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Stefan Bellof: Rekordrunde und Rekord-Crash

Kolumne von Rainer Braun
​Am letzten Mai-Wochenende des Jahres 1983 erlebten die Fans auf dem Nürburgring einen entfesselten Porsche-Piloten Stefan Bellof.

Vor genau 40 Jahren, am 28. Mai 1983, markierte Porsche-Werkspilot Stefan Bellof beim samstäglichen Abschlusstraining zum 1000 km-Rennen für Sportwagen eine bis dahin für unmögliche gehaltene Rekordrunde. Die Uhren der offiziellen Zeitnahme wie auch der Porsche-Box blieben übereinstimmend bei 6 Minuten, 11 Sekunden und 13 Hundertstel stehen. Und gleichzeitig fiel auch eine zweite Schallmauer – erstmals wurde die Nordschleife mit mehr als 200 km/h Durchschnitts-Geschwindigkeit umrundet.

Lassen Sie mich die ganze Geschichte der Reihe nach erzählen, denn ich saß damals am Strecken-Mikrofon und habe sowohl die Euphorie rund um die unglaubliche Rekordrunde als auch die Enttäuschung über den Mega-Abflug am nächsten Tag miterlebt.

Nach dem Silverstone-Triumph kamen Stefan Bellof und sein Partner Derek Bell in Siegerlaune zum Nürburgring. Für Stefan war es erst der zweite offizielle Start als frischgekürter Porsche-Werkspilot. Beide freuten sich auf die Nordschleife, die zum letzten Mal vor der Eröffnung der neuen, kurzen GP-Strecke ein 1000 km-Rennen für Sportwagen erleben sollte.

Wegen der laufen Umbauarbeiten war die Strecke unter Wegfall der Start/Ziel-Geraden sowie der Gegengeraden zur Nordkehre um zwei Kilometer auf 20,8 km verkürzt worden. Gleich nach der Schikane ging’s scharf rechts über die Brücke direkt in die Hatzenbach. Auf der rechten Brückenseite waren auch die provisorischen Boxen eingerichtet. Von der ebenfalls in diesem Bereich aufgebauten Sprecherkabine hatte man einen guten Blick sowohl aufs Renngeschehen als auch zu den Boxen.

Im Abschlusstraining erwischte Bellof eine fast freie Runde, die Uhren an der Porsche-Box und bei den offiziellen Zeitnehmern blieben für den Porsche 956 mit der Startnummer 2 bei 6:11,13 Minuten stehen. Damit durchbrach Porsches neuer Superstar zum ersten und einzigen Mal die 200 km/h-Schallmauer auf der Nordschleife – ein Rekord und eine Runde für die Ewigkeit.

Nach dem Abschlusstraining folgte für den neuen Ring-König ein Interview-Marathon. Zuerst stand Stefan den TV- und Radio-Kollegen Rede und Antwort, dann landet er endlich bei mir vorm Mikro und verblüffte nicht nur mich mit diesen Worten: «Das geht noch schneller. Wenn ich nicht einmal beim Überholen aufgehalten worden wäre und dazu auch noch durch zwei oder drei eigene Fehler Zeit verloren hätte, wäre was knapp über sechs Minuten rausgekommen. Schade, morgen im Rennen klappt das leider nicht mehr.» Lachend sprintete er zum nächsten Termin.

Am nächsten Tag setzte Stefan seine unglaubliche Performance fort, mit knapp einer Minute Vorsprung übergab er nach dem ersten Stint an Derek Bell. Der machte zwar auch ordentlich Tempo, blieb aber hinter den Rundenzeiten von Stefan zurück. So konnte der Ickx/Mass-Porsche mit Startnummer 1 etwas aufrücken, bevor Stefan erneut übernahm und sofort wieder mit Top-Zeiten glänzte.

Derek Bell hatte wohl schon so eine Vorahnung, als er die Teamleitung bat, seinem Partner doch vielleicht bei der nächsten Durchfahrt mal das Schild «EASY» rauszuhalten. Aber die Porsche-Leute haben laut Bell «nur gelacht und gemeint, der Junge hat seinen Spaß da draußen, lass den ruhig mal machen.»

