Paolo Ciabatti: «Rennen vor August wären ein Wunder»
Ducati-Sportdirektor Paolo Ciabatti
Ducati Corse beschäftigt in der Rennabteilung in Borgo Panigale bei Bologna 110 Mitarbeiter, dazu kommen alle Techniker, die nicht im Betrieb arbeiten, sondern nur für die Rennen und Test verpflichtet werden. Nur einer hat keinen italienischen Pass, deshalb war das Ducati-Werksteam nach dem Katar-GP vom 8. März (nur für Moto2 und Moto3) darauf angewiesen, dass Mitarbeiter von Avintia Ducati auf dem Losail Circuit die Boxen von Dovizioso und Petrucci ausräumten und das Material von zirka 12 Tonnen in den Frachtkisten verstauten.
«Bisher ist kein einziger unserer Mitarbeiter mit dem Coronavirus infiziert worden, weder im MotoGP- noch im Superbike-Team», schilderte Ducati-Sportdirektor Paolo Ciabatti im Gespräch mit SPEEDEWEEK.com. «Woran das liegt, kann ich nicht sagen, wir sind ständig in Kontakt mit allen unseren Leuten von Ducati Corse. Das sind sehr gute Neuigkeiten in einer sehr tristen Situation. Denn die meisten von uns leben in Regionen, in denen die Fallzahlen sehr hoch sind, im nördlichen Teil von Italien. Ich spreche da in erster Linie von der Lombardei, wo wir immer noch in argen Schwierigkeiten stecken. Die anderen kommen aus der Emilia Romagna, diese Region ist am zweitstärksten betroffen. Es folgt Piemont, wo ich lebe, nachher kommt Veneto, wo zum Beispiel unser General Manager Gigi Dall’Igna zuhause ist; er wohnt in der Nähe von Vicenza. Ihm geht es gut, wir haben regelmäßig Telefon-Konferenzen, natürlich auch mit Ducati-CEO Claudio Domenicali.»
«Ich muss auf Holz klopfen. Unser Teammanager Davide Tardozzi tritt zweimal pro Woche in Kontakt mit allen Mechanikern, die zum überwiegenden Teil aus der Lombardei und der Emilia kommen. Einzelne sind auch in der Region Marken zuhause, wo auch viele Rennfahrer leben, wie Rossi und Dovizioso. Es ist eine Erleichterung, dass wir bisher verschont geblieben sind. Anderseits lesen wir täglich erschütternde Zahlen, das ist schwer zu schlucken», erzählte Ciabatti, dessen Sohn in Aosta als Chirurg arbeitet, mit bedrückter Stimme.
Ciabatti meint, es wäre ein Wunder, wenn man im Juli 2020 schon wieder an die Austragung von Motorrad-Wettbewerben denken könnte. In Italien fehlt es an medizinischen Hilfsgütern, das Gesundheitspersonal schuftet teilweise 13 bis 14 Tage ohne freien Tag, es findet kaum Schlaf.
«Da in manchen Ländern kaum oder wenig getestet wird, haben wir bei der Anzahl der Infizierten in allen Statistiken eine große Dunkelziffer», ist sich Paolo Ciabatti bewusst. «Dazu kommt, dass manche erkrankte Personen nur geringe oder gar keine Symptome haben. Man weiß nicht, was in einem Riesenland wie Indien passieren wird. Auch in Deutschland sind die Zahlen allmählich beunruhigend. Die Zahl der Neuerkrankungen hat dort in den letzten Tagen stark zugenommen.»
Ciabatti hütet sich vor Schwarzmalerei, aber er ist überzeugt, dass die Reiseverbote nicht so rasch aufgehoben werden, wie sich das hierzulande viele Menschen vorstellen. Der österreichische Gesundheitsminister Rudi Anschober (Die Grünen) hat angekündigt, in Österreich werde die Infektionswelle zwischen Mitte April und Mitte Mai abflauen. Und nachher werde kein Land riskieren, von ausländischen Touristen wieder neu mit Virus-Infektionen überflutet zu werden.
Zur Erinnerung: In China sind die Grenzen für Ausländer immer noch dicht. Dort wurde das Coronavirus spätestens am 31. Dezember entdeckt.
Ciabatti wirft einen Blick auf den aktuellen Kalender. Dann meint er nachdenklich: «Wenn wir im August loslegen könnten, wären theoretisch noch zwölf Grand Prix möglich.»
SBK-Promoter Dorna geht davon aus, dass zwischen Anfang August und Ende November bis auf den abgesagten Event in Katar sämtliche der restlichen elf stattfinden können. Angesichts der hohen Todeszahlen in Italien und Spanien glaubt aber kaum jemand, dass die dort geplanten fünf Events alle stattfinden. Größte Wackelkandidaten sind Imola und Misano.
Falls ein Neustart im August gelingt, ist mit jeweils drei Superbike-Events hintereinander zu rechnen, dann soll ein freies Wochenende eingeschoben werden.
«Das ist machbar, wenn alle Reiserouten sorgfältig geplant werden», grübelte Ciabatti. «Natürlich wird das ein gewaltiger Stress für alle Beteiligten. Aber in außergewöhnlichen Situationen müssen wir bereit sein, außergewöhnliche Lösungen in Kauf zu nehmen.»
Kalender Superbike-WM 2020, Stand 24. März:
28.2.–1.3. Phillip Island/Australien
12.6.–14.6. Misano/Italien
3.7.–5.7. Donington Park/England
31.7.–2.8. Oschersleben/Deutschland
21.–23.8. Assen/Niederlande
4.9.–6.9. Portimão/Portugal
18.9.–20.9. Catalunya/Spanien
3.10.–4.10. Magny-Cours/Frankreich
9.10–11.10. San Juan/Argentinien
24.10.–25.10. Jerez/Spanien
offen Imola/Italien
offen Aragón/Spanien
offen Losail/Katar