Makaber: Sotschi, einzige GP-Rennstrecke mit Friedhof
Das Olympia-Gelände von Sotschi. Rechts der kreisrunde Friedhof
Für keine Anlage Olympischer Winterspiele ist ein solcher Aufwand betrieben worden: Die Spiele vom Sotschi 2014 sprengen jeden Rahmen, Russland will sich im nächsten Februar so vorteilhaft wie möglich darstellen. Das eindrucksvolle Gelände, auf dem im November 2014 der Premieren-GP von Russland gefahren wird, begann gewissermassen als weisses Blatt Papier; allerdings als ein Blatt mit einem kleinen Fleck. Denn es dürfte sich um die einzige Olympia-Anlage und spätere Rennstrecke handeln, auf welchen ein Friedhof zu finden ist!
Was wie schwarzer Humor aus Grossbritannien klingt, ist Realität am Schwarzen Meer: Der kreisrunde, mit Bäumen geschmückte Bereich, auf unserem Bild gleich neben dem Skelett des Olympischen Stadions zu erkennen, ist die letzte Ruhestätte einer Puristensekte der russisch-orthodoxen Kirche. Aus moralischen Gründen, möglicherweise jedoch aus zwingend rechtlichen, ist der kleine Fleck inmitten des Baubetriebs der einzige Ort, an dem die Zeit stillzustehen scheint.
Der Friedhof wird auf diese Weise auch zu einem Symbol für jene, die umgesiedelt wurden, um für die Prestigeveranstaltung Olympische Spiele Platz zu machen. Dieser Prozess begann vor sechs Jahren, kurz nachdem beschlossen war, dass Sotschi die Winterspiele 2014 erhält. Der Umsiedelungsprozess ist von Menschenrechtsgruppierungen argwöhnisch verfolgt worden. Aber Dmitry Chernyschenko, Geschäftsleiter des russischen Organisationskomitees, hält gegenüber der «New York Times» fest: «Alle, die umgesiedelt werden mussten, erhielten einen fairen Deal. Angesichts der Mittel, die wir für dieses Projekt einsetzen, wäre es völlig unangemessen, am Geld für diese Menschen zu sparen.»
Das zuvor meist als Acker- oder Weideland genützte Gelände geht auf Siedler zurück, die sich vor ziemlich genau hundert Jahren dort niedergelassen hatten. Die meisten von ihnen gehören einer Puristensekte der russisch-orthodoxen Kirche an, sie wurden in Russland jahrelang verfolgt, viele wanderten aus. Zar Nikolas II. lud sie zurück ins Land ein, die erste Siedlung entstand 1911. 1915 wurde der Friedhof gebaut.
Wer umgesiedelt wurde, jedoch den Friedhof besuchen möche, erhält besondere Durchgangspässe aufs Olympia-Gelände. Das dürfte sich auch nicht ändern, wenn in mehr als einem Jahr die Formel 1 in die Stadt kommt.
Ein Friedhof auf einer Rennanlage, das mag manchem etwas makaber vorkommen. Ein schlechtes Omen muss es dennoch nicht sein: Der Italiener Arturo Merzario fuhr jahrelang mit Werbung für ein Firma, die Menschen zur letzten Ruhe bettete, auf dem Strassenkurs von Phoenix (Arizona) rasten die Rennwagen an einem Bestattungsunternehmen vorbei.