Formel 1: Max Verstappen – alles für die Katz

Audi-Pilot Timo Scheider: Gerne auch mal unbequem

Von Andreas Reiners
Der Audi-Pilot ist als alter Hase längst ein Typ der DTM. Im Interview im Rahmen unserer Typen-Serie spricht er über das generelle Problem fehlender Typen, sein schlimmstes Erlebnis und sein persönliches Highlight.
Timo, warum bist du ein Typ? Was macht einen Typen aus?

(lacht): Weil ich halt ein geiler Typ bin.

Prima, dann hätten wir das ja geklärt.

(lacht): Ja, mehr brauche ich ja nicht sagen. Im Ernst: Was macht einen Typen aus? Ich glaube, das ist individuell zu bewerten. Wer ist ein Typ und wer ist kein Typ? Fakt ist, dass ich in den vielen Jahren im Motorsport gesehen habe, wie der eine oder andere von der Mentalität und seiner Art und Weise her ist. Fakt ist auch, dass ich gesehen habe, dass die Steuerung durch die Hersteller oftmals sehr großen Einfluss auf die Charaktere der einzelnen Fahrer nimmt. Und Fakt ist auch, dass ich aufgrund der Zeit und der Erfolge vielleicht jemand bin, der nicht immer genau das sagt, was die Hersteller hören wollen. Vielleicht auch mal kritisch bin. Aber es geht nicht darum, jemanden zu beleidigen oder schlecht zu reden. Es geht lediglich darum, meine Emotionen, meine Gefühle und mein Denken klarzustellen.

Und ich glaube, das ist in Ordnung, so lange man nicht übertreibt. Ich würde mir wünschen, dass mehr Fahrer das tun, damit auch diese so oftmals vermissten Typen ein bisschen mehr zum Vorschein kommen. Denn ich bin nach wie vor der Meinung, dass wir Typen haben. Die auch genügend Charakter hätten, mal ein bisschen etwas anderes zu sagen und zu sein und zu zeigen als das, was vom Hersteller gewünscht ist.

Aber wir müssen natürlich auch wissen, dass es am Ende jemanden gibt, der die ganze Geschichte bezahlt. Und wenn ich jetzt davon ausgehe, dass man morgens ins Büro geht und ständig seinen Chef kritisiert, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis er einen freistellt. Und da sollte man in diesem System natürlich schon clever genug sein und nicht über die Stränge schlagen. Auch wenn ich mir manchmal wünschen würde, das sagen zu dürfen, was ich gerade denke.

Du bist ja jetzt schon ein paar Jahre dabei. Hat sich das über die Jahre entwickelt? Oder warst du von Anfang an der offene Typ?

Grundsätzlich bin ich schon ein offener Typ und ich sage grundsätzlich auch meine Meinung. Allerdings gibt es natürlich auch oftmals Situationen, in denen du das aus politischen und aus Gründen der Cleverness einmal nicht machst. Das ist einfach so.

Fakt ist auch, dass ich aufgrund der Zeit, die ich jetzt mittlerweile dabei bin und aufgrund der Erfolge, die ich gefeiert habe, Selbstbewusstsein bekommen habe. Du kriegst ein Standing, du kriegst eine Meinung. Du hast eine Meinung. Äußerst sie mehr und mehr. Die Leute wissen ungefähr, was du für ein Typ, was für ein Charakter du bist. Und das geht irgendwann mehr und mehr seinen Weg. Das entwickelt sich in die eine oder andere Richtung. Junge Fahrer, die dazu kommen, trauen sich ja lange, lange, lange nicht, irgendwas zu sagen. Am liebsten nach dem Motto ‚Frag mich nicht, dann sage ich auch nichts Falsches‘.

Woran liegt das deiner Meinung nach?

Das ist normal, aber eigentlich ist es schade. Am Ende ist es immer abhängig davon, wie lange der Vertrag läuft und wie viel Erfolge der Fahrer schon abgeliefert hat. Damit steigt dann auch der Mut, auch mal Kritik zu üben. Aber auch das ist normal. Derjenige, der erfolgreich ist, der oben ist, der lange dabei ist, hat einfach andere Blickwinkel. Er hat mehr Selbstsicherheit und traut sich auch mal ein bisschen mehr als andere.

