Über Stefano Domenicali
Stefano Domenicali wuchs als Sohn eines Bankiers auf. Schon sehr früh zeigte sich, dass er ein Herz für den Motorsport hat.
Er studierte Betriebswirtschaft an der Universität von Bologna, bevor er 1991 zu seinem bisher einzigen Arbeitgeber Ferrari kam. Er arbeitete zunächst in der Administration des Unternehmens. Von 1992 – 1994 war er Direktor auf der Rennstrecke von Mugello. Er war dort unter anderem für die Modernisierung der Ferrari-eigenen Anlage verantwortlich.
1995 wechselte Domenicali in die Rennabteilung von Ferrari und war dort zunächst im Personalwesen. Ausserdem kümmerte er sich um Sponsoren der Scuderia. 1996 stieg er ins Management des Rennteams auf. Nachdem er einige Zeit für die Logistik der Scuderia verantwortlich war, übernahm er 2002 die Rolle des Sportdirektors.
Am 12. November 2007 gab die Scuderia die Ernennung von Domenicali zum neuen Teamchef bekannt. Domenicali wurde damit Nachfolger von Jean Todt.
Der Italiener blieb bis April 2014 am Ruder von Ferrari, dann musste jemand den Kopf dafür hinhalten, dass Fernando Alonso jahrelang den WM-Titel verpasste. Dieser Sündenbock hiess Domenicali.
In den letzten zehn Jahren ist bei Ferrari kein Stein auf dem anderen geblieben. Die komplette Führungsriege ist ausgetauscht worden. Viele langjährige Mitarbeiter mussten ihren Hut nehmen: Teamchef Stefano Domenicali im Frühling 2014, Motorenchef Luca Marmorini im Sommer danach, der langjährige Präsident Luca Cordero di Montezemolo im Spätsommer, um nur die wichtigsten drei zu nennen.
Domenicalis Nachfolger Marco Mattiacci war ein Quereinsteiger, er kam als erfolgreicher Chef von Ferrari Nordamerika zur Formel 1. Doch der Römer trat ein schweres Erbe an. Der Ferrari F14T, der ihm Stefano Domenicali überlassen hatte, war unheilbar schlecht. Nach nur einem halben Jahr war Mattiacci wieder weg.
Im Dezember 2014 wurde auch Chefdesigner Nikolas Tombazis in die Wüste geschickt. Ihm wurde vorgeworfen, jahrelang zu konservativ entwickelt zu haben.
Mattiacci-Nachfolger Maurizio Arrivabene erlebte das Gleiche wie Domenicali: Arbeit mit einem mehrfachen Weltmeister, dieses Mal war es Sebastian Vettel, wieder kein Titel.
Besonders bitter – Ferrari schien zu Saisonbeginn 2018 und bis in den Sommer hinein das bessere Fahrzeug zu besitzen, so wie damals mit Alonso, so wie bei Ferrari auch 2022 mit Charles Leclerc. Die Geschichte wiederholt sich.
Im Dezember 2014 übernahm Domenicali den Vorsitz der Einsitzer-Kommission des Autosport-Weltverbands FIA. Er war beratend für Audi tätig, um ein mögliches Engagement in der Königsklasse zu prüfen. Danach arbeitete Domenicali jahrelang als Geschäftsleiter des Sportwagenherstellers Lamborghini.
Am 25. September 2020 dann ein Paukenschlag. Das US-amerikanische Medienunternehmen Liberty Media, Besitzer der Formel-1-Gruppe, wechselte den Geschäftsleiter der Königsklasse aus: Der Italiener Stefano Domenicali wurde als Nachfolger des US-Amerikaners Chase Carey bestätigt.
Liberty-Media-CEO Greg Maffei: «Wir sind sehr glücklich, dass wir Stefano Domenicali verpflichten konnten. Stefano bringt reiche Erfahrung mit der Formel 1 mit und konnte grosse Erfolge feiern, und dank seiner zusätzlichen Arbeit bei Audi und Lamborghini ist er auch fähig, ein grösseres Bild im Auge zu behalten.»
Domenicali war eine gute Antwort für jene Formel-1-Fans, welche den Eindruck haben, die Amerikaner würden aus der Königsklasse mehr und mehr einen Kunstzirkus machen. Der Italiener ist allseits beliebt, gut vernetzt, ist integer, bei aller Liebe für die Formel 1 auch ein rationaler Mensch.
