Exklusiv: Hubert Nagl: «Top-10 ist keine Blamage!»
Herr Nagl, wie beurteilen Sie als Teamchef die Leistung der deutschen Nationalmannschaft in Ernée?
Wir haben mit Rang 4 nach dem Qualifikationsrennen ausgezeichnet begonnen. Natürlich träumten wir nach der Qualifikation auch von einem Podium. Aber in den Rennen fehlte uns dann das Glück und später kam dann auch noch ausgesprochenes Pech dazu.
Aber von einer 'Blamage' zu sprechen, das ist - mit Verlaub - total daneben und wird der Leistung der deutschen Fahrer nicht ansatzweise gerecht.
Henry Jacobi ist in das Motorrad des gestürzten Ken De Dycker gesprungen und hat sich dabei einen Finger gebrochen und einen weiteren Finger schwer gequetscht. Der Junge konnte den Lenker kaum noch halten. Wir haben ihm dann für den zweiten Lauf die beiden verletzten Finger zusammen-getaped. Er ist trotz seiner extremen Schmerzen noch einmal angetreten und wegen dieses Handicaps dann aber noch einmal gestürzt. Danach sanken unsere Chancen.
Die Sache mit Max kam dann noch dazu, hat aber das Ergebnis nicht maßgeblich verändert. Aber nach diesem Einsatz und einem neunten Platz von einer 'Blamage' zu sprechen, ist ganz sicher nicht angemessen.
Im letzten Lauf des Tages fuhr Max Nagl an die Box, nachdem er im ersten Lauf einen sensationellen 3.Platz erreicht hatte. Was war geschehen?
Nach seinem Sturz im letzten Lauf war Max bis an das Ende des Feldes zurückgefallen. Was wir aber nicht an die große Glocke gehängt haben: Max hatte noch immer große Probleme mit seinem Fuß.
Diese Woche musste er sich einer erneuten Operation in Belgien unterziehen, weil ein Spalt der Bruchstelle noch immer nicht richtig verheilt war und die Knochen noch durch die Schrauben zusammengehalten wurden. Jede falsche Belastung hätte eine arge Gefährdung des Fußes dargestellt.
Aus sportlicher Sicht war die Entscheidung auch ohne Max´ Ausfall gefallen. Wir hatten nach dem Pech von Henry keine Chance mehr, die Top-5 oder gar das Podium zu erreichen. Wenn Max im letzten Rennen noch Plätze gutgemacht hätte, wären wir vielleicht Achter statt Neunter geworden, aber bereits Australien auf Rang 7 lag 20 Punkte vor uns - das sind 20 Positionen. Für das Ergebnis spielte der Ausfall von Max also keine Rolle mehr.
Erschwerend war, dass Max verspätet in Ernée ankam. Er kam ja vom letzten WM-Lauf in Glen Helen aus Kalifornien und musste bei seiner Rückreise über 24 Stunden am Flughafen sitzen, weil ausgerechnet seine Maschine ausfiel. Erst viel später wurden die Passagiere für ein paar Stunden ins Hotel gebracht. Als er dann viel zu spät in Frankreich ankam, hatte er totales Jetlag und konnte nur ein paar Stunden schlafen. Als ich ihn für den Pressetermin holte, hatte er gerade einmal 3 Stunden Schlaf - nach einem Rennen bei über 40 Grad in Kalifornien und einer Flughafen-Odyssee. Das sind nicht die besten Voraussetzungen für ein Motocross der Nationen. In der Nacht zum Sonntag haben dann die Fans mit ihren Motorsägen dafür gesorgt, dass wir wieder kein Auge zumachen konnten. Dann lieferte Max mit Rang 3 das beste Ergebnis für Deutschland ab und im letzten Rennen stürzte er und fiel zurück. In dieser Situation, nach einem Crash an letzter Position liegend, mit einem nicht verheilten Bruch im Fuß ein Rennen zu beenden, das sportlich entschieden ist, ist wohl nachvollziehbar.
Hätte das Team diese Situation vielleicht besser kommunizieren sollen?
