James Allison (Mercedes): «Kein Übergangsjahr»
Nur zwölf Wochen dauerte die Winterpause, in der sich bei Mercedes alles auf den W12 fokussierte, mit dem Champion Lewis Hamilton und sein Teamkollege Valtteri Bottas in diesem Jahr auf Punktejagd gehen werden. Das Auto basiert auf seinem Vorgänger, dennoch gab es Anpassungen am Aerodynamik-Reglement, die einige einschneidende Veränderungen zur Folge hatten.
Den grössten Unterschied stellt allerdings die Einführung der Budgetobergrenze dar, wie Technikchef James Allison erklärt: «Aufgrund des neuen finanziellen Reglements müssen wir unsere Ressourcen im Laufe des Jahres sehr überlegt einsetzen. Wir können während der Saison nicht mehr ein Update nach dem anderen bringen, sondern müssen uns stattdessen auf eine geringere Anzahl im Verlauf des Jahres konzentrieren und dabei sicherstellen, dass wir unser Budget bestmöglich und mit Bedacht auf unsere Upgrades verteilen.»
«Gleichzeitig gibt es in diesem Jahr einige wesentliche Veränderungen am aerodynamischen Reglement. Hinzukommen neue Reifen und Änderungen mit Blick auf die erlaubte Nutzung des Windkanals. All das zusammen sorgt dafür, dass wir vom erwarteten Übergangsjahr weit entfernt sind», fügt der Ingenieur an.
Mit Blick auf den neuen GP-Renner erzählt Allison: «Die mit Abstand umfangreichsten technischen Veränderungen entfielen auf die Anpassungen an das neue aerodynamische Reglement. Die Saison 2021 bringt tiefgreifende Veränderungen mit sich, die Einfluss auf die Performance des Unterbodens haben. Wenn man ein Auto verlangsamen möchte, was faktisch der Sinn hinter den Regeländerungen ist, sind Modifikationen am Unterboden der einfachste und kostengünstigste Weg, um dieses Ziel zu erreichen.»
«Der Unterboden ist eine so wichtige und integrale Komponente der Aerodynamik, dass schon kleine geometrische Veränderungen grosse Performance-Einbussen mit sich bringen. Nachdem die Regeln beschlossen waren, war es unsere Aufgabe, herauszufinden, wie wir die Verluste durch die Regeländerungen wieder zurückgewinnen können. Die restlichen Arbeiten an der Aerodynamik folgten dem üblichen Muster, um auf jedem Quadratzentimeter des Autos nach aerodynamischen Verbesserungsmöglichkeiten zu suchen», beschreibt der Brite.
«Besonderes Augenmerk lag dabei darauf, Bereiche zu finden, in denen wir zusätzliches Gewicht für raffiniertere aerodynamische Lösungen nutzen können. In der Saison 2021 dürfen die Autos 6 kg schwerer sein und uns stehen durch das Verbot von DAS noch ein paar zusätzliche Kilos zur Verfügung. Darüber hinaus sorgen die Übernahmeregeln dafür, dass wir Wege finden müssen, um einige Teile langlebiger zu machen, damit wir sie nicht mehr so oft ersetzen oder kaufen müssen. Gleichzeitig arbeiten unsere Kolleginnen und Kollegen im Motorenwerk mit Volldampf daran, Verbesserungen an der Antriebseinheit zu finden. Dabei müssen sie einen guten Schritt nach vorne liefern, da in diesem Jahr alle Steigerungen in einem Paket vereint werden müssen», erklärt Allison weiter.
Die wichtigsten Aerodynamik-Änderungen
Der 53-Jährige beschreibt die aerodynamischen Veränderungen eingehender: «Beginnen wir mit dem dreieckigen Ausschnitt an der Unterbodenkante. Dieser liegt direkt vor den Hinterrädern und verringert die Fläche und die Form des Unterbodens. Das mag nicht wie eine grosse Änderung aussehen, aber die Art und Weise wie der Unterboden und die Hinterreifen miteinander interagieren ist entscheidend für die Fahrzeug-Performance. Entsprechend hat dies einen grossen Einfluss auf den Abtrieb.»
