Kimi Räikkönen: Zu wenig aus seinem Talent gemacht?
Der Finne Kimi Räikkönen gehört zu den erfolgreichsten Formel-1-Fahrern: Nur 16 Fahrer haben mehr als 20 WM-Läufe gewonnen, zu diesem exklusiven Klub gehört auch Kimi, mit 21 Volltreffern.
2007 erfüllte sich Kimi Räikkönen seinen Lebenstraum: Er wurde Formel-1-Weltmeister, als Ferrari-Fahrer beim dramatischen Finale von Brasilien gegen das McLaren-Duo Fernando Alonso und Lewis Hamilton.
Von Australien 2001 (mit Sauber) bis Abu Dhabi 2021 (mit dem von Sauber gebauten Alfa Romeo) bestritt der «Iceman» 349 Formel-1-WM-Läufe: 18 Pole-Positions, 46 beste Rennrunden (nur Michael Schumacher und Lewis Hamilton haben mehr, 77 und 67), 21 GP-Siege, sechs Mal unter den besten Drei der Formel-1-WM.
Von 2002 bis 2004 fuhr der Schotte David Coulthard bei McLaren an der Seite von Räikkönen. Im Podcast Red Flags sagt der 13-fache GP-Sieger Coulthard über Kimi: «Er hatte unfassbar viel Talent. Aber stell dir vor, er gewann die Fahrer-WM nur einmal. Hätte Kimi die Arbeitseinstellung eines Michael Schumacher gehabt, hätte er mehr Titel erobern können.»
Coulthard weiter: «Michael war die ganze Zeit über am Testen, er war ständig in der Rennwagenfabrik. Wenn die Ingenieure und Mechaniker einen solchen Einsatz erleben, dann beflügelt sie das. Das ist der Kraftstoff, mit dem sie laufen.»
«Ich bin überzeugt: Bei vielen Fahrern, auch bei Kimi, macht unterm Strich die Arbeits-Ethik den Unterschied aus, ob du eben nur einmal Weltmeister wirst oder den Titel mehrfach holst.»
GP-Debüt fast verhindert
Ich erinnere mich gut an den Wirbel im Jahre 2001, den es damals um den Sauber-Rookie Kimi Räikkönen gab. Denn Räikkönen brachte die geballte Erfahrung von exakt 23 Autorennen mit in die Formel 1. Das wäre heute undenkbar.
Teamchef Peter Sauber glaubte nach Testfahrten fest an Kimi, McLaren-Teamchef Ron Dennis hingegen polterte, mit so wenig Rennpraxis sei dieser Räikkönen doch wohl eher eine rollende Gefahr.
Der Formel-1-Führerschein Superlizenz wurde damals nur auf Bewährung ausgestellt, mit dem Vorbehalt, dass er Kimi jederzeit wieder entzogen werden kann.
Aber der Finne eroberte im ersten Rennen in Melbourne gleich den ersten Punkt (als Sechster, damals hatten wir ein anderes Punktesystem), und es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass im Sommer ausgerechnet jener Mann Jagd auf Räikkönen machte, der dessen Debüt so hart kritisiert hatte: Ron Dennis. Ab 2002 sass Kimi Räikkönen in einem McLaren.
Hätten Sie es gewusst? Dank McLaren kam Kimi zum Spitznamen «Iceman». Ron Dennis nannte Räikkönen aufgrund seiner kühlen Art zunächst «Ice-Kid», doch das fand wenig Anklang, zumal Kimi ziemlich schnell vom Jungen zum Mann reifte – damit war «Iceman» gefunden, ohne Bindestrich.
Kimi selber liess sich das 2008 auf den linken Unterarm tätowieren und fährt auch mit entsprechendem Schriftzug an der Rückseite seines Helms.
Kimi war schlichtweg die coolste Formel-1-Socke, mit einer globalen Anhängerschaft, nach welcher sich die meisten anderen Piloten nur die Finger lecken können. Seiner Popularität schadete die langjährige Verweigerung sozialer Netzwerke nicht im Geringsten.
«Der unbekannte Kimi Räikkönen» war seine Autobiographie ist ein überaus passender Titel: Der «Iceman» gab über sein Privatleben so gut wie nichts bekannt. Als er – ermuntert von Gattin Minttu Virtanen – bei Instagram einstieg, war das eine glatte Sensation.
Der 21fache GP-Sieger in der Öffentlichkeit: jahrelang sperrig und introvertiert, erst im Winter seiner Karriere bei Alfa Romeo taute er ein wenig auf.
Als Siegfahrer bei McLaren und Ferrari war nach einem Qualifying jeweils Zeit für das beliebte Räikkönen-Bingo: Wie viele der üblichen Stehsätze würde Kimi dieses Mal wohl sagen?
«Das Rennen ist morgen.» Bingo!
«Ich will gewinnen.» Bingo!
«Das wird ein langes Rennen.» Bingo!
«Ich bin enttäuscht.» Bingo!
«Es war schwierig.» Bingo!
Kimi Räikkönen war vielleicht der letzte Formel-1-Pilot, der in der Tradition früherer Haudegen aus dem Holz von Clay Regazzoni oder James Hunt antrat, wie Ex-McLaren-Teamchef Martin Whitmarsh präzisierte.
Dem Magazin «Motor Sport» sagte Whitmarsh: «Ich kann mich an ein Rennen an Montreal erinnern, das innerhalb von acht Tagen mit jenem von Indianapolis stattfand. Am Sonntagabend teilte Kimi mit, er jette jetzt nach Las Vegas, um mit seinen Kumpels zu feiern. Ich sagte: „Kimi, unterm Strich bist du erwachsen und musst wissen, was du tust. Aber stell dir einfach mal die Frage: Wenn du in sechs Tagen in Indy die Pole um wenig Hundertstel verhaust, weil die Vorbereitung vielleicht nicht so ideal war, würdest du dir dann nicht in den Hintern treten?“ Er hat gelacht, genickt – und ist dann nach Las Vegas abgehauen. So war er halt.»