Stefano: «Die Formel 1 war immer Teil meines Lebens, und ich freue mich sehr auf dieses neue Kapitel. Ich bin auch während meiner Zeit bei Audi und Lamborghini dem Sport immer verbunden geblieben, etwa in der Einsitzer-Kommission der FIA. Die Arbeit mit Rennställen, Rennveranstaltern und Sponsoren wird spannend.»
Domenicali führte den Supertanker Formel 1 mit kundiger Hand durch das zweite Pandemie-Jahr, und er setzte einige Pläne um: Die von Sportchef Ross Brawn angedachten Sprintrennen, drei 2021, drei 2022, 2023 werden es sechs sein. Dazu steht auch der Ablauf des GP-Wochenendes anhaltend auf dem Prüfstand, auch wenn Zweitagesveranstaltungen verworfen worden sind. Domenicali: «Alle GP-Organisatoren haben den Wunsch geäussert, ihren Zuschauern das volle Programm von drei Tagen bieten zu wollen, und diesen Wunsch müssen wir respektieren.»
Stefano Domenicali betont aber: «Wir fahren unsere Antennen in jede Richtung aus, wenn es darum geht, unseren Sport attraktiver zu gestalten.»
Viel zu reden gibt etwa das Ausbauprogramm der Formel-1-WM, für die Saison 2023 waren (vor der Streichung des China-GP) 24 Läufe geplant! Domenicali: «Das Ziel besteht darin, ungefähr ein Drittel der Weltmeisterschaft in Asien auszutragen, ein Drittel in Europa und ein Drittel in Amerika. Dazu ist die Rückkehr nach Südafrika geplant. Kein Veranstalter eines klassischen Grand Prix darf sich seiner Sache sicher sein.»
Auch das Format des Rennwochenendes soll prickelnder werden. Domenicali: «Wir müssen neue Formate ausprobieren, es wäre einfach, Ausreden zu finden, dies nicht zu tun. Aber es geht hier um ein Lebensprinzip. Die Puristen rümpfen natürlich die Nase, aber wenn wir zurückblicken, dann gab es in der Formel 1 zum Beispiel Dutzende verschiedener Quali-Formate. Wir können es uns nicht leisten, auf mehr Spektakel zu verzichten.»
«Ich will, dass die Fahrer ständig um etwas kämpfen müssen, das im WM-Kampf zählt. Sprintrennen sind nur das erste Beispiel, und sie sind verbesserungsfähig. Ich will, dass auch freie Trainings am Freitag aufgewertet und vielleicht dafür Punkte vergeben werden. Ich will, dass der Freitag mehr Relevanz erhält, im Hinblick auf ein Rennen am Samstag, möglicherweise anstelle eines dritten Trainings, möglicherweise auch mit dem Stilmittel einer umgedrehten Startaufstellung.»
«Alles kommt auf den Tisch. Ich weiss, dass viele Fans umgedrehte Startaufstellungen ablehnen. Aber wir haben bei einigen Gelegenheiten erlebt, wie spannend es ist, wenn die Stars zu Aufholjagden gezwungen sind, wir erhalten mehr Überholmanöver. Wir haben die Verpflichtung, das alles ins Auge zu fassen.»
Domenicali half auch beim Weichenstellen für neue Formel-1-Rennen in Saudi-Arabien, Miami und Las Vegas.
Der Italiener führt die Formel 1 mit Umsicht, aber auch scharfem Auge fürs Geschäft, und er hat gut lachen – die Königsklasse brummt.
2024 knüpfte Max Verstappen dort an, wo er 2023 aufgehört hatte – an der Spitze. Domenicali: «Man sieht es in Verstappens Augen, dass er das Maximale an Performance herausholt. Das macht ihn so stark. Ohne ein tolles Auto wäre das für jeden Fahrer schwierig. Verstappen hat einen sehr hohen Standard, der Referenz ist für alle anderen Fahrer.»
«Was die Saison angeht, würde ich ihr eine Note von 8 von 10 geben. Aber ich glaube, dass das nächste Jahr noch besser ausfallen könnte, denn es sind alle Zutaten für eine grossartige Show vorhanden. Wir werden auch viele junge Fahrer auf der Bahn haben, und das zeigt, wie gut es für unseren Sport derzeit läuft.»
Viele Fans fragen sich: Wie geht das weiter mit der Formel 1? Werden wir mehr und mehr Grands Prix erleben? Mehr Sprints?
