Le Mans: Immer an der Wand lang
Fünfeinhalb Meter lang und anderthalb Meter hoch ist eine helle Wandtafel im Pressezentrum. Unter dem Foto jedes der 56 gestarteten Autos gibt es eine senkrechte Spalte, in der die Rennchronologie jedes Mobils und jedes Fahrers über 24 Stunden minutiös aufgeführt wird. Alles ist exakt aufgelistet, in dürren Worten, mit Uhrzeit auf die Sekunde, mit den Vorgängen, die sich an den jeweiligen Boxen abspielten, mit einigen der Ereignisse, die draußen auf der großen, grausamen Schleife zu Schicksalen wurden.
Für den schrecklichen Tod des Dänen Allan Simonsen reichen zwei Zeilen: Zeit 15.10,14 Uhr, Marshal-Posten 18 b, Einschlag des Aston Martin Nr. 95 in die Leitplanke.
Dass es eine Untersuchung des Vorgangs, wie «bei jedem tödlichen Unfall auf einem Verkehrsweg» gab, wie es in der juristischen Sprache Frankreichs heisst, erfährt man später. Auf der hellen Tafel steht nichts davon, auch nichts davon, dass diesem Unfall eine 54 minütige Gelbphase folgte, in der Leitplanken repariert wurden.
Dafür erfährt man dort etwa, dass Marcel Fässler mit dem Audi Nr. 1 an die Boxen musste, um den Generator zu tauschen. Da sich der Stromerzeuger quasi im Getriebe versteckt und sein Austausch das Team jede Podiumschance kostete, steht nicht geschrieben. Als bei Audis Nr. 3 größere Karosserieteile gewechselt wurden, ließ sich der Grund dafür aber aus der Bemerkung «Ausritt durch ein Kiesbett» eruieren. Ganz deutlich werden die Geschicke jener Fahrzeuge, deren senkrechte Spalte mit einem roten Querkreuz endet: Das heißt Ende, Aus, Aufgabe.
Der Ferrari auf dem Schrottplatz
Es lässt sich sogar verfolgen, wie sich der exzentrische Amerikaner Tracy Krohn – nach Totalschaden seines Ferrari im Training – im Rennen auf Anhieb drehte, eine Stunde später in eine Mauer krachte, um exakt um 1.04 Uhr so abzufliegen, dass sein 458 Italia auf dem gleichen Schrottplatz vor dem Abnahme-Büro des ACO landete, auf dem auch die demolierten Lola Nr. 28, Lotus Nr.31, Oreca Nr. 25 und der Lola Nr. 30 mehr oder weniger abgedeckt mit Planen parkten.
Was auch nicht aus besagter Tafel hervorgeht, sind die elenden, langen Gelbphasen dieses Langstrecken-Rennens, die schon die Trainingssitzungen vergällten. Sie trugen nicht unerheblich zur einreissenden Tristesse bei. Denn: Deutlich weniger Zuschauer als in den Vorjahren bekamen kaum Informationen zu den permanenten Arbeiten beim Ersatz demolierter Leitplanken.
Zwar wird an dieser Anschlagswand jeder Dreher, jede Kupplungsreparatur, jeder Elektrik-Durchbrenner und jede Vibration notiert. Aber der zahlende Zuschauer erfährt von all dem fast nichts. Zur Entschädigung bekommt er mit, dass die von Audi gestellten Safety-Wagen fast eben so viele Einsatzzeiten absolvierten, wie ein Teil der Rennwagen mit den vier Ringen.