Bulgarien-GP: Die Analyse des Paulin-Triumphs
Grosser Zweikampf: Gautier Paulin (re.) gegen Tony Cairoli
Der Jeffrey-Herlings-MX2-Frachtzug rollte mit dem fünften Grand-Prix-Sieg fast unkontrollierbar auch in Bulgarien weiter, während sich Tony Cairoli in der Königsklasse temporär von Gautier Paulin entthronen lassen musste. Aber der Italiener konnte trotzdem einen Rekord erreichen, weil in allen bisherigen GP der Saison mindestens in einem Lauf die Zielflagge als Erster sah.
Im Kalender wurden bisher Katar, Thailand, die Niederlande, Italien und Osteuropa besucht, zuletzt mit Sevlievo einen Ort, der in Sachen Motocross-Event des 21. Jahrhunderts bei jedem Kästchen ein Häkchen bekommt. Es ist zwar etwas ironisch, dass die schnelle, breite und fast flache Strecke durch seine natürliche Anlage (lange Auf- und Abfahrten) nach alter Schule aussieht und dass die meisten Fahrer das Layout als «einfach» bezeichneten.
Die Bulgaren und die Fans aus den umliegenden Ländern halten offensichtlich mehr von Rennen als von Trainings und Qualifyings, anders ist der grosse Unterschied zwischen dem Zuschaueraufmarsch vom Samstag zum Sonntag nicht zu erklären. Eine gute Kulisse für die Rennen stand im Gegensatz zur gedämpften Atmosphäre am ersten Tag, an dem die nur 20 MX1-Piloten, welche die weite Reise mitmachten, nicht wirklich in der Menschenmasse im Fahrerlager untergingen.
Was nehmen wir mit aus Bulgarien? Auf diesem zerklüfteten Circuit bestand immer das Risiko einer Prozession, weil die Rundenzeiten so nahe beisammen lagen. Die Strecke war ein netter Spielplatz für einige und eine Welt voller Frustrationen für andere.
Paulin, der Bulgarien-Spezialist
Gautier Paulin hat in Sevlievo schon in der MX2-Klasse Siege geholt und auch mit Kawasaki 2012 seinen ersten in der MX1. Seine Dominanz im Training, der Qualifikation und im ersten Lauf, als er förmlich um die Hügel geflogen ist – scheinbar mit einem Minimum an Aufwand – liess den erneuten Triumph wahrscheinlich scheinen. Wo war Cairoli? Ein schlechter Start und eine magere Bilanz in Sevlievo («nur» ein Sieg, geholt 2007) bedeutete, dass der vierte Rang das Beste war, was der Champion auf seiner lebhaften KTM 350 SX-F herausholen konnte.
Der Sizilianer forderte Paulin im zweiten Rennen heraus. Nachdem der Franzose versucht hat, ernsthafte Gegenwehr zu leisten, war Paulin aber sensibel genug, den grösseren Preis zu sehen und leistete sich einen Drei-Sekunden-Polster auf das Heck der «222». «Ich habe Rennen und Grands Prix gewonnen, aber noch nie das Double!», sagte er. «Tony hat mich überholt und zeigte mir eine sehr gute Linie. Es war cool, mit ihm zu fahren, das bedeutete eine Menge Spass. Ich habe versucht, ihn wieder zu schnappen, aber das war schwierig. Es war sehr nett, den GP zu gewinnen und mit Tony zu kämpfen. Ich bin in einer guten Form und will versuchen, mein Ziel zu erreichen und öfters zuoberst auf das Podest zurückzukehren.»
Die ersten beiden Positionen waren besetzt, während die dritte Trophäe im besten Action-Stück des Tages vergeben wurde. Die Rockstar-Suzuki-Teamkollegen Clément Desalle und Kevin Strijbos duellierten sich im ersten Lauf (Ränge 3 und 2) und im zweiten Durchgang gleich nochmals (3 und 4), was Punktegleichheit bedeutete und Desalle erlaubte, seine erste Champagnerdusche seit den Überseerennen zu geniessen. Strijbos ist fünf Jahre älter als sein belgischer Landsmann, aber sein erfrischender Speed das ganze Wochenende über und eine aufsehenerregende Konterattacke im ersten Lauf lässt vermuten, dass der Veteran noch immer viel zu bieten hat in der MX1-Klasse.
