Katar-GP: Schlafwandler, Reichtum, keine Fussball-WM?
Es spielt keine Rolle, ob man vier, drei oder zwei Stunden vor Trainingsbeginn vom Hotel in Doha an die Rennstrecke rausfährt. Mit einem Verkehrsstau ist nicht zu rechnen. Selbst am Sonntag kommen kaum 1000 Zuschauer.
Auf dem letzten Kilometer zwischen der Autobahn und dem Losail International Circuit war nur der Honda Civic von Stefan und Helmut Bradl vor mir zu sehen. Honda Qatar hat ihn zur Verfügung gestellt udn beschriftet.
Und links bei der Zufahrt ein neues Riesengebäude? Ein Stadion für die Fussball-WM 2022?
Nein, ein neues Sportzentrum, das eigentlich nur für 2015 errichtet wird und die Spiele zur Handball-WM beherbergen wird.
Doha ist anders.
Die Anzahl der Wolkenkratzer scheint sich von Jahr zu Jahr zu verdoppeln. Nirgendwo sonst auf der Welt sieht man so viele Baukräne pro Quadratkilometer wie in der Hauptstadt des Scheichtums Katar, das als grösster Flüssiggas-Exporteur der Welt gilt und in Geld schwimmt.
Zwischen Doha und dem Losail Circuit entsteht eine neue Satellitenstadt namens Losail City für fast 300.000 Einwohner. 2 km lang stehen rechts von der Autobahn Schotter-Lkw in Reih und Glied, bei fast 40 Grad Hitze, 24 Stunden am Tag.
Es werden endlose Milliarden investiert
Die Regierung von Katar hat im letzten Fiskalhalbjahr die Investitionen um 33 Prozent erhöht, auf unfassbare 19 Milliarden Euro. Insgesamt sollen in diesem Jahr 42 Milliarden investiert werden. Es geht in erster Linie um Infrastrukturprojekte wie die Metro, den Hafen und den neuen gigantischen Hamad International Airport, der Mitte April eröffnet wird. Schon im Fiskaljahr 2013 wurden 14 Milliarden ausgegeben.
Dank des Gasvorkommens erzielte Katar in den letzten sechs Monaten trotzdem einen Budgetüberschuss von 5 Milliarden Euro. Weitere 28 Milliarden Euro an Investitionen sind in den nächsten Jahren bis zur Fussball-WM budgetiert.
Es gibt keine Einkommenssteuer, das Gesundheitswesen ist für alle Einwohner kostenlos. Eine Schulpflicht besteht nicht. Jeder Bedürftige bekommt vom Staat rund 500 US-Dollar im Monat.
Die Einwohnerzahl hat sich von 744.000 im Jahr 2004 inzwischen auf 2,1 Millionen erhöht. Nur rund 250.000 Einwohner sind arabischer Abstammung und haben katarische Staatsangehörigkeit. Katar erstreckt sich auf einer Fläche von nur 11.606 Quadratkilometer; 180 km sind es von der Nordspitze bis in den südlichsten Zipfel, von West nach Ost dehnt sich das Land nur 80 km aus.
Doha dürfte die höchste Porsche-Cayenne-Dichte der Welt haben, mit meinem kümmerlichen Peugeot-208-Leihauto komme ich mir zwischen all den riesigen SUV ein bisschen verloren vor.
Spritsparen ist in der Wüste nicht angesagt: 1 Liter Treibstoff kostet 17 Euro-Cent.
Und dass man mit den 1600 Lichtquellen des Losail Circuit einen Boulevard von Doha bis Moskau taghell erleuchten könnte, haben wir auch schon oft genug erwähnt.
Der Motorrad-GP hat inzwischen Tradition, das Wetter ist um diese Jahreszeit erträglich, maximal 28 Grad. Bei den ersten Rennen im Oktober wurde noch am helllichten Tag gefahren, teilweise bei 45 Grad. In der Früh um 8 Uhr stieg ich damals bei 38 Grad ins Leihauto.