Domenicali: «Wir erkennen sehr viel Interesse aus vielen verschiedenen Ländern, und das eröffnet Gelegenheiten zur weiteren Entwicklung. Es zwingt uns allerdings auch, unter allen Bewerbern zu wählen und für die Formel 1 das Richtige zu tun.»
«Wir sehen einen Boom in Asien und in den USA und ein Revival in Europa. Da hat das kommende Rennen in Madrid 2026 Signalwirkung – zu einem Zeitpunkt, als vielleicht Einige dachten, das Interesse in der alten Welt an der Formel 1 sei erkaltet.»
«Wir sehen, dass am Hungaroring gearbeitet wird, als willkommene Reaktion bestehender Organisatoren, dem höheren Niveau anderer Rennausrichter zu folgen. Denn alle müssen wissen: Wer nicht gewillt ist, für seine Anlage zu investieren, für den wird es schwierig. Die Verträge einiger Rennen läuft aus.»
«Für mich ist die Formel 1 die weltweit beste Auslage, die man sich vorstellen kann, auf dem Niveau Olympischer Spiele und der Fussball-WM, aber die finden nur alle vier Jahre statt, wir sind ständig auf Sendung.»
«In der Formel-1-Verfassung Concorde-Abkommen sind 25 Rennwochenenden als Obergrenze festgelegt. Und ich möchte dabei bleiben. Ich glaube, noch mehr Rennen wären der Serie nicht zuträglich.»
«Die Rückmeldung der Fans besagt: Das Sprintformat funktioniert. Uns ist bewusst, dass ein erheblicher Teil langjähriger Fans diesem Ablauf des Wochenendes eher kritisch gegenübersteht. Aber wenn es um pure Attraktivität und Action geht, dann ist dieses Format richtig.»
«Ich glaube auch, dass die Umstellung zum Ablauf freies Training, Sprint-Quali, Sprint, GP-Quali und Grand Prix das Richtige ist. Wir prüfen, ob mehr Sprintwochenenden der richtige Weg ist, auch im Hinblick auf die Budgetobergrenze.»
Die GP-Saison 2025 ist die letzte unter dem bestehenden Reglement, ab 2026 werden die Formel-1-Anhänger eine frische Generation von Rennwagen erleben – schmaler, kürzer, mit einem geänderten Motor, dessen Anteil elektrischer Energie erhöht wird.
Viele GP-Fans argumentieren zu Recht: Eigentlich schade, denn bis Ende 2024 ist das Startfeld wunderbar zusammengerückt, und wir hatten bei zahlreichen Rennen die reizvolle Ungewissheit, wer dieses Mal wohl die Nase vorn haben würde.
Anlass zur Sorge, und das ist bei jedem Schritt in eine neue F1-Ära so: Dass ein Team die Hausaufgaben besser macht als die anderen Rennställe und so für eine Weile dominiert. Mercedes-Benz tat dies beim Schritt in die Turbohybrid-Epoche Anfang 2014, Red Bull Racing tat dies ein Einführung der neuen Flügelautos 2022. Viele Formel-1-Freunde monieren auch, die neuen Autos würden zu langsam sein.
Stefano Domenicali gibt zu: «Wenn ein neues Reglement kommt, ist das immer so. Aber ich vergesse nicht, wie sich die Teams bei der Einführung des Reglements 2022 beschwert haben, dass die Einsitzer sechs Sekunden langsamer sein würden.»
«Wir haben in den letzten Jahren erlebt, wie das Feld zusammenrückt. 2026 werden wir erneut mit frischen Regeln beginnen, das bedeutet viele Herausforderungen und zahlreiche Dinge, an denen wir feilen können. Ich gehe davon aus, dass sich das Feld zunächst wieder auseinanderziehen wird, dann aber werden erneut alle zusammenrücken, die Autos sind darauf ausgelegt.»
«Sorgen mache ich mir deswegen nicht. Wir müssen das Gesamtbild betrachten, nicht einzelne Details. Wir müssen im Grossen denken. Ja, es werden gewiss Probleme auftauchen. Aber es werden auch neue Konstrukteure zum Sport stossen, begünstigt durch diese technischen Veränderungen. Wir wollen die evolutionäre und positive Spannung aufrechtzuerhalten für Wettbewerber, die unsere Formel 1 als eine Entwicklungsplattform für die Zukunft sehen.»