Über Cyril Abiteboul
Der geborene Pariser Cyril Abiteboul benutzte ein Aeronautik-Studium an der Informatik- und Mathematik-Hochschule INP-Ensimag in Grenoble als Grundlage für seine Karriere im Motorsport.
Schon nach Abschluss seiner Studien heuerte er bei Renault in Boulogne-Billancourt (Vorort von Paris) an. Abiteboul interessierte sich mehr und mehr für die geschäftliche Seite – so stieg er bei Renault auf zu einem Spezialisten für die Entwicklung von Geschäftsideen für den GP-Rennstall (das war 2007), ab 2010 übernahm er den Posten des stellvertretenden Geschäftsleiters bei Renault Sport.
AirAsia-Fluglinienchef Tony Fernandes holte Abiteboul 2012 zum in England stationierten Rennstall, Caterham fuhr von 2012 bis zum Kollaps Ende 2014 mit Renault-Motoren. Für Fernandes war es die Möglichkeit, das Tagesgeschäft abzugeben.
Im Juli verliess Abiteboul Caterham und kehrte zu Renault zurück – dort übernahm er die Stelle des Geschäftsleiters.
Die Rückkehr von Renault als Werks-Team zur Saison 2016 hin war für die Formel 1 ein wichtiges Signal. Denn in den Jahren zuvor hatte der Sport viel zu oft negative Schlagzeilen gemacht. Zu erdrückend die Dominanz, zuerst von Sebastian Vettel mit Red Bull Racing, dann von Lewis Hamilton im Silberpfeil. Der Schritt in die Turbo-Ära – technisch ein Leckerbissen, aber aus Marketing-Sicht verpatzt, die Motoren von schwachem Sound, das Strafensystem ein Witz. Die Antriebseinheiten, von den Autoherstellern dem Autoverband FIA aufgedrängt, sind viel zu teuer geworden. Seither sind FIA-Präsident Jean Todt und Formel-1-Promoter Bernie Ecclestone bemüht, die Kosten herunter zu bringen, ein Tauziehen mit den Motorherstellern.
Viele Rennställe sind von den Motorkosten an den Rand des Ruins getrieben worden, aus Spargründen musste redimensioniert werden. Das alles hat Spuren hinterlassen, auch beim früheren Lotus-Rennstall, der nun wieder Renault heisst.
Anfangs 2016 arbeiteten rund 450 Mitarbeiter in Enstone. «Ende 2017 waren wir bei mehr als 650», sagt Renault-Sport-Geschäftsleiter Abiteboul.
Ihm war aufgefallen, wie sich die Stimmung im Werk verändert hatte. «Als wir im November 2015 das Werk besucht haben, waren alle zwar mit Volldampf an der Arbeit, aber die Atmosphäre war eher gedrückt. Wenn man nun durch das Werk schreitet, dann ist es, als hätte jemand das Licht angemacht – es wird noch immer auf Volldampf gearbeitet, aber die Menschen sind jetzt von Optimismus beseelt. Im Motorenwerk von Viry-Châtillon ist es ähnlich, obschon wir wissen, dass wir eine Herkulesaufgabe vor uns haben.»
Dazu gehört ein komplett neuer Motor für 2017.
Abiteboul sprach den Leistungsrückstand von Renault auf Mercedes-Benz und Ferrari an. Im Laufe der Saison 2016 sind bereits stattliche Fortschritte erreicht worden, vor allem jedoch ist, wie sich Abiteboul freut, «das Token-System endlich Geschichte. Wir konnten der FIA darlegen, dass freie Entwicklung der bessere Weg ist, um Boden auf den Klassenersten gut zu machen. Ein Reglement, das die Leistung der Motoren diktiert, ist schlecht für alle. Es ist letztlich auch eine Entscheidung, die dem Fan zu Gute kommen soll: Niemand hat doch das ganze Token-System je im Detail verstanden und die entsprechenden Strafen, wenn einzelne Teile ersetzt werden müssen, schon gar nicht.»
Abiteboul fasste zusammen: «Ich erkenne einen starken Drang in beiden Werken, in England und in Frankreich, die Zukunft aufzubauen. Wir wussten, dass 2016 ein Übergangsjahr wird, eine Saison des Aufbaus. Aber schon 2017 wollen wir tüchtig angreifen. Letztlich spiegelt das alles nur wieder, wie leidenschaftlich Renault dem Thema Motorsport gegenüber steht. Die Fachleute sind stolz darauf, was in der Vergangenheit für Ergebnisse errungen worden sind. Und ich erkenne in ihnen den Enthusiasmus, diesen Erfolgen künftig neue hinzuzufügen.»
