Fix: MotoGP-Finale nicht in Valencia

Jorge Lorenzo: Ducati hatte zuwenig Geduld mit ihm

Kolumne von Günther Wiesinger
Die MotoGP-Klasse hat in den letzten 15 Jahren nicht viele Fahrer vom Kaliber Jorge Lorenzos erlebt. Deshalb war es ein Fehler von Ducati, ihn gehen zu lassen – vor allem zu Honda.

Ducati hat 2018 drei MotoGP-Rennen dank Jorge Lorenzo in souveräner Manier gewonnen. Aber dieser Triumph hat einen bitteren Beigeschmack. Denn schon nach dem ersten Sieg von Jorge Lorenzo in Mugello sagte dessen Manager Albert Valera zu Ducati-Sportdirektor Paolo Ciabatti unmittelbar nach der Zieldurchfahrt: «Es ist zu spät.»

Dazu muss man wissen: Ducati hatte immer betont, man werde die Besetzung des Werksteams für 2019 bis zum Mugello-GP festlegen.

Tatsächlich wurde der Vertrag von Vizeweltmeister Andrea Dovizioso schon vorher verlängert. Er hat 2017 sechs GP-Siege gefeiert, 2018 den Auftakt in Doha gewonnen und war dann WM-Leader, obwohl er in Las Termas nur Sechster und in Austin nur Fünfter wurde.

Dovis Verpflichtung hatte bei Ducati Vorrang, denn Lorenzo sammelte bei den ersten vier Rennen nur sechs Punkte ein.

Das muss man sich in Erinnerung rufen, wenn man den Ducati-Chefs Domenicali, Dall’Igna, Ciabatti und Tardozzi den Vorwurf machen will, sie hätten auf Jorge Lorenzo besser aufpassen und ihn nicht zu Repsol-Honda gehen lassen sollen.

Aber: Jack Miller (4. in Le Mans) und Danilo Petrucci (2. in Le Mans) aus dem Pramac-Ducati-Kundenteam brachten im Frühjahr stärkere Leistungen als der 25-Millionen-Mann aus Mallorca.

Sogar Petrucci lag im Frühjahr noch an fünfter Stelle der WM – als bester Ducati-Pilot. Lorenzo und Dovizioso hielten sich nach dem Mugello-GP mit je 66 Punkten auf den Rängen 6 und 7.

Ja, klar, mit dem Wissenstand vom Sommer 2017 nach drei fuliuminenten Siegen hätte Ducati an Lorenzo festhalten müssen.

Jorge Lorenzo: Bei Ducati nicht gescheitert

Aber es zeichnet sich spätetens in Jerez 2018 ab, dass Jorge seinen Frieden mit der Desmosedici geschlossen hatte und damit nicht scheitern würde wie Bayliss, Gibernau, Melandri, Rossi und andere. Lorenzo hätte schon den Sepang-GP 2017 für Ducati gewonnen, aber er musste Dovi vorbei lassen.

Jetzt erst erinnern wir uns wieder an die vielen makellosen Auftritte von Lorenzo auf der Yamaha, an seine zahlreichen fahrerischen Geniestreiche. Er räumte mit der M1-YZR-Maschine nicht weniger als 44 Siege ab. Und er entzauberte keinen Geringeren als Valentino Rossi, denn er gewann seit dessen letztem Titelgewinn 2009 drei Titel für Yamaha – 2010, 2012 und 2015.

Aber wir erinnern und auch daran, dass Jorge bei Ducati oft ratlos und verzweifelt wirkte und dass ihn sogar Tito Rabat auf der 2017-Ducati 2018 schon mehrmals in den Schatten gestellt hat.

Also war es betriebswirtschaftlich sinnvoll von Ducati, über einen Wechsel Petrucci gegen Lorenzo nachzudenken. Petrucci fuhr im Vorjahr noch für 200.000 Euro, 2018 vielleicht für 400.000.-

Auch wenn ihn bisher niemand der Liga von Márquez, Rossi und Lorenzo zurechnet, so schien er eine sinnvolle Lösung als Teamkollege von Dovizioso zu sein, der sowieso als neuer Superstar gilt, der Márquez 2017 in Spielberg und Motegi und 2018 in Katar im direkten Zweikampf in der Zielkurve mutig in die Schranken wies und jetzt zweimal Vizeweltmeister wurde.

Aber Ducati-CEO Claudio Domenicali und seine Mitstreiter hätten in der Euphorie der Dovizioso-Erfolge mehr Spitzengefühl und Diplomatie zeigen sollen.

Domenicali äußerte ausgerechnet eine Woche vor dem Mugello-GP öffentlich Kritik an Lorenzo.

Immer wieder wurde auch Jorges Traumgage ins Spiel gebracht.

Aber wer hat sie ihm angeboten und bezahlt? Ducati!

Auch Rossi war in der zweiten Ducati-Saison für die nachfolgende Saison 2013 noch mit einer 17-Mio-Euro-Offerte (für ein Jahr) gelockt worden.

Ducati hatte sich mit der Verpflichtung des dreifachen MotoGP-Weltmeisters Jorge Lorenzo eine Abkürzung zum WM-Titel erhofft.

Man meinte, mit ihm könne man 2017 auf Anhieb die WM gewinnen, erstmals seit Casey Stoner 2007, obwohl die Desmosedici noch kein Motorrad für alle Pisten war und ist.

Nach dem Mugello-Sieg von Lorenzo vollführte Domenicali eine rhetorische Kehrtwende. Er traute Lorenzo plötzlich den Titelgewinn 2018 zu.

Naja,nach dem Aragón-Sturz-Desaster wurde daraus nur der neunte WM-Rang, 187 Punkte hinter Márquez.

