Dakar 2024: Was wir gelernt haben
1. Endlich Audi
Audi legt bei seinen Motorsport-Aktivitäten gern ein technisches Meta-Thema drüber: Allrad bei der Rallye-WM, Diesel in Le Mans. Die Class1-DTM gegen Mercedes und BMW fiel eher in die Kategorie „Wer hat den Längsten?“ aber gut, kann man schon auch mal machen. Audis technisches Über-Thema bei der Dakar in den letzten Jahren: Unser komplizierter Hybrid mit E-Antrieb, Hochvolt-Batterie und Energiewandler funktioniert unter allen Umständen. Wohl weil es in den letzten Jahren aber nicht so toll geklappt hat, hielt man sich diesmal in der Kommunikation auffällig zurück. Nahezu schüchtern und bescheiden fiel der Auftritt in der Wüste aus – der letzte, bevor man sich komplett auf die Formel 1 konzentriert. Auch den Sieg nahm man beinahe demütig zur Kenntnis. Keine doppelseitigen Inserate, keine Jubelgesänge im Internet, daher übernehmen wir das an dieser Stelle: Das «komplexeste Auto das ich je gefahren bin» (O-Ton Carlos Sainz) hat das härteste Ausdauer-Rennen überlegen gewonnen. Herzliche Gratulation!
2. Sieger gesucht
Nach dem Audi-Abschied werden alle Karten kräftig neu gemischt. Prodrive schreibt kommendes Jahr Dacia auf sein Auto, das Sébastien Loeb und Side-by-Side-Siegerin Cristina Gutierrez Cristina Gutierrez fahren werden. Als dritter Fahrer war eigentlich Nasser al-Attiyah vorgesehen gewesen. Nach mehreren technischen Defekten schwor der Qatari jedoch, «nie wieder in dieses Auto zu steigen.» Da Nasser gut bei Kassa ist, kann er sich in aller Regel aussuchen, wo er fahren wird. Wer traut sich dagegen zu wetten, dass wir ihn kommendes Jahr wieder bei Toyota sehen werden, wo er seine größten Erfolge gefeiert hat und dort der perfekte Mentor für den jungen Seth Quintero wäre?
3. Never too old to Rock’n Roll
Vorbei die Tage, als Motorsportler rund um ihren 30. Geburtstag ans Aufhören dachten. Die Top-Piloten der Dakar sind im allerbesten Silberrücken-Alter. Sieger Carlos Sainz wird im Frühjahr 62 Jahre alt. Sein Teamkollege Stéphane Peterhansel ist auch nur um drei Jahre jünger. Nasser al-Attiyah ist 53 Jahre alt, Sébastien Loeb nur noch ein Monat vom 50er entfernt. Dass die Autos so einfach zu fahren sind, dass sie auch von Beinahe-Pensionisten mühelos schnell zu bewegen sind, stimmt nicht, im Gegenteil: Zwei Wochen Plackerei in der Wüste sind zwei Wochen Schwerstarbeit. Die oben genannten Gentlemen sind schlicht und einfach Musterprofis, die uns allen zeigen, dass Alter nur eine Zahl ist, wenn man es richtig anlegt und stetig am Ball bleibt. Die Fitnesswerte von Carlos Sainz waren vor der Dakar die besten seiner Karriere!
4. Side-by-side funktioniert
Endlich hat die Dakar ihre Nachwuchs-Kategorie gefunden. Side-by-side haben sich als perfekte Schule für die Wüste etabliert. Wer mit den kleinen Buggies der T3-Klasse brilliert, ist reif für den Aufstieg in die Königsklasse T1, also jene der sündteuren und sauschnellen Prototypen. Selbst wenn der erste Auftritt des jungen US-Shootingstars und vorherigen Side-by-Side-Dominators Seth Quintero in der großen Kategorie nicht so verlief wie geplant: Platz 2 gesamt des erst 26jährigen Guillaume de Mévius beweist, dass man in der kleinen Klasse alles lernt, was man für ganz oben braucht.
Und noch etwas erfüllt die kleine T3-Kategorie: Sie ist eine kostengünstige, risiko-arme Möglichkeit für Privatiers wie Lukas Lauda oder Anett Quandt, die Dakar zu erleben.
5. Das Imperium schlägt zurück
Vorbei die Zeiten, als bei KTM jeden Januar in aller Selbstverständlichkeit ein weiterer Dakar-Pokal ins Regal gestellt wurde. Honda ist ein mehr als nur ebenbürtiger Gegner geworden. Die aktuelle CRF ist ein Motorrad, das unter allen Bedingungen und auf allen Terrains ermüdungsarm und schnell zu bewegen ist. Hatte Adrien Van Beveren die Werks-Honda nach seinem Umstieg von einer semi-privaten Yamaha einst als «unfahrbar» tituliert, holte er 2024 damit seine beste Karriere-Platzierung. Die KTM/Husqvarna/GASGAS-Armada musste mit viel fahrerischen Risiko dagegenhalten, was nur bedingt gelang. 38 Minuten Rückstand ausgerechnet auf Honda, ausgerechnet bei jenem Event, das man dominiert hat wie keines sonst: Das tut Mattighofen wirklich weh. Und für alle, die blauäugig genug sind, um Honda in der MotoGP abzuschreiben: Wenn Big H einmal in die Gänge kommt (und dort ausnahmsweise alle an einem Strang ziehen), dann können sich alle warm anziehen.
6. Auftritt der Underdogs
Hersteller wie Kove oder Hero haben die ursprüngliche Strategie von KTM usurpiert: Wir beweisen in der Wüste, wie gut unsere Motorräder sind und ärgern damit die Etablierten. Genau wie einst KTM gegen die Japaner kommen nun die Kollegen aus China und Indien, stellen sich mit erstaunlichen Ergebnissen den Big Playern und holen sich die Schlagzeilen. Wie Mason Klein KTM, Honda & Co. mit seinem 15.000-Euro-Bike auf der ersten Etappe vorführte, war aller Ehren wert. Und riesigen Applaus natürlich dem wackeren Ross Branch, der mit seiner (bei Speedbrain in Rosenheim vorbereiteten) Hero die Honda-Armada an der Spitze sprengte und einen hoch emotionalen Platz 2 nach Hause brachte.
7. Menschliche Geschichten
Wenn einer eine Reise tut, kann er was erzählen. Wenn einer die Dakar bewältigt, hat er hunderte Geschichten zu erzählen. Geschichten von Kameradschaft, von Leiden, von Abenteuer und Durchkommen. Ein paar davon werden in der famosen Video-Serie «In the Dust» erzählt, nachzusehen zum Beispiel HIER.
Der erste Sieg einer Frau in der T3-Kategorie (Cristina Gutierrez), der erste Sieg eines Östereichers in der Malle-Moto-Klasse (Tobias Ebster), gute, positive Geschichten. Aber ausnahmslos jeder, der es bis ins Ziel nach Yanbu geschafft hat, ist ein Gewinner. Auch der Saudi Alnoumesi Hani, als 103. und letzter klassifiziert. Auf 11 Tagesetappen schaffte er es, über 148 Stunden Verspätung auf den Sieger aufzureißen. Das sind mehr als sechs volle Tage. Auch die Geschichte seiner Dakar würden wir gerne hören.