Es fällt tatsächlich auf, dass es in erster Linie die alten Hasen wie Scheider, Gary Paffett, Mattias Ekström oder auch Timo Glock sind, die, wenn nötig, auch mal schonungslose Kritik üben. Ob nun an den Herstellern oder an der Serie selbst. Möglichkeiten, das zu fördern, gebe es laut Scheider aber genug.

Wessen Aufgabe wäre es, das zu fördern? DTM? Hersteller? Vielleicht auch das Fernsehen?

Das Fernsehen hätte mit Sicherheit die Möglichkeit, wenn es mehr Sendezeit geben würde. Es hätte die Möglichkeit, wenn man sich auf die Typen und Fahrer einlassen würde, die hier an der Strecke alle in der gleichen Teamkleidung rumlaufen. Wenn man die Fahrer auch mal hinter den Kulissen zeigen würde, dann könnte man daraus Typen machen. Das ginge rein theoretisch relativ schnell. Wenn ich es mal übertrieben darstelle: Wenn ihr ein Bild von mir macht, wie ich Norbert Haug am Schlafittchen packe und ihm Schläge androhe, dann habe ich morgen eine Schlagzeile. Und dann habe ich ganz schnell in irgendeiner Form einen Charakter gebildet für die Fans da draußen, die das lesen. ‚Was ist denn das für einer? Was ist denn da los?‘ Da gibt es Stimmung. Wir versuchen natürlich zu vermeiden, dass so etwas passiert.

Aber ich glaube, dass die ARD dazu in der Lage wäre, mal die wahren Typen hinter der Teamkleidung zu zeigen. Weil da vielleicht der eine Fahrer ist, der sonntags im Anzug in die Kirche geht und der andere Fahrer jemand ist, der tagtäglich Flip-Flops, Bermudashorts und Jogginganzug trägt. Der eine geht zum Surfen und der andere schaut, dass seine Felgen immer auf Hochglanz poliert sind. Es gibt so viele unterschiedliche Typen und Sportarten neben der DTM, die man mit diesen Charakteren verbinden und zeigen kann. Schade, dass das nicht so ist.

Wie sehr kotzt es einen etablierten DTM-Fahrer an, wenn immer nach fehlenden Typen und irgendwelchen Formel-1-Fahrern gerufen wird? Die ja umgekehrt nicht gleich bedeutend mit einem Typen sind?

Ja, das nervt schon. Natürlich haben die Formel-1-Jungs immer die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Allerdings nervt es, denn wir machen einen ähnlichen Job wie die Jungs. Wir stehen halt nicht so im Rampenlicht und haben deswegen eine ganz andere Wahrnehmung in der Öffentlichkeit.

Wenn du morgen Kimi Räikkönen in die DTM holst, dann kriegt der das Fünffache an Gehalt. Dann ist er ein Jahr lang im Fokus, egal ob er das ganze Jahr lang auf Platz 23 fährt. Das sind Sachen, die nerven. Denn hier gibt es 23 Jungs, die sich den Arsch aufreißen und oft bessere Jobs als solche Fahrer machen.

Und es ist schade, dass das nicht ganz so registriert und wahrgenommen wird. Weil es natürlich mehr Reiz hat, über jemanden zu berichten, der bekannter ist, der mehr in der Öffentlichkeit steht. Ich verstehe das natürlich auch. Es ist ja logisch. Wenn einer Meinung und Stimmung macht, weil er ein Typ ist, weil er in der Öffentlichkeit steht und bekannt ist, dann ist es normal, dass man da hinschaut. Wären wir öfter in den Medien, würden wir in der Sportschau präsent sein, im Morgenmagazin sitzen und könnten uns über die Wochenenden austauschen, dann wäre das vielleicht auch irgendwann anders. Hätte, wäre, wenn. Das haben wir momentan nicht, aber vielleicht wird das ja irgendwann mal der Fall.