Es gab für das deutsche Team in Ernée eine Aneinanderreihung von Problemen, die ja auch vom Rennverlauf klar erkennbar waren. Ich möchte das Ergebnis nicht relativieren, schönreden oder gar entschuldigen. Ich habe immer gesagt, dass ich mir natürlich ein besseres Ergebnis gewünscht hätte, aber angesichts der Situation muss ich meinen Jungs meinen Respekt für ihre Leistung aussprechen und werde nicht zulassen, dass sie nach einem solchen Einsatz, der bis an die Grenzen des Menschenmöglichen ging, so hingestellt werden, als ob wir uns blamiert hätten. Eine Top-10-Platzierung ist keine Blamage, auch wenn wir mehr wollten.
In Italien kommt niemand auf die Idee, das eigene Team wegen Platz 14 zu verunglimpfen.
Es wurde behauptet, der Auftritt der Nationalmannschaft in Ernée sei 'wenig einladend' gewesen?
Bei einem Rennen geht es erst einmal darum, Ergebnisse auf der Strecke abzuliefern. Der Zeitplan beim Motocross der Nationen ist sehr eng und ich sehe die Aufgabe des Teams und meine Aufgabe darin, dafür zu sorgen, dass wir als Mannschaft möglichst gut abschneiden. Und an dieser Stelle hat sich das Team nichts vorzuwerfen. Der Team-Truck diente in erster Linie dafür, dass unsere Fahrer einen Rückzugsort haben, wo sie sich auf die Rennen vorbereiten können und versorgt werden. Das hat in Ernée hervorragend geklappt - übrigens Dank des ehrenamtlichen Engagements vieler Helfer, die ihren Urlaub dafür opfern, dass sie im Vorfeld und dort Tag und Nacht für uns im Einsatz sind. Deshalb finde ich es so schade, wenn dieses Engagement so in den Schmutz gezogen wird. Das ist gerade gegenüber diesen Leuten nicht fair.
Ich will damit nicht sagen, dass es nichts zu verbessern gäbe, aber vor der Außenwirkung kommt erst einmal die sportliche Leistung, die beim Motocross der Nationen als Team erbracht werden muss.
Ken Roczen war zur Zeit des MXoN in Mattstedt, hat zu Hause trainiert und mit seinen Freunden gut dokumentierte Geländeausfahrten gemacht? Wussten Sie davon?
Ursprünglich hatte ich seine Zusage für dieses Jahr. Dann kam seine Rückenverletzung dazwischen und es war klar, dass er die Operation nur nach Saisonende machen lassen konnte, was auch geschehen ist.
Für seine US-Sponsoren muss Kenny aber schon Anfang Oktober wieder topfit sein. Klar ist, dass es ein großer Unterschied ist, ob ein Fahrer ein paar Runden allein auf seiner Hausstrecke dreht, oder ein Nations-Rennen absolviert, wo die absoluten Top-Fahrer in einem knallharten Wettbewerb aufeinandertreffen.
Was ich aber auch kritisch sehe ist, dass er während der Zeit der Nations ständig gepostet hat, wie und wo er gerade wieder in Mattstedt seine Runden dreht. In der Aussenwahrnehmung warf das für die Fans viele Fragen auf, warum er nicht in Ernée für die deutsche Nationalmannschaft startet. Aber das kann am Ende nur er selbst beantworten. Seine Absage kam schon lange vorher und ich wäre froh gewesen, wenn ich ihn für die deutsche Nationalmannschaft hätte nominieren können.
Sie haben als Teamchef der deutschen Nationalmannschaft 2012 den einzigen Sieg einer deutschen Nationalmannschaft in der Geschichte des Sports errungen. Nun wird aber über Ihre Nachfolge spekuliert. Können Sie uns aufklären?
Diese Aufgabe ist ja ein Ehrenamt, das ich nun seit 2010 ausübe. Am Anfang bin ich gefragt worden, ob ich diese Funktion übernehmen wolle. Damals hat sich kaum jemand für das Motocross der Nationen interessiert. Das hat sich nach unserem Nations-Sieg 2012 in Lommel grundlegend geändert.
Es war für mich von Anfang an klar, dass ein Teamchef zeitlich begrenzt agiert und dass auch die jüngere Generation mit frischen Ideen künftig für eine Weiterentwicklung sorgen muss. Ich habe bereits im Juni in Aichwald bei der Teampräsentation intern angekündigt, dass ich mich zurückziehen werde.
Hat die Entscheidung etwas mit dem Ergebnis 2015 zu tun?
Nein. Meine Entscheidung war - wie gesagt - schon im Juni in Aichwald gefallen.