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History 1973: Kein Benzin, also keine Rennen

Kolumne von Rainer Braun
​50 Jahre ist es jetzt her, als im Oktober 1973 ein Ölboykott der OPEC-Staaten den europäischen Motorsport für Monate lahmlegte.

Sauerland-Bergpreis, 6. Oktober 1973, DRM-Finale, hauchdünne Titelentscheidung mit nur einem einzigen Punkt Differenz zu Gunsten von Ford-Werksfahrer Dieter Glemser im Zakspeed-Escort RS auf seinen Ford-Kollegen Hans Heyer im Capri RS. Den Doppelsieg im Championat feierte die Kölner Ford-Truppe anschließend in einer naheliegenden Disco mit einer rauschenden Party bis in die frühen Morgenstunden des 7. Oktober.

An diesem ersten Oktober-Wochenende ahnte noch niemand, dass der Motorsport schon bald für mehrere Monate lahmgelegt und eine ganze Branche fast an den Rand des Ruins getrieben würde.

Das Unheil hatte schon in der Nacht vom 5. auf 6. Oktober begonnen. – in Nahost war der Jom-Kippur-Krieg ausgebrochen.

Als die siegtrunkene Ford-Feiergemeinde in den frühen Morgenstunden des 7. Oktober in ihre Hotelbetten fiel, war der Krieg schon in vollem Gange. Ägypten und Syrien hatten den Nachbarn Israel überfallen, um die sechs Jahre zuvor verlorenen Gebiete wieder zurückzuerobern.

Weil neben den USA auch nahezu alle westlichen Nationen den Überfall geschlossen verurteilten, reagierten die in der OPEC zusammengeschlossenen Öl-Förderstaaten Saudi-Arabien, Libyen, Irak, Iran, Katar sowie die Vereinigten Emirate mit einem Ölboykott als Strafaktion gegen alle israelfreundlichen Staaten.

Durch den kompletten Stopp der Treibstoff-Lieferungen leerten sich die Vorratslager der Raffinerien hierzulande schnell. Weil gleichzeitig Panik- und Hamsterkäufe einsetzten und Treibstoff auf Vorrat gebunkert wurde, mussten die Tankstellen bald die Abgabe auf maximal 30 Liter begrenzen. Und immer öfter hingen Schilder an den Zapfsäulen wie «Benzin aus» oder «Tankstelle geschlossen».

Die Regierung in Bonn bildete einen Krisenstab, das Verkehrsministerium erließ Notstands-Gesetze. Dazu zählten vier Sonntags-Fahrverbote, beginnend mit dem letzten November-Sonntag plus der ersten drei Dezember-Sonntage. Nur Taxis, Busse und Notdienste durften noch fahren.

Im weiteren Verlauf gab es auch gleich noch eine Premiere - erstmals wurde in Deutschland ein «vorerst zeitlich begrenztes» Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen und 80 km/h auf Landstraßen vom Gesetzgeber verordnet.

Was übrigens zu einem Aufschrei im Land führte und so manchen Auto-Boss auf die Barrikaden trieb. So schrieb BMW-Alpina-Chef Burkard Bovensiepen sogar einen ebenso zornigen wie intelligenten Protestbrief an Bundeskanzler Willy Brandt.

Natürlich musste auch die deutsche Motorsport-Instanz ONS (heute DMSB) schnellstmöglich reagieren und sich mit dem heiklen Thema befassen. Zumal schon durchsickert war, dass im Verkehrsministerium ein Entwurf für ein komplettes Verbot des Motorsports in Deutschland bis 30. Juni 1974 kursierte.

Im ONS-Präsidium in Frankfurt vertrat man die Auffassung, dass die Flucht nach vorn wohl die beste Taktik sei, «denn wer selbst verbietet, kann zu gegebener Zeit auch selbst wieder erlauben» (O-Ton ONS-Geschäftsführer Sigismund von Kahlen).

Deshalb verkündete ONS-Präsident Hans-Joachim Bernet Mitte November ausgerechnet bei der feierlichen Meisterehrung im Berliner Hilton Hotel in seinem Grußwort dies: «Die ONS hat angesichts der Energie-Lage als vorsorgliche Maßnahme beschlossen, ab sofort alle motorsportlichen Veranstaltungen innerhalb Deutschlands bis auf Weiteres zu untersagen. Das Verbot gilt so lange, wie die Situation am Mineralölmarkt uns die moralische Verpflichtung zum Verzicht auferlegt.»