Das Kontingent, das nicht so gut mit dem Terrain klar kam, beinhaltete Ken de Dycker, der kein guter Start fand und nach seiner Hauptrolle in den beiden letzten GP ziemlich anonym blieb. Honda-Pilot Max Nagl war ebenso frustriert angesichts seiner Überholversuche gegen Rui Goncalves um Rang 7 und wegen des späten Sturzes im zweiten Lauf. Tommy Searle war ein weiteres Sturzopfer, aber der Bulgarien-Sieger von 2012 in der MX2 war rasch wieder auf seiner Maschine von Monster Energy Kawasaki Pro Circuit. Es besteht Hoffnung, dass der MX1-Rookie seinen Spirit beibehält und schon bald für die Top-3 in Frage kommt.
Ausserhalb des starken Quartetts Cairoli, Paulin, Desalle und Bobryshev (setzte nochmals aus wegen seiner Fraktur im rechten Schienbein, er will in zwei Wochen in Portugal wieder dabei sein) ist Searle das nächste vielversprechende Talent und viele Beobachter wissen, dass vom Briten noch nicht das Maximum zu sehen war.
Herlings: Neun Jahre warten
Searle hatte Herlings in Bulgarien vor zwölf Monaten geschlagen, und der Niederländer holte mit einem erneuten Doppelerfolg ohne Gegenwehr seinen ersten Sieg in Sevlievo. «Es brauchte neun Jahre, um hier zu gewinnen! 2004 war ich für die EM hier und habe es in der 65, 85 oder 125 ccm nie geschafft. Und danach in vier Jahren Grand Prix nicht!»
Danach sprach Herlings über seine Motivation für eine Kampagne, für die es offenbar schon einen genauen Plan gibt. «Ungeschlagen zu bleiben, wird fast unmöglich sein. Aber ich halte mich ran für diesen Traum. Ich schaue momentan nur auf die MX1-Rundenzeiten und versuche, so nahe wie möglich zu kommen. Kann sein, dass es dieses Jahr weniger Konkurrenz gibt ohne Gegner wie Searle oder Ken Roczen, aber gewinnen ist nie einfach. Ich langweilige mich nicht, ich mag es, so hart wie möglich zu kämpfen, um mir das Leben auf der Strecke einfacher zu machen.»
Jordi Tixier füllte erneut das Vakuum zwischen seinem Teamkollegen und dem Rest des Feldes auf, in dem sich einige unterhaltsame Kämpfe zwischen José Butron (Spanien), Max Anstie (Grossbritannien), Christophe Charlier (Frankreich), Dean Ferris (Australien) und jetzt auch Alessandro Lupino (Italien) entwickeln.
Lupino kam 2007 als piepsiger Teenager in die MX2-Klasse. Durch Verletzungen, mangelndem Selbstvertrauen und einigen Jahren auf der wenig konkurrenzfähigen Husqvarna schaffte Lupino endlich den Durchbruch mit seinem ersten Podest, der Kawasaki-Pilot setzte sich in einem engen Kampf gegen Anstie durch. Das Ganze mit zwei gebrochenen Rippen, die Verletzung hatte er sich letzte Woche bei seinem Heim-GP zugezogen. «Wenn ich zwei angeknackste Rippen brauche, um aufs Podest zu kommen, hätte ich sie mir viel früher gebrochen!», kommentierte er. «Ich habe mich mich über die Jahre ziemlich verbessert, was die Fitness und mein Tempo betrifft. Obwohl Jeffrey der Schnellste in der MX2 ist, gibt es eine Gruppe von sechs oder sieben Fahrern, die für das Podium in Frage kommen, deshalb ist dieses Unterfangen sehr hart. Ich bin so glücklich damit.»
Auf dem Kalender steht nun eine doppelte Portion portugiesischer Sprache an. Dem Trip nach Agueda an die äusserste westliche Spitze Europas folgt das dritte und letzte Überseerennen in Brasilien Mitte Mai.