War die Entscheidung am grünen Tisch angemessen?
In St. Jean-d'Angély erlebten wir eine ergreifende Siegerehrung, bei der nach dem Sieg von Romain Febvre (Kawasaki) zehntausende französische Fans mit einem gewaltigen Chor in die Marseillaise einstimmten. Doch Febvres Triumph wurde später am grünen Tisch vereitelt.
Unmittelbar nach dem Zieleinlauf wusste Romain Febvre selbst nicht einmal, dass er den Großen Preis von Frankreich gewonnen hatte. Dann folgten die emotionalen Szenen der Siegerehrung. Tausende französische Fans lagen sich während der Podiumszeremonie in den Armen und traten danach glücklich die Heimreise an. Zu Hause angekommen, werden sie nun wohl ziemlich ernüchtert sein, denn die ganze Show, die Freude, die ergreifende Atmosphäre, alles war aus ihrer Perspektive umsonst.
Jeremy Seewer und Kevin Horgmo wurden wegen Missachtung von gelben Flaggen bestraft. Das hat das gesamte Ergebnis und die WM-Tabelle auf den Kopf gestellt. Der euphorisch gefeierte Lokalmatador Romain Febvre ist nun doch nicht der Triumphator, sondern Tim Gajser, dessen Ergebnis sich um zwei Plätze verbesserte. Aus einem 1-6-Resultat wurde ein 1-4-Resultat, aus 15 Punkten wurden 18.
Die betreffende Rennszene ist in den TV-Bildern gut zu erkennen. Die Bilder belegen, dass der Flag-Marshall hinter der SIDI-Bridge platziert ist. Die Säulen dieser Brücke sind aber so breit, dass sie an der Auffahrt zum Sprung den Blick zum Flag-Marshall streckenweise verdecken. Besonders bei Regen und Schlamm konzentrierten sich die Fahrer zunächst auf die riesige Pfütze vor der Auffahrt zum Hügel. Wer hier Tempo rausnimmt, läuft Gefahr im Wasserloch oder der Auffahrt steckenzubleiben. Möglicherweise haben die Fahrer die Flagge einfach zu spät gesehen, weil der Blick zum Marshall durch die Brücke verdeckt war.
Es stellen sich also einige Fragen:
1. War die Position des Flag-Marshalls hinter den breiten Säulen einer Werbebrücke wirklich gut platziert?
2. Waren die Streckenbedingungen mit einem riesigen Wasserloch vor der betreffenden Auffahrt unter Berücksichtigung der Sicherheitsaspekte überhaupt noch zu verantworten?
3. Die TV-Bilder zeigen, dass mindestens vier Piloten bei Gelb über den Hügel sprangen. Warum wurden nur zwei davon bestraft?
Natürlich gelten Regeln ausnahmslos für alle Fahrer. Aber es gibt einen Unterschied, ob man sich, wie die Offiziellen, eine Szene im trockenen TV-Studio in Dauerschleife anschauen kann, oder ob man als Fahrer mit schlammverschmierter Brille, dreckigen Klamotten und nass bis auf die Knochen am physischen Limit innerhalb von Sekundenbruchteilen reagieren soll.
Weder Seewer noch Horgmo haben sich einen Vorteil verschafft. Aber Fakt ist: Bei Gelb ist Springen nun einmal verboten. Fakt ist auch: Der gestürzte Fahrer hinter dem Sprung verursachte für alle Beteiligten eine potenzielle Gefahrensituation.
Angesichts der Begleitumstände wäre es angemessen gewesen, die Fahrer zu verwarnen. Ihnen ist unter diesen Umständen sicher kein bewusstes fahrlässiges Verhalten vorzuwerfen. Richtig wäre auch gewesen, die Position des Marshalls hinter der Brückensäule zu hinterfragen und auch zu fragen, weshalb an dieser Stelle und an vielen anderen Stellen der Strecke die Drainage nicht ordentlich funktionierte.
Somit bleibt bei dieser Sache doch ein Geschmäckle zurück. Ging es hier wirklich nur um die Sicherheit der Fahrer? HRC-Werksfahrer Tim Gajser ist nun zum Sieger des Grand Prix of France erklärt worden und sein Vorsprung in der WM-Tabelle ist um einen Punkt gewachsen. Der Große Preis von Frankreich war zweifellos spektakulär und sportlich auf höchstem Niveau.
Ergebnis MXGP, St. Jean-d'Angély:
1. Tim Gajser (SLO), Honda, 1-4
2. Romain Febvre (F), Kawasaki, 3-2
3. Jeffrey Herlings (KTM), 6-1
4. Jorge Prado (E), GASGAS, 2-5
5. Pauls Jonass (LT), Honda, 5-3
6. Jeremy Seewer (CH), Kawasaki, 4-6
7. Calvin Vlaanderen (NL), Yamaha, 7-8
8. Kevin Horgmo (N), Honda, 11-7
9. Andrea Bonacorsi (I), Yamaha, 10-9
10. Brian Bogers (NL), Fantic, 9-12
WM-Stand nach 7 von 20 Events:
1. Tim Gajser (SLO), Honda, 348 Punkte
2. Jorge Prado (E), GASGAS, 343, (-5)
3. Romain Febvre (F), Kawasaki, 319, (-29)
4. Jeffrey Herlings (KTM), 287, (-61)
5. Pauls Jonass (LT), Honda, 253, (-95)
6. Jeremy Seewer (CH), Kawasaki, 234, (-114)
7. Calvin Vlaanderen (NL), Yamaha, 223, (-125)
8. Glenn Coldenhoff (NL), Fantic, 200 (-148)
9. Kevin Horgmo (N), Honda, 145, (-203)
10. Valentin Guillod (CH), Honda, 130, (-218)