Die versammelte deutsche Motorsport-Elite war geschockt, man blickte in sorgenvolle Gesichter von Rennfahrern, Teamchefs und Strecken-Betreibern. Zumal zu diesem Zeitpunkt niemand wusste, wie lange dieser Zustand anhalten würde.

Am Nürburgring und anderen Rennstrecken kehrte schnell ungewohnte Ruhe ein. Hotel und Strecke mussten eine Flut von Stornierungen verkraften. Rennställe und Tuner-Betriebe begannen um ihre Existenz zu fürchten. Veranstalter bangten um ihre Termine für 1974 und hatten keine Planungssicherheit mehr. Internationale Rallyes wie die RAC wurden nur verkürzt gefahren oder gar nicht. Die Motorshow in Essen musste herbe Verluste hinnehmen, weil Zuschauer nur noch mit Bus oder Bahn anreisen konnten.

Zwar endete der Krieg nach 20 Tagen am 26. Oktober, aber das änderte zunächst nichts an der Treibstoff-Knappheit, denn der Boykott blieb zunächst noch genauso bestehen wie die heikle wirtschaftliche Lage der PS-Branche.

Und es hagelte auch international weitere Absagen. So fielen zu Beginn des Jahres 1974 sogar die Traditions-Veranstaltungen wie die Rallye-WM-Läufe in Monaco, Schweden und Griechenland aus. Selbst der US-Rennsport kam nicht ungeschoren davon, die Klassiker 24 Stunden Daytona und 12 Stunden Sebring wurden ersatzlos gestrichen.

Nur die Formel 1 war nicht betroffen, da für die ersten WM-Läufe 1974 im Januar in Argentinien und Brasilien genügend Treibstoff aus eigener Produktion der austragenden Länder vorhanden war. Überdies hatte Venezuela der Formel 1 ein größeres Kontingent Treibstoff als Soforthilfe zur Verfügung gestellt.

Ford Köln nahm die Krise zum Anlass, den werkseigenen Rennstall in der Folgezeit Zug um Zug zu verkleinern und schließlich ganz aufzulösen. Stattdessen wurden die Aktivitäten vermehrt zu Ford-Händlern mit eigenen Rennställen wie Zakspeed, Ringshausen, Grab, Wolf oder Eggenberger ausgelagert.

Auch BMW und Toyota Deutschland strafften ihre Werks-Engagements im Gleichschritt mit weiteren Unternehmen. Wenigsten die «BMW Motorsport GmbH» mit dem Werksrennstall blieb bestehen.

Erst im Frühjahr 1974 hatte sich der Energie-Markt durch verstärkte Zulieferung aus anderen Quellen wieder so weit erholt, dass die verordneten Restriktionen nach und nach aufgehoben werden konnten. Auch die OPEC begann ihr Öl-Embargo zu lockern, die Lieferungen flossen zunächst zwar noch zögerlich, aber bis April/Mai wurde das alte Niveau fast wieder erreicht.

Auch der Motorsport in Deutschland und Europa kam langsam wieder in Gang. Fahrer, Teams, Veranstalter und Rennstrecken-Betreiber atmeten auf, als die ONS das Veranstaltungs-Verbot zum März 1974 aufhob. Mit Verspätung und einem Notkalender startete die neue Saison zunächst noch zögerlich, erst Mitte des Jahres konnte wieder von einem normalen Verlauf gesprochen werden.

Dennoch hinterließ der Öl- und Benzinschock von 1973/74 in der Folgezeit Narben im deutschen Rennsport. Budgets wurden teilweise gekürzt, Sponsoren blieben zurückhaltend, Fahrer und Mechaniker verloren ihre Jobs. So manch kleiner Privat-Rennstall verschwand von der Bildfläche. Und schließlich überstanden auch rund ein Dutzend Tuning-Betriebe die schwierigen Monate nicht.

Fazit des damaligen ONS-Geschäftsführers Sigismund von Kahlen: «Vor allem die Job-Angst war allenthalben spürbar. Das alles möchte man nur einmal erleben.»

Gottseidank hat sich so eine Situation bis heute nicht wiederholt. Aber wer weiß schon, was in Zukunft noch so alles auf uns zukommt …


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