Stefan Everts über das WM-Ende von Suzuki - Teil 2
Hat Stefan Everts die Katze im Sack gekauft, als er 2016 von Sylvain Geboers das Suzuki-Werksteam übernahm?
Im ersten Teil der volatilen Motocross-Geschichte von Suzuki erklärte Geboers, wie überraschend für ihn der Ausstieg von Suzuki im Jahre 1983 kam.
Suzuki wähnte sich am sportlichen Klimax und hatte mit Georges Jobé (250cc) und Eric Geboers (125cc) gerade zwei WM-Titel gewonnen, als dem belgischen Team-Manager die Mitteilung des Ausstiegs kalt erwischte.
Fühlten sich die Japaner technisch so überlegen, dass sie glaubten, auch ohne Werks-Engagement weiter gewinnen zu können?
Heute wissen wir: Dieser Ausstieg war - freundlich formuliert - eine Fehlentscheidung. Yamaha, Honda, KTM und sogar Cagiva sprangen in die Bresche und machten in den folgenden 6 Jahren die WM-Titel unter sich aus.
Suzuki verschwand für Jahre in der Bedeutungslosigkeit.
Ein Umdenken setzte erst ein, als Sylvain Geboers den Verantwortlichen in Hamamatsu das Jungtalent Stefan Everts vorstellte.
Über die wahren Hintergründe solcher unerwarteten Ausstiege ranken sich naturgemäß viele Gerüchte. Die Fakten belegen aber klar: Sie haben offensichtlich nichts mit sportlichen Erfolgen oder Misserfolgen zu tun.
Liegt es an der wirtschaftlichen Gesamtsituation des Unternehmens?
Tatsache ist: Die globalen Absatzzahlen für Motorräder befinden für Suzuki im Sturzflug. Seit 2012 hat sich der Absatz von 2,2 Mio. auf 1,3 Mio. im Jahre 2016 fast halbiert.
Das sind beängstigende Zahlen für die Suzuki-Aktionäre. Gleichzeitig findet der Hersteller keine Antworten auf sich stellende Herausforderungen. Es gibt zu wenige marktgerechte Produkte, um eine Trendwende herbeizuführen.
Nur in Asien, insbesondere in Indonesien und Indien, erzielt das Unternehmen noch Wachstumsraten. In Europa, Japan und den USA schrumpft das Geschäft seit Jahren kontinuierlich, weil Motorräder hier überwiegend als Freizeitartikel betrachtet werden. Die Konkurrenz wächst und der Kundenkreis wird zunehmend älter und schrumpft von Jahr zu Jahr.
Kann ein Ausstieg aus der WM diesen Trend stoppen?
Ganz sicher nicht.
Die Kosten eines WM-Teams, auch wenn sie einige Millionen Dollar im Jahr betragen, werden ein in Seenot geratenes Schiff dieser Dimension auch nicht vor dem Untergang retten. Ein Ausstieg kann bestenfalls für die Aktionäre als Signal guten Willens zur Kostenreduzierung verstanden werden. Objektiv betrachtet ist der wirtschaftliche Schaden für das Unternehmen viel größer als sein möglicher Nutzen durch Einsparungen.
Aber in der Wirtschaft zählt nun einmal Psychologie mehr als Fakten.
Da braucht es nicht einmal ein 'postfaktisches Zeitalter'. Das war früher schon so und ist heute noch so.
Negativ-Schlagzeilen sind kein probates Mittel zum Abverkauf von Motorrädern. Das wissen die Kaufleute. Und dennoch handeln sie anders.
Ein WM-Paddock ist das perfekte Schaufenster für technische Neuentwicklungen, speziell jetzt, wo der WM-Tross in den einzigen Wachstumsmarkt der Welt - Indonesien - zieht.
Wie sich sportlicher Erfolg in wirtschaftlichen Erfolg ummünzen lässt, lebt KTM seit Jahren vor.
Das hat Stefan Everts bei KTM selbst mitverantwortet.
«Für mich war der Rückzug eine herbe Enttäuschung», erklärt Stefan Everts. Sportlich hat der zehnfache Champion das Team durchaus vorangebracht: «In der MX2-Klasse hatte ich mit Jeremy Seewer den Titel im Visier. Jeremy war häufig der Schnellste, aber besonders zu Saisonbeginn zeigte Pauls Jonass eine sehr gute Form. Auch Hunter Lawrence hat eine beeindruckende Entwicklung hingelegt, die Viele überrascht hat. Es war ein guter Zug, ihn ins Team zu holen. Ihm steht noch eine große Zukunft bevor. Auch die Nachwuchsfahrer Bas Vaessen, Zach Pichon, Jett Lawrence und Liam Everts haben das Potenzial, das wir in einem längerfristigen Programm umsetzen wollten.»