«Die zweite Änderung bezieht sich auf die Belüftung der Hinterradbremsen», fährt Allison fort. «Diese wiesen aus unterschiedlichen Gründen diverse Winglets auf, die an der Bremsbelüftung angebracht sind und nach innen zur Mittelachse des Fahrzeugs zeigen. Diese Winglets erzeugen ein bisschen Abtrieb, aber viel wichtiger ist die Rolle, die sie bei der Interaktion zwischen den Hinterreifen und dem Unterboden spielen. Sie helfen dem Unterboden dabei, viel mehr Abtrieb zu erzeugen, als es die Winglets allein jemals könnten. Der Bereich dieser Winglets wurde um einige Zentimeter verringert, damit sie nicht mehr so sehr wie bisher mit dem Unterboden überlappen. Das wiederum führt zu einer Verringerung der Fahrzeug-Performance.»
«Die dritte Veränderung betrifft das Heck des Autos rund um den Diffusor. Wenn wir den Diffusor designen, achten wir darauf, den Luftstrom so gut wie möglich auszuweiten, ihn in diesem Zuge aber auch an der Oberfläche des Diffusors zu halten. Eine bessere Ausbreitung des Luftstroms sorgt für Unterdruck unter dem Auto, was wiederum einen grösseren Sog erzeugt, der zu mehr Abtrieb führt. Wenn man jedoch zu viel möchte und den Luftstrom zu schnell ausweitet, folgt er nicht der Form des Diffusors. Dann saust die Luft nicht nach oben, sondern trennt sich vom Auto. Ein solcher Strömungsabriss sorgt für einen drastischen Verlust an Abtrieb», erklärt der Profi.
«Ein Trick, um die Luft aggressiver zu verteilen, ohne dass es zu einem Strömungsabriss kommt, ist, den Diffusor in spezielle Bereiche zu unterteilen, die sorgfältig designte Abgrenzungen, also Umlenkbleche, aufweisen», weiss Allison. «Vor der Saison 2021 wurden die innenliegenden Umlenkbleche, die am nächsten an der Mittelachse des Autos liegen, um 50 mm verkürzt. Dadurch sitzen sie nicht mehr so nah am Boden wie zuvor. Durch das Verkürzen der Abgrenzungen teilen diese den Diffusor weniger effektiv in unterschiedliche Bereiche ein, wodurch sie die Ausbreitung der Luft weniger effizient kontrollieren können. All dies führt dazu, dass es schwieriger wird, bei der Diffusor-Ausbreitung aggressiv zu sein, was letztlich den Abtrieb des Autos verringert.»
«Die vierte und letzte Änderung betrifft die Kanten des Unterbodens in der Nähe der Bargeboards und der Lufteinlässe. In den vergangenen Jahren wiesen die Autos in diesem Abschnitt eine Reihe von Schlitzen im Unterboden auf, die beinahe wie Jalousien ausgesehen haben. Die neuen Regeln für 2021 verlangen, dass wir diese Schlitze schliessen. Das schränkt unsere Möglichkeiten ein, um an der Seite des Unterbodens Abtrieb zu erzeugen», fügt der Technikchef der Sternmarke an.
Noch will das Weltmeister-Team nicht alles preisgeben. «Den Teil, den wir nicht zeigen, ist unten an der Kante des Unterbodens. Da gibt es einige aerodynamische Details, die wir noch nicht offenbaren, weil wir nicht wollen, dass unsere Gegner sie schon sehen. Wir wollen nicht, dass sie etwas Ähnliches in ihren Windkanälen testen. Wir müssen das noch nicht zeigen, deshalb machen wir das auch nicht», erklärt Allison lächelnd.