Im ersten Flutlichtjahr 2008 wurde am Donnerstag nicht trainiert, deshalb musste am Freitag und Samstag teilweise bis 1.30 Uhr gefahren werden.
Ich erinnere mich noch, dass ich damals Montagfrüh um 6.35 Uhr im Media Centre zusammenpackte.
Mein Kollege Michael Scott räumte auch gerade seinen Computer ein. «Bist du fertig», erkundigte ich mich bei ihm.
«I have finished and I am finished», erwiderte er mit britischen Humor. Frei übersetzt: «Ich bin fertig und habe fertig.»
Der GP-Zirkus wird nachtaktiv
Man wird bei so einem Nachtrennen zum Schlafwandler. Bei den Europa-Rennen beginnt das Training um 9 Uhr, irgendwann nach 16 Uhr ist es zu Ende. Man geht irgendwann um 13 Uhr oder 13.30 Uhr Mittagessen, um 20 Uhr Abendessen.
Gestern Donnerstag habe ich das Pressezentrum um 1 Uhr nachts verlassen, dann kommt man um 1.30 Uhr ins Hotel, der Magen knurrt, man hat 12 Stunden lang nichts zu sich genommen ausser ein paar Tassen Tee und einer Banane. Im Hotelzimmer liegen ein paar Weintrauben herum. Immerhin.
Irgendwann um 3 Uhr schläft man ein, man könnte eigentlich bis zu Mittag schlafen, aber man erwacht um 9 Uhr. Das Training beginnt erst in neun Stunden!
In Europa? Man steht am GP-Weekend vielleicht um 7 Uhr auf, Frühstück um 7.30 Uhr. um 8.30 Uhr trudelt man im Paddock ein.
In Katar? Frühstück von 10.15 Uhr bis 12 Uhr, in Gesellschlaft von Stefan und Helmut Bradl, am Nebentisch Cal Crutchlow mit seiner Gattin und Manager Bob Moore sowie Randy Mamola.
«Stefan, wie gut sind die harten Reifen hier», erkundigt sich der Ducati-Star.
«Unbrauchbar, man kann einfach nur rumfahren damit. Die weichen fühlen sich nach drei Runden genau so an», lautet die Antwort.
Gegen 16 Uhr bin ich heute wieder an der Strecke eingetroffen. Alex Cudlin hat gerade einen Lauf zur katarischen Superbike-Meisterschaft gewonnen; Nina Prinz ist auf Platz 5 gelandet. Übrigens: Das Flutlicht wird vier Tage lang gar nicht ausgeschaltet. Der Begriff Energiesparen kommt im Vokabular der Katari nicht vor,
Auf dem Weg zur Rennstrecke fährt man bei einem Fussballstadion vorbei, das schon seit zehn Jahren dort steht. Vielleicht hat Stefan Effenberg dort gekickt. Da fallen mir die Worte eines syrischen FIFA-Funktionärs ein, den ich am Emirates-Flug von Zürich nach Dubai getroffen habe.
«Die Fussball-WM in Katar wird sowieso nicht stattfinden», sagte er im Brustton der Überzeugung.
«Wegen der Hitze im Sommer oder wegen der Korruption», erkundige ich mich. Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen: «Wegen beidem.»
Dann sagt der gute Mann noch: «In Syrien lebt man auf 80 Prozent des Staatsgebiets ungefährlich. Wir führen sogar die Fussball-Meisterschaft problemlos durch.» Reisen bildet.
In Katar fühlt man sich sicher. Denn die Herrscher haben einst einen Deal mit Al Qaida gemacht und beherbergen deren Belangsender Al Jazeera. Der Deal mit Osama Bin Laden lautete damals: Wir lassen Al Jazeera aus Doha senden, ihr verschont uns dafür mit dem Terror.
Katar ist deswegen wohl das einzige arabische Land im Mittleren Osten, in dem noch nie eine Bombe hochgegangen ist.