Im Sommer kamen mit Assen und Sachsenring zwei Rennstrecken, die für Ducati immer problematisch waren und auf denen bisher kein Sieg der Roten errungen wurde. Casey Stoner gewann 2007 zehn Grand Prix, Assen und Sachsenring waren nicht dabei, auch Capirossi gelang dort kein Sieg.

Aber im August triumphierte Dovizioso in Brünn (dort siegte Stoner 2007) und Lorenzo eine Woche später in Spielberg. Ducati hat in Österreich 2016 mit Iannone den ersten GP-Sieg seit 2010 (Stoner) einfuhr; Dovizioso wurde Zweiter. 2017 siegte dort Dovizioso von Márquez, die Desmosedici blieb also bisher in der Steiermark ungeschlagen.

Die MotoGP-Szene blieb 2018 jederzeit spannend. Yamaha rannte lang einem Sieg nach, triumphierte aber mit Viñales in Australien, Rossi führte in Sepang und Valencia – jeweils bis zum Sturz. Und Suzuki heimste nicht weniger als neun Podestplätze ein.

Es dauerte 2018 einige Zeit, bis Dovizioso (Stürze in Jerez, Le Mans und Barcelona) wieder aus dem Schatten von Lorenzo treten und beweisen konnte, dass er wirklich dauerhaft ein fahrerisches Kaliber sein kann wie die Top-3. Er zeigte ab Brünn starke Leistungen, gewann aber «nur» vier Rennen (2017 waren es sechs), es reichte trotzdem für den zweiten WM-Rang.

Erstaunlich war im Mai und Juni, dass Jorge Lorenzo und sein Manager Albert Valera den Repsol-Honda-Deal so lange geheim halten konnten, den sie nach dem Le Mans-GP Mitte Mai eingefädelt hatten.

In Mugello wurde die Öffentlichkeit noch durch ein SKY-TV-Interview mit Lin Jarvis hinters Licht geführt.

Lin Jarvis, Managing Director von Yamaha Factory Racing, hatte in Mugello am Donnerstag auf die Frage des TV-Reporters von Sky Sports, ob er sich vorstellen könne, dass Lorenzo zu Yamaha zurückkehrt, auf Italienisch vielsagend geantwortet: «Puó essere.»

Das bedeutet: «Es ist möglich.» Oder: «Kann sein.»

Die erste Frage an Jarvis samt dessen Antwort hatte Sky Sports nicht gesendet. Diese lautete: «Halten Sie einen Rücktritt von Jorge Lorenzo für möglich? Die Antwort von Jarvis: «Puó essere.»

Danach mutmaßten alle Berichterstatter, Lorenzo werde zu Yamaha zurückkehren, und zwar zum neuen Petronas-Kundenteam.

Aber diese Einschätzung war grundlegend falsch.

Seither lachen sich Honda, Repsol und Red Bull ins Fäustchen. Der Coup des Jahrzehnts ist gelungen.

Ducati: Zu wenig Geduld mit Lorenzo?

Bei Ducati wird man voraussichtlich noch oft bereuen, mit Lorenzo keine zukunftsträchtige Lösung gefunden zu haben.

Klar, Petrucci kostet 1 Million, Lorenzo hätte man 3, 4, 5 oder mehr Millionen pro Jahr anbieten müssen.

Aber man hätte einen Superstar für zwei weitere Jahre im Team gehabt, als «back-up» für Dovizioso. Und wer in der MotoGP-WM Erfolg haben will, muss tief in die Tasche greifen. Sparsamkeit ist eine Tugend, aber in der MotoGP kein taugliches Erfolgsrezept.

Doch Ducati muss sich nach der Decke strecken, die Roten haben im Dezember 2017 Sponsor TIM verloren, Lenovo und NETAPP kamen neu an Bord, man musste aber zuerst einmal klären, welches Fahrerbudget für 2019 verfügbar ist.

Ein klarer Nachteil gegenüber Eigentümer-geführten Unternehmen wie KTM: Dort wurde Johann Zarco im Winter schon für 2019 engagiert, weil ihn der Vorstandsvorsitzende Stefan Pierer unbedingt haben wollte. Das Budget wurde nachgereicht.

KTM hat auch den Deal für 2019 mit dem Tech3-Kundenteam schon im Januar 2018 besiegelt, als die Konkurrenz noch mit der Vorbereitung der Saison 20918 beschäftigt war.

Was lernen wir daraus? Wer sparen will, wird in der MotoGP-Weltmeisterschaft nicht für Furore sorgen.

Suzuki Ecstar wird vielleicht auch noch bereuen, dass sie Andrea Iannone gehen lassen und mit Rins (22) und Mir (20) gegen die Staraufgebote von Honda, Yamaha, Ducati, KTM und Aprilia antreten. Lorenzi hätten sie auch haben können, er hätte sogar 3 Millionen von Monster mitgebracht.

Jorge Lorenzo war zuletzt auf der Honda beim Jerez-Test schon Fünfter und Márquez Dritter. Jorge wird also aller Voraussicht nach nach seinen Erfolgen mit Yamaha und Ducati auch auf Honda gewinnen. Wenn ihm das gelingt, wird er zu einer kleinen Gruppe von vielseitigen Ausnahmekönnern gehören.

Nur folgende Fahrer haben in der «premier class» auf drei unterschiedlichen Fabrikaten gewonnen:

Mike Hailwood auf Norton, MV Agusta, Honda.
Eddie Lawson auf Yamaha, Honda, Cagiva.
Randy Mamola auf Suzuki, Honda, Yamaha.
Loris Capirossi auf Yamaha, Honda und Ducati.

Selbst Valentino Rossi hat es bisher nur auf Honda und Yamaha zu Siegen in der Königsklasse gebracht.

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