Wenn du mal zurückblickst: Was war dein schlimmstes Erlebnis in all den Jahren?

Das war Zandvoort 2003. Meine erste Pole Position, meine erste Führung in einem Rennen. Mit einem Opel damals, der nix, nix und gar nix gewonnen hat. Dann 23 Runden zu führen, als Führender in die Box zu kommen und dann mit einem losen Rad am Ende der Boxengasse rauszurollen: Ich glaube, das hat am meisten wehgetan. Weil du so nah dran warst und dann am Ende doch so weit weg. Das Gesamtpaket, diese Emotionen, die ich erlebt habe, waren sehr positiv. Weil die ganze Haupttribüne inklusive des ganzen Fahrerlagers in dieser Situation Mitleid mit mir hatte. Ich habe aus Mitleid Standing Ovations bekommen.

Ich habe Fahrerfrauen von anderen Herstellern weinend gesehen, die gesagt haben, es täte ihnen so leid und das wäre so unglaublich und das gäbe es doch alles gar nicht. Inklusive des Frusts, den ich selber hatte. Inklusive eines Teammanagers, der in dem Moment die Verantwortung für das Loslassen des Autos hatte. Der hat tagelang die Schuld nur auf sich genommen, weil er es nicht verarbeiten konnte. Das hat schon sehr, sehr geschmerzt und das sind so Sachen, die bleiben auf jeden Fall im Gedächtnis. Ich hoffe, dass ich sowas nicht mehr durchmachen muss. Aber schön wäre es natürlich trotzdem, wenn wir noch mal die Chance haben, ein Rennen zu gewinnen.

Scheiders letzter Sieg liegt in der Tat schon länger zurück. Am 31. Oktober 2010 gewann der Audi-Pilot letztmals einen Lauf in der DTM. In den vergangenen drei Jahren war er von einem Titelgewinn mit den Gesamträngen 14, 10 und 9 weit entfernt, auch durch zahlreiche Pleiten, Pech und Pannen. Mit dem neuen Reglement (zwei Rennen pro Wochenende) kann sich Scheider 2015 allerdings wie auch alle anderen Fahrer mal einen oder zwei Nuller leisten, ohne dass er im Titelkampf sofort aussichtslos zurückfällt.

Was war das Schönste? Der erste Titel? Oder der erste Sieg?

Ja, der erste Sieg, denke ich. Das war eine riesige Befreiung. Ich war wirklich eine lange Zeit bei Opel mit einem, sagen wir mal, nicht konkurrenzfähigen Auto. Und dann bist du weg aus der DTM und kriegst dann mit einem Vorjahres-Auto bei Audi die Chance. Kommst wieder zurück. Du bist bester Vorjahresfahrer und hast dann die Chance in einem Top-Team, bei Abt damals, mit einem siegfähigen Auto um die Meisterschaft zu fahren. Und dann im ersten Jahr stehst du nur einmal auf dem Podium und denkst, dass du dir eigentlich mehr erhofft hattest.

Aber dann kommen in dem Folgejahr der erste Sieg und der darauffolgende Titel. Das war natürlich das Allerallergrößte, überhaupt keine Frage. Das kann man mit Worten nicht beschreiben, was da für eine Last von mir gefallen ist, was das für Emotionen waren. Es doch endlich bewiesen zu haben, dass ich es kann. Dass ich nicht nur so ein Punkteverweigerer bin, wie man damals zu mir gesagt hat. Sondern dass man eben auch Rennen gewinnen kann, wenn man das richtige Paket hat. Das war ein persönlicher Beweis für mich, der sehr, sehr wichtig war für meine Motorsportkarriere.

Und dann kam der zweite Titel direkt hinterher….

