freude.»
Aber mit der Zeit ist Vettel in der Formel 1 das Lachen vergangen: Bei Ferrari stand ihm jahrelang Lewis Hamilton vor der Sonne, die Italiener waren nicht imstande, ein übers ganze Jahr über so gutes Auto zu bauen, dass Vettel 2015 und 2017 den Titel hätte holen können, die Liebe zum Deutschen erkaltete.
Letztlich hat Sebastian Vettel sein grosses Ziel verpasst – wie sein Idol Michael Schumacher Weltmeister mit Ferrari werden.
Bei Aston Martin wurde klar: Es gibt keine Abkürzung zum Erfolg, es wird wohl Jahre dauern, bis die Grünen aus eigener Kraft siegfähig sind. Das wollte sich Vettel nicht mehr antun.
Ein klares Zeichen, dass seine Zeit in der Formel 1 abläuft, war die Fahrerbesprechung am Red Bull Ring: Als ihm die Diskussion zu langatmig wurde, stand Vettel auf und ging. Dafür wurde ihm später eine Strafe von 25.000 Euro aufgebrummt, die bis zum Saisonende zur Bewährung ausgesetzt ist.
Vettel hat im Grunde die Geduld mit der Formel 1 verloren, andere Themen sind ihm wichtiger geworden. Thema wie Gleichheit, Freiheit bei sexueller Ausrichtung, Umweltschutz. Nur Lewis Hamilton hängt sich bei solchen Themen mit annähernd so viel Herzblut rein wie der Deutsche.
Welcher andere Fahrer wäre bitteschön am Abend nach einem britischen Grand Prix auf eine Tribüne gegangen, um Abfall aufzuklauben?
Welcher andere Fahrer hätte die Fahrer zusammengetrommelt, um einen Protest gegen den russischen Einmarsch in der Ukraine zu veranstalten?
Welcher andere Fahrer hätte die Formel-1-Leitung dazu gedrängt, auf Wegwerf-Plastikflaschen zu verzichten?
Welcher andere Fahrer hätte Sky-Reporter Ted Kravitz zusammengestaucht, als der Engländer ein Reglement-Detail mit einem Stück Käse veranschaulichen wollte? Vettel damals: «Musstest du dafür wirklich Lebensmittel verwenden? Hätte es ein Stück Karton nicht auch getan?»
In Ungarn 2021 zeigte er mit Regenbogen auf Schuhen, Helm und einem T-Shirt kraftvolle Verbundenheit mit der LGBTQ-Gemeinde und sprach sich mehrfach gegen eingeschränkte Rechte in Ungarn aus. «Jedem Menschen sollte es erlaubt sein, zu lieben, wen immer er will. Ich verstehe nicht, wieso wir heute über so etwas überhaupt noch diskutieren müssen.»
Solche Anliegen sind Sebastian Vettel wichtiger geworden als Untersteuern, abbauende Reifen oder das mangelnde Ansprechverhalten seines Motors.
Es war auch Zeichen des kommenden Abschieds, wie Vettel sichtlich Spass hatte, in Silverstone einen 1992er Williams oder in Le Castellet einen 1922er Aston Martin zu fahren. Da leuchteten die Augen von Sebastian wie bei einem Kind zu Weihnachten.
Die ganze Plackerei in der Formel 1, mit wenig Aussicht, dass Aston Martin so bald Rennen gewinnt, das wollte sich Vettel nicht mehr antun.
Vettel sagt: «Neben dem Rennsport habe ich eine Familie und schätze die gemeinsame Zeit. Weiter habe ich viele andere Interessen. Meine Leidenschaft für die Formel 1 geht einher mit einem hohen Zeitaufwand. Zeit, die ich mit meiner Familie verbringen möchte.»
«Die Energie, die es braucht, um mit dem Auto als auch dem Team eins zu werden, erfordert Konzentration und Anstrengung. Mich der Formel 1 so zu widmen, wie ich es in der Vergangenheit getan habe, wie ich es für richtig halte und ein guter Vater und Ehemann zu sein, passen für mich nicht mehr zusammen.»
«Meine Ziele haben sich verändert: weg von Rennsiegen und um Meisterschaften zu kämpfen, hin zu meinen Kindern. Ich möchte sie aufwachsen sehen, ihnen meine Werte weitergeben, ihnen zuhören und mich nicht mehr verabschieden müssen.»
Nun muss er das nicht mehr tun: Abu Dhabi war sein letzter Formel-1-Einsatz. Was immer Vettel machen wird, ich weiss – er wird sich mit der gleichen Leidenschaft und Arbeitsethik auf seine neuen Aufgaben stürzen.
Sebastian Vettel sagte in Abu Dhabi: «Ich hatte das grosse Privileg, nicht nur all diese Erfolge einfahren zu dürfen. Ich hatte viele fabelhafte Menschen als Wegbegleiter, einige davon sind an diesem Wochenende hier, und das ist gewiss etwas, das mir fehlen wird, der Mannschaftsgeist, die Kameradschaft.»
Formel-1-Weltmeister Jenson Button zu Vettel im Fahrerlager des Yas Marina Circuit: «Champ, du kannst sicher sein, dass es so manchen Fan gibt, der am Ende des Abu Dhabi-GP ein Tränchen verdrücken wird.»
Seb antwortete: «Mir wird es vermutlich gleich gehen. Und das ist etwas, was mir sehr wichtig ist. Wenn du ein junger Pilot bist, dann träumst du natürlich von Erfolgen. Aber womit ich nie gerechnet hätte – dass ich so erfolgreich sein würde und dass vor allem so viele Menschen auf der ganzen Welt darauf achten, was ich mache. Das hat mich immer wieder aufs Neue berührt.»
Vettel fuhr in Abu Dhabi mit dem Erfolgshunger eines jungen Piloten. «In der Quali fühlte ich mich hellwach und voller Leben. Ich konnte das Training wirklich geniessen – was ich mir vor dem Wochenende vorgenommen hatte. Im Rennen will ich einfach das Maximum für das Team herausholen. Das alles fühlt sich ein wenig seltsam an, das muss ich zugeben. Aber so bald ich im Auto sitze, denke ich nicht mehr daran, dann bin ich ganz auf meine Aufgabe konzentriert. Und das ist ein gutes Zeichen.»
Sebastian Vettel erhielt beim Saisonabschluss-Gruppenfoto von seinen 19 Fahrerkollegen viel Applaus, er ging zu jedem einzelnen seiner Gegner, für einen kurzen Fist-Bump, zuvor hatte der Heppenheimer gesagt: «Ich spürte an diesem Wochenende so viel Liebe und Mitgefühl, es scheint, alles, was ich in den letzten Jahren gegeben habe, kommt nun zurück. Das ist ein Wochenende voller Emotionen. Klar freue ich mich auf mein neues Leben, aber ich werde auch Vieles vermissen, vor allem die Kameradschaft und das unvergleichliche Gefühl, ein Formel-1-Auto am Limit zu bewegen.»
Nach dem Rennen gab es unzählige Umarmungen und dann doh das eine oder andere Tränchen, was für ein warmherziger Abschied für diesen Ausnahme-Rennfahrer.
Zwei Worte fassten die Stimmung im Formel-1-Fahrerlager am besten zusammen, was Sebastian Vettel und seinen GP-Abschied betraf. Sie waren an die Wand in der Aston Martin-Box geschrieben.
Danke, Seb.