Zak Brown (McLaren) zu Ferrari: Wo bleibt die Ethik?
McLaren-CEO Zak Brown und Ferrari-Teamchef Mattia Binotto 2019 in Austin
Seit langem war davon die Rede gewesen, dass Ferrari beim bärenstarken 1,6-Liter-V6-Turbomotor mindestens im Graubereich des Erlaubten arbeite. Kurz vor Schluss der Formel-1-Wintertests auf dem Circuit de Barcelona-Catalunya bestätigte der Autosport-Weltverband FIA dann ein fragwürdiges Abkommen mit Ferrari. Die FIA sagte, man habe mit Ferrari eine «private Einigung» getroffen, was den 2019er Motor der Italiener angehe, nachdem eine entsprechende Untersuchung abgeschlossen worden sei. «Nach gründlicher technischer Untersuchung ist die Wirkungsweisen-Analyse der Antriebseinheit von Ferrari abgeschlossen. Dabei ist eine private Einigung mit dem Team geschlossen worden. Die Details dieses Abkommens bleiben vertraulich.»
Der Verdacht drängte sich auf: Der Automobilverband habe mit den Italienern einen Kuhhandel abgeschlossen. Als Dank für die Offenlegung der ganzen Technik, welche es der FIA offenbar erleichtert, auch andere Motoren zu prüfen, verfolgt der Verband diese Angelegenheit nicht weiter. Ist das in Ordnung? «Nein», fand die Konkurrenz, also verfassten die Rennställe Mercedes, McLaren, Racing Point, Red Bull Racing, Renault, Williams und AlphaTauri nach reiflicher Überlegung ein gemeinsames Statement: «Die Unzeichnenden sind überrascht und schockiert von der FIA-Mitteilung. Eine Sportbehörde hat die Verpflichtung, in höchster Integrität und Offenheit zu regiere. Wir sind strikte gegen ein vertrauliches Abkommen zwischen Ferrari und der FIA und fordern, dass in dieser Angelegenheit alles auf den Tisch kommt, um fairen Sport sicherzustellen. Wir fordern dies im Namen der Fans, der Teilnehmer und der Aktionäre der Formel 1. Wir behalten uns vor, rechtliche Schritte einzuleiten.»
Mercedes-Teamchef Toto Wolff sagte: «Die ganze Sache ist eine Riesensauerei. Es ist nicht in Ordnung, was Ferrari machte, aber noch weniger, wie die FIA das behandelt. Alle anderen Teams sind aufgebracht.»
Red-Bull-Rennberater Dr. Helmut Marko fügte hinzu: «Das Verhalten der FIA ist der eigentliche Skandal. Wir müssten eigentlich Red Bull Racing-Teamchef Christian Horner anweisen, auf 24 Millionen Dollar Preisgelder zu klagen, die uns für Platz 2 in der Konstrukteurswertung zugestanden wären, hätte man Ferrari entsprechend bestraft. Es ist unglaublich, was da von einem Abkommen geschrieben wird.»
Wiederholt war die Rede davon, dass Ferrari ein überaus cleveres System gefunden habe, die Benzinfluss-Regelung zu umgehen – um kurzfristig mehr Leistung aus dem Motor zu holen. Als die Regelhüter mehr und mehr technische Direktiven veröffentlichten, was den Betrieb der 1,6-Liter-V6-Turbomotoren angeht, verschwand der markante Topspeed-Vorteil von Ferrari. Natürlich war das ein reiner Zufall.
Ferrari erklärte wiederholt, die weniger eindrucksvollen Topspeed-Werte gingen darauf zurück, dass mit mehr Abtrieb gefahren werde. Will heissen – mehr Speed in den Kurven, aber weniger Tempo auf den Geraden. Ferrari-Teamchef Mattia Binotto besteht bis heute darauf, dass ihr Motor zu jeder Zeit reglementskonform gewesen sei, ungeachtet zahlreicher Überprüfungen der FIA. Man habe am Betrieb des Motors nie etwas geändert.
In der Coronakrise hat die Formel 1 grössere Probleme als Fragen zum Ferrari-Motor, aber auch McLaren-Teamchef Andreas Seidl fand in einem Telefoninterview: «Ich sehe das etwas als verpasste Chance für Ferrari, sie hätten sich mit mehr Transparenz einen Gefallen tun können.»
McLaren-CEO Zak Brown hat die Aussagen von Ferrari-Teamchef Mattia Binotto im Guardian gelesen, als der Italiener davon sprach, Ferrari habe eine «ethische Pflicht, die Belegschaft zu schützen». Binotto ist der Ansicht, ein zu tiefer Budgetdeckel führe unweigerlich zu Entlassungen. Das sei nicht zu verantworten.
Der Kalifornier Brown in Autosport: «Ethische Pflicht gut und recht, aber wenn wir schon von Ethik sprechen, so wäre es ganz fabelhaft, wenn Mattia mit uns teilen würde, was in diesem geheimen Abkommen mit der FIA steht. Wenn wir von Ethik und Transparenz sprechen wollen, dann wäre das ein guter Anfang.»
Noch ist völlig offen, in welcher Form die besagten Ferrari-Gegner die Angelegenheit weiterverfolgen.