Renault konnte 2016 nur drei Mal in die Punkte fahren (mit Kevin Magnussen als Siebter in Sotschi als Höhepunkt), einen Sieg gab es für Abiteboul hingegen abseits der Rennstrecke: Bei einem Machtkampf mit Teamchef Frédéric Vasseur blieb der ART-Rennstallgründer auf der Strecke – er gab Anfang Januar bekannt, dass er das Team verlassen werde. Zu viele Köche verderben auch in Frankreich den Brei.
Renault ging mit grossen Erwartungen in die Saison 2017 und konnte nur zum Teil überzeugen: Erst beim WM-Finale von Abu Dhabi konnten die Gelben den Rivalen von Toro Rosso den sechsten Schlussrang abspenstig machen.
Renault war in den ersten vier Fünfteln der WM praktisch ein Einwagen-Team: Der glücklose Jolyon Palmer konnte nur einmal punkten, alle anderen WM-Zähler fuhr der starke Nico Hülkenberg ein.
Cyril Abiteboul: «Nico ist eine Führungspersönlichkeit. Als echter Leader reisst er uns mit. Er hat Charisma und zu Recht einen guten Ruf. Aber gleichzeitig hat er wie wir in der Formel 1 etwas zu beweisen: Er hat einen guten Namen, aber er will nach vorne. Innerhalb der kommenden Jahre wollen wir gemeinsam in die Position kommen, Rennen zu gewinnen und Weltmeister zu werden. Nico Hülkenberg setzt Prioritäten und gibt eine Entwicklungsrichtung vor. Genau so einen Fahrer haben wir gebraucht.»
Renault zeigte zur neuen Turbo-Ära ab 2014 einen Waagrechtstart. Ausgerechnet die Turbo-Pioniere der Formel 1 fuhren hinterher, Mercedes-Benz hatte die Hausaufgaben besser gelöst. Der Renault-Motor war auch 2017 zu wenig kraftvoll, und die Standfestigkeit lässt zu wünschen übrig.
Abiteboul ist der überraschenden Ansicht, ein Grund für die Misere liege beim früheren Renault-Teamchef Flavio Briatore, der seit 2009 gar nicht mehr für Renault tätig ist! Der 40jährige Franzose erklärt den Kollegen von AutoHebdo: «Die Motorenabteilung von Viry-Châtillon ist eine Mannschaft, die neu aufgebaut werden muss. Wir bezahlen heute anhaltend den Preis für die Entscheidung von Flavio Briatore 2007, hunderte von Leuten zu entlassen, als beschlossen wurde, die Motorentwicklung einzufrieren.»
«Das war in einem gewissen Masse ein Rückzug aus der Formel 1, während Mercedes mit Volldampf weitermachte, die Firma Ilmor erwarb und in die Zukunft investierte – mit Projekten für Strassenfahrzeuge, welche vorwegnahmen, was in der Formel 1 passieren würde.»
«Seit ich 2014 das Ruder übernommen habe», so Abiteboul weiter, «habe ich für Viry-Châtillon ungefähr hundert Leute engagiert. Wir haben die Verantwortung umverteilt. Die Leute müssen zusammen arbeiten und sich auch ohne Worte verstehen können.»
Für 2018 anvisiert wurden: Lücke zu den Top-Teams schliessen, WM-Rang 4 einfahren, erster Podestplatz. Tatsächlich konnten die Franzosen den vierten Schlussrang erringen, aber von einer Gefährdung der besten drei Rennställe oder einem Platz unter den ersten Drei bei einem Rennen konnte keine Rede sein. Dafür gelang Cyril Abiteboul im Sommer ein toller Fang: Er verpflichtete für 2019 GP-Sieger Daniel Ricciardo.
Ein Jahr später herrschte bei Renault Katerstimmung. Renault rettete beim WM-Finale den fünften Schlussrang knapp vor Toro Rosso. Die Saisonziele wurden meilenweit verpasst – Renault wollte 2019 näher an die Spitze heranrücken, den Top-Teams auf den Wecker gehen und erste Podestränge einfahren. Aber es blieb beim vierten Platz von Ricciardo in Monza.
Abiteboul gab Aerodynamik-Chef Peter Machin den Laufpass, auch Nick Chester musste gehen, der langjährige Leiter der Chassis-Abteilung in Enstone.