Everts bildete eine eigene junge Fahrergeneration aus, die er Schritt für Schritt an die Top-Liga heranführen wollte. So auch in der MXGP-Premiumklasse.
«Arminas Jasikonis hat es dieses Jahr aufs Podium geschafft und auch mit ihm hätten wir noch viel erreicht», erklärt Everts. «Ich hatte sein Talent schon früh erkannt. Er war so jung und der Wechsel direkt in die MXGP-WM war schon brutal für ihn. Er kam ja als Ersatzfahrer für Ben Townley in unser Team und war für mich so etwas wie der 'Plan B'. Aber er hat sich gut entwickelt, rasch Fortschritte gemacht und in dieser Saison ein Quali-Race in Agueda gewonnen. Danach ist der aufs Podium gefahren. Trotzdem denke ich, dass er mehr hätte aus sich herausholen können. Das weiß er selbst auch. Es ist schließlich mein Job, zur richtigen Zeit die richtigen Persönlichkeiten zu finden. So gesehen bin ich auch ein Stück weit stolz auf das, was wir in dieser kurzen Zeit erreicht haben.»
Ob Jasikonis nächstes Jahr überhaupt WM fahren kann, ist nach dem Stand der Dinge unwahrscheinlich. Er hat bisher kein neues Team gefunden. Personell hat Everts das Team nach seiner Übernahme zunächst stark aufgestockt und viel in die Medienarbeit investiert. Doch die bis unter die Haarspitzen motivierte Mannschaft ist jetzt komplett arbeitslos.
«Ich wollte ein Team mit eigenen, jungen Nachwuchsfahrern aufbauen», erklärt Everts seine Strategie. «Dann hatten wir noch das neue Bike, das eigentlich genau im richtigen Moment kam. Alles entwickelte sich in die richtige Richtung. Natürlich wäre auch ich froh über MXGP-Siege gewesen, denn letztendlich geht es nur darum. Aber die Neuausrichtung des Teams mit jungen Fahrern braucht einfach auch einen langen Atem.»
«Diese zwei Jahre waren eine tolle Erfahrung», meint Stefan Everts heute ohne Groll. «Es ist ein harter Job, so viel steht fest. Wir hatten ein großes Team mit vielen Leuten. Vielleicht war es für den Anfang etwas zu groß. Es lastete eine sehr große Verantwortung auf meinen Schultern und ich hatte eine Menge Stress. Dabei habe ich auch viel gelernt. Natürlich hätte ich das Projekt gerne noch ein paar Jahre länger erhalten, um zu zeigen, wozu wir fähig sind. Dazu ist es leider nicht mehr gekommen. Es tut mir besonders für alle Teammitglieder Leid. Einige Leute sprechen auch schlecht über mich und meinen, dass ich das Team heruntergewirtschaftet hätte. Aber meine Ambitionen gingen stets in Richtung Top-Level. Ich wollte, dass wir das beste Team im Paddock werden.»
«In meinem Leben habe ich 10 WM-Titel gewonnen. Das schaffst du nur, wenn du ein Siegertyp bist. Das ist es, wofür ich mich einsetzen möchte. Ich bedaure nur, dass uns nicht die Chance gegeben wurde, unser Potenzial unter Beweis zu stellen.»
Mit welchen Gefühlen beendet Everts sein Suzuki-Engagement? «Ich bin auf jeden Fall dankbar für all das, was ich mit Suzuki erreicht und erlebt habe. Ich habe meinen ersten WM-Titel gewonnen und als Team-Manager habe ich viel fürs Leben gelernt. Meine Frau Kelly und ich, wir haben 100% gegeben. Ich bedaure das frühe Ende unserer Partnerschaft sehr.»
Was Stefan Everts in Zukunft tun wird, ist indes völlig offen. Vielleicht macht er es wie Sylvain Geboers: Kontakt zur Firmenzentrale in Japan halten und später zurückkommen. Dann wird es aber sicherlich noch viel schwerer werden für die Gelben aus Hamamatsu.