Eine Runde später lag der Bellof-Porsche nach einem denkwürdigen Mega-Crash zertrümmert im Pflanzgarten. Wir notierten die 20. von 44 Runden. Sofort waberten die abenteuerlichsten Unfall-Varianten durch die Gegend, vom Salto rückwärts über einen zweifachen Überschlag bis hin zur Seitwärtsrolle war alles dabei. Wie der Unfall tatsächlich entstanden und abgelaufen ist, berichtete Porsche-Ingenieur Walter Näher als Augenzeuge detailliert. Mit einigen Technikern hatte er im Pflanzgarten Position bezogen, um Daten und Zwischenzeiten zur Box zu funken.

«Stefans Porsche bekam am Sprunghügel Unterluft, stand fast senkrecht in der Luft und flog wie ein Skispringer auf uns zu. Nach einer halben Schraube ohne Überschlag krachte der 956 zuerst mit dem Heck auf die Strasse und rutschte dann nach links in die Leitplanken.»

«Stefan befreite sich unverletzt, fluchte zuerst fürchterlich und versuchte dann, das Missgeschick leicht und locker zu nehmen. So schrieb er fröhlich Autogramme inmitten der staunenden Zuschauer am Streckenrand. Wir haben ihn dann über die Bundesstraße ins Fahrerlager zurückgebracht. Ich hatte den Eindruck, dass er ganz schön geschockt war, nur wollte er das nicht zeigen.» Soweit die damalige Schilderung von Walter Näher, der leider im März 2017 mit 73 Jahren verstorben ist.

Erleichtert und ohne jeden Vorwurf nahm die Porsche-Teamleitung um Peter Falk und Technik-Vorstand Helmuth Bott ihren unverletzten Bruchpiloten in Empfang. Nur Bell war stocksauer und lamentierte angesichts der schwindenden WM-Titelchancen: «So kann man doch kein 1000 km-Rennen fahren, das Team hätte ihn einbremsen müssen.»

Gemeinsam mit seinem Freund und persönlichen Fahrzeug-Ingenieur Klaus Bischof analysierte Stefan den Unfall. Zusammen mit Stefans Freundin Angelika schirmten ihn die beiden so gut es ging vor der Presse ab.

«Wenn es nach Stefan gegangen wäre», so Bischof, «hätte er die Unfallgeschichte wohl jedem erzählt, der ihn danach gefragt hätte. Damit er endlich zur Ruhe kommt, haben wir ihn einfach aus dem Verkehr gezogen.»

Später gestand mir Angelika noch dies: «An seinem eingefallenen Gesicht habe ich gesehen, dass ihm der Unfall viel näher gegangen ist als er wahrhaben wollte.»

35 Jahre und 31 Tage hielt der Bellof-Rekord allen Angriffen stand. Im Juli 2018 pulverisierte mit Porsche-Werkspilot und Le Mans-Sieger Timo Bernhard ausgerechnet einer der größten Bellof-Bewunderer dessen Fabelzeit mit einer um fast 52 Sekunden schnelleren Nordschleifen-Umrundung. Allerdings mit einem LMP1-Porsche 919 EVO Prototyp, der mit rund 1000 PS gut 300 mehr auf den Asphalt brachte als damals der Bellof-956. Der neue Rekord, jetzt wohl wirklich für die Ewigkeit: 5:19.55 min, Schnitt 233,8 km/h.

Ein Jahr nach Bernhards erfolgreichem Rekordversuch fiel die legendäre Bellof-Marke gleich nochmal, durch den VW ID.R-Elektro-Sportwagen mit Romain Dumas am Steuer. Mit 6:05,336 Minuten blieb der Franzose zwar um rund sechs Sekunden unter der Bellof-Zeit, aber noch weit entfernt vom absoluten Bernhard-Rekord. Und noch etwas unterscheidet die beiden neuen Rekorde – das «Original» wurde von Stefan Bellof in Rahmen einer offiziellen Renn-Veranstaltung erreicht. Die neuen Bestwerte sind zwar unter notarieller Aufsicht entstanden, gelten aber offiziell lediglich als «Rekorde bei Industrie-Testfahrten», also ohne offiziellen Status der Sportbehörden FIA oder DMSB.

Die Nürburgring GmbH sorgte übrigens 30 Jahre später im August 2013 für eine dauerhafte Erinnerung an den denkwürdigen Bellof-Auftritt. In Anwesenheit der Familie, vieler Freunde und Weggefährten von Stefan wurde ein Teil des Pflanzgartens in «Bellof-S» umbenannt.

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