Das wieder zu beweisen, war natürlich auch etwas extrem Besonderes, keine Frage. Und so entstehen natürlich Emotionen, so entstehen Hoffnungen, Erwartungen, dass man dann auch weiter Rennen gewinnt und oben steht. Aber das geht natürlich nicht so einfach. Ich habe 2010 mein letztes Rennen gewonnen. Das ist natürlich viel zu lange her. Aber den Anspruch habe ich natürlich nach wie vor noch und es gibt mit Sicherheit ein paar, die das auch noch haben. Ich bin der Dienstälteste mittlerweile. Mit den meisten Rennen zumindest, nicht vom Alter her. Da habe ich Gott sei Dank noch den Eki (Mattias Ekström) vor mir, aber ich kann mir vorstellen, so bis 40 noch ein paar Emotionen und Siege zu sammeln.

Die hätte er auch gerne in der Formel 1 gesammelt. Trotz guter Chancen wurde aus dem Traum am Ende dann doch nichts. Immerhin saß er zuletzt noch einmal in einem Formelwagen – bei einem Rollout für sein neu gegründetes Formel-4-Team. Auch wenn das natürlich nicht das Gleiche ist.

Wie sehr trauerst du der verpassten Chance Formel 1 nach?

Es gab natürlich eine Zeit, in der ich gespürt habe, dass die Chance da gewesen wäre. Damals habe ich die Hoffnung gehabt, dass es funktioniert, aber ich war eigentlich immer Realist. Ich habe mich aufs Wesentliche konzentriert. Und am Ende gab es einen Zeitraum von zwei, drei Jahren, zwischen 1997 und 2000, in dem die Hoffnung sehr groß war. Wo ich dann aber realisieren musste, dass es einfach nichts wird. Das war für mich danach auch völlig abgeschlossen. Es war klar, dass man mich als Deutschen in der Formel 1 nicht mehr braucht, weil man schon mehrere andere hatte und dass es aus verschiedenen Gründen einfach nicht hätte sein sollen. Es war für mich einfach so bestimmt, und so ist das Leben. Jeder hat seinen Weg, jeder hat seine Last zu tragen und ich glaube, unterm Strich kann ich sagen, dass ich sehr, sehr glücklich bin, dass ich hier gelandet bin, mit einem Werksvertrag. Und inzwischen so lange bei einem großen erfolgreichen Hersteller bin. Da bin ich stolz drauf.

Man sieht in den sozialen Netzwerken, dass du eigentlich dauernd unterwegs bist. Wann und wie entspannst du?

Ich entspanne relativ schnell. Ich bin ein Typ, dem grundsätzlich schnell langweilig ist. Aber das heißt nicht, dass ich nicht auch mal Urlaub brauche und will. Du erreichst in den sozialen Medien mit einem minimalen Zeitaufwand extrem viele Menschen und hast auch eine große Reichweite. Wie wichtig sowas unter dem Strich dann in Wirklichkeit ist, das lasse ich mal dahingestellt. Aber ein Bild zu posten und einen halben Satz dazu zu schreiben, dauert ca. 25 Sekunden. Natürlich gibt es auch Leute, die sagen, dass ich mal wieder was anderes machen soll als die ganze Zeit so einen Scheiß zu posten. Auf der anderen Seite sage ich: ‚Leute, der Tag hat 24 Stunden und diese 25 Sekunden am Tag, die kann ich mir noch gerade so aus den Rippen schneiden ohne meinen Sport oder ohne mein Privatleben zu vernachlässigen‘.

In seinem Privatleben läuft alles nach «Plan». Mit seiner langjährigen Freundin Jessica hat sich Scheider inzwischen verlobt. Trotz des vollen Terminkalenders.

Was bedeutet Familie für dich?

Familie ist als Rückhalt das allerwichtigste für einen Sportler. Gerade, wenn man erfolgreich ist, dann ist es immer einfach. Dann hat man viele Freunde. Aber wenn man Misserfolg hat, dann ist es das A und O, diesen Rückhalt zuhause zu haben. Die Motivation zu haben, jemanden, der dich in den Arm nimmt. Jemanden, der dir die Energie gibt, die du dann in dem Moment vielleicht nicht hast. Ich bin und war schon immer ein Familienmensch. Ich liebe meine Familie und ich hoffe, dass wir noch viele, viele schöne Jahre zusammen verbringen können.

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