Von Noida zum Buddh International Circuit
Jetzt ist Meister Propper gefragt
So schlimm, wie einige sagen, kann Indien nicht sein: Das Essen gestern hat mir weder die Magenwände zersetzt noch bin ich des Nachts Dauergast auf der Toilette gewesen. Dafür rieche ich nun – wie das ganze Hotel – nach Zitrus-Essenz, der Mücken wegen.
Unser Fahrer holt uns am Hotel ab. Es ist der gleiche wie gestern. Sein Englisch ist über Nacht nicht besser geworden, unser Indisch leider auch nicht.
Wir fahren los. Der Verkehr ist dünn. «Wir haben noch immer Feiertag», erinnert uns der Fahrer. Währenddessen blicke ich aus dem Fenster und sehe einer Kuh zu, die sich in einem Garten über einige grüne Leckerlis hermacht. Kühe stehen hier überall herum, sie fressen auch alles, keinen regt es auf, die Tiere gelten als heilig.
Auf der Schnellstrasse zur Rennstrecke erblicken wir, in loser Reihenfolge: Ein fürchterlich zerknülltes Autowrack eines Ambassador (gehen Sie mal ins Netz und sehen Sie sich an, wie die Modelle dieser Marke aussehen), vier Fahrzeuge und ein Tuk-Tuk mit je einem Platten, Radfahrer und Fussgänger, die uns entgegenkommen. Mein Fahrer biegt einmal falsch ab, er wendet unerschrocken und rast als Geisterfahrer zurück, ich werde leicht nervös, bis wir wieder auf dem Pfad der Tugend sind. Noch mehr Kühe. Noch mehr Fussgänger.
Der Smog ist unfassbar. Es schaut aus wie bei uns im November, nur gelber und heller. «Gegen Mittag reisst es auf», behauptet Pinocchio vor mir auf dem Fahrersitz. Erstaunlicherweise wird seine Nase nicht länger.
Vor der Rennstrecke werden Motor- und Kofferraum kontrolliert. «Wegen der Sicherheit», weiss mein Fahrer. Ich könnte dagegen in meinem Aktenkoffer etwas ganz und gar tickend Fatales dabei haben, es würde keiner bemerkt haben.
Die Rennanlage «Buddh International Circuit» (BIC) ist so schmutzig wie das ganze Land. Unfassbar, dass dies eine Strecke sein soll, die eben fertiggestellt wurde. Ich treffe einen ersten Mechaniker: «Schau dir mal die Bausubstanz an!» schimpft er. «Alles sieht aus wie zwanzig Jahre alt. Alles ist schräg. Dort drüben, die Team-Häuschen – keine einzige gerade Abdeckplatte. Schau die Treppe da an. Entweder ich habe gestern ein Kingfisher zu viel gehabt, oder es sind wirklich alle Stufen und Geländer schräg.»
Nein, am Bier-Konsum liegt das nicht.
In den Team-Gebäuden sind alle Europäer am Herumwuseln. «Du kannst dir nicht vorstellen, wie das ausgesehen hat, als wir ankamen», erzählt einer. «Wir haben dann gesagt, jetzt müsse subito jemand putzen kommen. Daraufhin rückten acht Inder an. Einer hat hin und wieder seinen Schrubber benutzt, die anderen sieben haben ihm dabei interessiert zugesehen. Dafür kommt seither alle paar Stunden jemand vorbei, der fragt, ob alles zu unserer Zufriedenheit sei …»
Ich trete auf die Start-Ziel-Gerade hinaus: Sie ist weisslich fleckig. «Das sind Gips- oder Farbspuren, wir sind nicht ganz sicher», weiss ein weiterer Mechaniker. «Sie probieren das seit gestern wegzuputzen, aber die Flecken widersetzen sich bislang allen Reinigungsversuchen.»
Die Boxengasse ist ein Witz: viel zu schmal, dafür ein Gelbstreifen. Pardon, ein Grünstreifen, aber eigentlich ist das Gras gelb, es wird kurzerhand grün gespritzt!
Die enge Gasse wird noch zu reden geben, da bin ich mir sicher. Die Boxenausfahrt ebenfalls – sie führt genau in den Weg der daherschiessenden Boliden.
Das Pressezentrum ist ein Abzieh-Bild von Abu Dhabi: Drei riesige Screens wie im Kontrollzentrum der NASA zu Houston, leider aber kein Blick auf die Strecke. Ein Mitarbeiter des BIC raunt mir zu: «Du bedauerst das? Dann wart mal ab, was los sein wird, sobald die TV-Reporter da sind – sie sitzen in fensterlosen Kabäuschen, nur mit einem Fernseher. Die werden vielleicht zetern …»
Ein Tontechniker probiert die Anlage aus: «Ich bin sehr froh über meinen zweiten Platz, aber Sebastian war heute nicht zu schlagen.» Die anderen Sound-Experten lachen sich schlapp. «Gut gesagt, Lewis …»
Überall im Fahrerlager flattern Schmetterlinge herum, das wirkt bei allem Schmutz etwas skurril. Ein weiteres Teammitglied schaut mit mir dem bildschönen Falter hinterher: «Dieses Land hat durchaus wundervolle Seiten, man muss sie einfach entdecken können …»