Aleksandr Tonkov: 'Russisch Roulette' mit Wirbelbruch
Aleksandr Tonkov bangt wegen eines Stempeleintrags um seine Karriere
Aleksandr Tonkov, der seinen Stammplatz im Team Wilvo Yamaha bereits an Arnaud Tonus verloren hat, kämpft verbittert um seine Rückkehr in die WM. Das eigentliche Problem für Tonkov ist nicht seine Ausreise aus Russland, sondern die Einreise in die EU.
Gegenüber mxvice.com erklärte Tonkov nun Einzelheiten einer tragischen Geschichte, die mit mehreren Wirbelbrüchen im Sommer begann.
«Ich hatte im Sommer zwei gebrochene Wirbel. Während dieser Zeit war ich in Prag. Danach wollte ich nach Russland fliegen, um dort meine Familie zu besuchen. Bei der Grenzkontrolle wurde ich aufgehalten, weil ein falscher Stempeleintrag in meinem Reisepass war. Das 'Falsche' daran war, dass das Datum ein oder zwei Monate in der Zukunft lag. Ich reiste im Juni, der Stempel aber hatte das Datum Oktober oder November. Das war das Problem. Daraufhin unterstellte man mir Urkundenfälschung.»
Tonkov wurde daraufhin die Einreise in die EU verweigert. «Das ist ein totaler Mist, gerade auch in der gegenwärtigen politischen Situation. Selbst, wenn ich jetzt nach Europa zurückkehren könnte, wäre ich viel zu spät dran. Trotzdem werde ich versuchen, zu Saisonbeginn startklar zu sein.»
Zwischenzeitlich trainiert Tonkov weiter, um sein Fitness-Level zu halten. «Ich versuche jetzt, mein Fitnessprogramm durchzuziehen. Das Fahrtraining kam dabei etwas zu kurz. Wir haben jetzt hier in Russland Minus 15 Grad und es schneit. An Fahren ist also nicht zu denken. Es gibt aber vielleicht eine Option, dass ich das Land in ein bis zwei Monaten doch Richtung Europa verlassen kann.»
Tonkov muss nachweisen, dass der falsche Stempel durch einen Beamten und nicht durch sein eigenes Verschulden und vorsätzlich in seinen Pass gekommen ist - ein nahezu aussichtsloses Unterfangen. «Wenn ich das Problem nicht lösen kann, darf ich das Land für mehrere Jahre nicht Richtung Europa verlassen. Amerika und China sind kein Problem, aber ich darf nicht in die EU einreisen.»
Über die Saga Tonkov kursieren seit einiger Zeit Gerüchte, die ihm eine eigene Schuld unterstellen. «Mir ist das eigentlich egal. Problematisch wird es, wenn sie nichts mehr zu erzählen haben, denn dann beginnen sie, dich zu vergessen. Der Gedanke, dass du wegen eines banalen Stempeleintrags alles verlierst, wofür du dich dein ganzes Leben lang eingesetzt und hart gearbeitet hast, ist wirklich frustrierend. Das könnte das Ende meiner Karriere sein.»
Ironischerweise stehen die Überseerennen in Katar, Indonesien, Argentinien und Mexiko für Tonkov nicht zur Disposition. Erst wenn die WM Anfang April im EU-Gebiet beginnt, wird es kritisch.
Wenn der Vorwurf der Urkundenfälschung nicht entkräftet wird, kann Tonkov 3 Jahre lang nicht in die EU einreisen. «Schon nach einem Jahr haben dich alle Teams vergessen», weiß der Russe. «Besonders schwierig wird es in der MXGP-Klasse werden. Zwei oder drei Jahre auszusetzen, bedeutet, du solltest dich besser nach einem neuen Job umschauen.»
Bliebe noch die Option USA: «Eigentlich will ich nicht in die USA gehen, denn dort müsste ich von Null beginnen und mich an die dortigen Strecken und das ganze Drumherum erst gewöhnen. In Europa fühle ich mich heimisch, auch in Hinblick auf die Leute. Louis Vosters von Wilvo ist schon eine Art Vaterfigur für mich geworden. Außerdem bin ich kein Supercross-Fahrer, was ein Riesenproblem für eine US-Karriere ist. Ich habe überhaupt noch nie ein Supercross-Rennen bestritten.»
Könnte die russische Meisterschaft als Notnagel dienen? «Was soll ich bei Rennen, wo 20 Fahrer am Startgatter stehen? Die guten Fahrer gehen alle nach Europa. In Russland hat Motocross zu wenig Stellenwert und ich habe kein Interesse, für monatlich vielleicht 100 Euro Rennen zu fahren. Dafür habe ich nicht mein Leben lang gearbeitet.»
Sollte Tonkov sein EU-Einreiseproblem bis zum Saisonstart im Februar nicht lösen können, will er trotzdem zum Saisonstart in Katar vor Ort sein. «Ich werde definitiv nach Katar kommen, um mein Team zu unterstützen, auch dann, wenn ich selber nicht starte.»
Wegen des Alterslimits muss der 23-Jährige auf jeden Fall in die MXGP aufsteigen.
Im besten Falle kann Tonkov im Dezember nach Europa zurückkehren. Dann sind aber alle Budgets verplant. «Ich könnte dann nur noch komplett ohne Gage fahren. Deswegen muss ich mich hier in Russland nach Sponsoren umschauen, die mir helfen. Insgesamt ist das ein Elend. Wenn ich mich nächstes Jahr im Feld gut behaupten kann, habe ich vielleicht die Chance, 2018 wieder einen WM-Platz zu finden, wo ich auch etwas Geld verdienen kann.»
Dass Aleksandr Tonkov hart im Nehmen ist, ist bekannt. Dass er aber im Sommer mit 2 gebrochenen Wirbeln 5 Rennen bestritten hat, war 'Russisches Roulett'. «Viele Leute wussten nicht, wie schwer ich mich verletzt hatte und dass ich mir zwei Wirbel gebrochen hatte. Ich bin 5 Rennen lang mit gebrochenen Wirbeln gefahren. Das war schon etwas verrückt. Aber ich wusste, dass 2016 mein letztes MX2-Jahr sein würde, deshalb wollte ich um keinen Preis aufgeben. Aber selbst jetzt bin ich noch nicht hundertprozentig fit.»
Tonkov war und ist eine Bereicherung für die WM. Sein wilder und spektakulärer Fahrstil begeistert die Fans. Er ist kein weichgespülter Charakter, der permanent von 'Vertragsoptionen' oder 'Sponsorenverpflichtungen' faselt. Er ist kein Typ, der sich über eine zu lange und zu schwere Saison beklagt. Er ist kein Fahrer, der sich mit politisch korrekten Pressemitteilungen verleugnen lässt. Er ist ein Typ Motocrosser, wie man ihn sich im besten Sinne vorstellt, der aber im heutigen Business leider zu einer aussterbenden Spezies zählt.
Wenn Tonkov wegen eines falschen Stempels ausfällt, verliert zuerst der Sport.