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Formel 1Kolumne
TV-Boykott: Heißer Herbst 1974 bei ARD und ZDF
​Vor 50 Jahren sorgte die Absetzung von Rennsport-Übertragungen für Empörung bei den Fans. Grund dafür war Werbung.
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Zoff wegen Werbung: ARD-Mann Rauschenbach (links), Jägermeister-Boss MastZoff wegen Werbung: ARD-Mann Rauschenbach (links), Jägermeister-Boss MastFoto: ARD/Jägermeister
Zoff wegen Werbung: ARD-Mann Rauschenbach (links), Jägermeister-Boss Mast© ARD/Jägermeister
Die Begrüßung von ARD-Moderator Hans-Joachim Rauschenbach zu Beginn einer sonntäglichen "Sportschau" im August 1974 schockte Millionen von Rennsport-Fans. "Wegen permanenter Werbung auf dem Österreichring müssen wir leider auf die geplante Formel 1-Übertragung sowie auch anderer Rennveranstaltungen bis auf Weiteres verzichten. Dies geschieht in voller Übereinstimmung mit den Kollegen des ZDF."
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Und ZDF-Mann Hanns-Joachim Friedrichs ergänzte: "Wir werden künftig keine Autorennen mehr übertragen, die auf Strecken mit beweglichen oder festen Werbetafeln stattfinden." ARD-Sportkoordinator Hans Heinrich Isenbart meldete sich ebenfalls zu Wort: "Rennen ja, aber bei Spirituosen und Zigaretten-Werbung sagen wir nein. Da müssen sich Veranstalter und Rennteams eben andere Finanzierungs-Möglichkeiten einfallen lassen." Soweit die Statements von ARD und ZDF nach der Absetzung des Österreich-GP sowie weiterer Übertragungen. Stattdessen gab es nur Wortmeldungen und Ergebnisse im Nachrichtenformat.
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Die Folge war ein Proteststurm, wie ihn beide TV-Anstalten nur selten zuvor erlebt hatten. Zeitweise brachen die Telefonzentralen beider Sender wegen Überlastung zusammen. Überliefert ist auch, dass Telefonistinnen der TV-Anstalten üble Beschimpfungen über sich ergehen lassen mussten und teilweise heulend von ihrem Arbeitsplatz flüchteten. Die TV-Verantwortlichen rechtfertigten derweil ihre Entscheidung und nannten nochmals die bewegliche sowie Alkohol- und Tabak-Werbung auf den Rennstrecken als Hauptgrund. Vor allem Martini und Jägermeister galten den den TV-Gewaltigen als ein Dorn im Auge. Während der Shitstorm und die Proteste gegen den Boykott unvermindert anhielten, zeigten die gegeißelten Sponsoren-Vertreter trotzig Flagge: "Jetzt werden wir noch mehr Werbung platzieren – und wenn das Fernsehen noch so jault und jammert", ließ Jägermeister-Chef Günther Mast ausrichten, "und außerdem können wir denen auch mal unseren Werbehahn zudrehen." Und Martini-Werbepapst Paul Goppert prophezeite gegenüber der Fachpresse: "Die werden schon bald wieder senden, notfalls helfen wir mit einem Gerichtsbeschluss ein bisschen nach." Goppert zog tatsächlich gegen das ZDF vor Gericht, nachdem der Sender schon zuvor Ende Juni am Norisring gefordert hatte, die beweglichen Martini-Aufsteller zu versetzen und damit aus dem Schwenkbereich der Kameras zu nehmen. Überdies wurden mindestens drei Fahrer seitens des ZDF aufgefordert, ihre Martini-Schriftzüge auf den Rennautos für die Dauer der Norisring-Übertragung abzudecken. Das Landgericht Mainz urteilte damals in erster Instanz im Wortlaut: "Dem ZDF wird untersagt, Werbetafeln der Klägerin abzudecken, zu versetzen oder entsprechende Forderungen an die Sportveranstalter zu richten." Rechtskräftig wurde das Urteil allerdings nie, denn das ZDF zog vors OLG Koblenz in die Berufung. Hier kam es dann zu einem Vergleich, nach dem die Parteien aufgefordert wurden, das Problem einer Verhandlungslösung zuzuführen. Martini-Werbechef Goppert war von seiner Direktion in Italien vorsorglich schon während der Berufungsverhandlung zurückgepfiffen worden, weil die Italiener einem Dauerstreit mit dem ZDF letztlich doch aus dem Weg gehen wollten. Immerhin aber führten die Richter damals aus, "dass artfremde Werbung bei Sportveranstaltungen kein Kriterium ist, nach dem sich ihre Zulassung beurteilen lässt". Und weiter: "Werbung bei Sportveranstaltungen richtet sich an das anwesende Publikum und nicht ans Fernsehen." Unterdessen meldete sich auch der mächtige Jägermeister-Chef Günther Mast (den die TV-Macher neben Martini besonders im Visier hatten) erneut zu Wort: "Die großen Sponsorfirmen im Sport sind darin einig, dass sich das Fernsehen solche Possen auf lange Sicht gar nicht leisten kann. Wir werden unsere Jägermeister-Werbung in ausgewählten Rennserien jetzt erst recht platzieren und sogar noch verstärken." Letztlich sollten Mast und Goppert recht behalten – schon bald wurde der Boykott Zug um Zug aufgeweicht und bei Formel 1-, Sportwagen- und DRM-Rennen flitzten die ersten Fahrzeuge mit Martini-Werbung oder gar in orangefarbener Jägermeister-Ganzlackierung wieder über die Bildschirme. Und Martini-Werbung mit Aufstellern und Spannbändern gabs auch wieder. Aber der nächste Streit war schon programmiert – jetzt gings um jene Werbung, die nicht von Saisonbeginn an auf Autos oder Overalls drauf war, also praktisch als fester saisonaler Bestandteil galt. Aus Sicht der TV-Macher zählten dazu Firmen-Logos oder Schriftzüge, die nur zu bestimmten Rennen oder speziellen Anlässen schnell mal aufs Auto oder den Overall geklebt wurden, um im TV-Bild präsent zu sein. Besonders genau nahms das ZDF mit den PS-Gästen seines "Aktuellen Sportstudios". Wer in den 70er-Jahren im Overall samt Rennauto dort auftreten durfte, musste sich erst mal einer Art "Sittenprüfung" stellen. So mussten bei einigen Rennautos samt deren Piloten die vorher schnell fixierte Werbung vor Beginn der Sendung wieder entfernt werden. Und mancher Studiogast stand vor der Alternative – entweder Werbung runter oder kein Auftritt. Im Laufe der Jahre haben die TV-Anstalten gelernt, die Dinge mit Blick auf ein störungsfreies Verhältnis zur eigenen Werbekundschaft lockerer zu sehen. Mit dem Resultat, dass bald wieder mehr und mehr live oder als Zusammenschnitt übertragen wurde. Mit Beginn der Ära Stefan Bellof Anfang der 80er-Jahre, den populären DTM-Jahren danach und den späteren F1-Auftritten von Michael Schumacher wurde sogar ein neuer Rekord an Live-Übertragungen insbesondere beim ZDF registriert. Allerdings einigte man sich im Laufe der Zeit auf ein generelles Werbeverbot für Tabak und Alkohol-Produkte, das bis heute Gültigkeit hat und wohl auch für alle kommenden Zeiten bestehen bleibt.
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