Erzbergrodeo: Der Nicht-Abbruch und seine Folgen
Gleich nach dem Start gab es große Verwirrung
Nun mag man sagen, dass die HEWC aus der WESS (World Enduro Super Series) hervorgegangen ist und man daher nicht bei null anfangen musste. Das ist sicher richtig. Doch einerseits ist an der ein oder anderen Stelle durchaus Optimierungspotenzial vorhanden und andererseits befindet sich die WM nun unter dem Dach des Motorrad-Weltverbands FIM – womit man die entsprechende Stimmigkeit, Regelkonformität und Professionalität erwarten kann und muss.
Wer sich etwas mit der Geschichte im Hard-Enduro auskennt, der weiß um die Schwierigkeiten, die man in den vorangegangenen Jahren hatte, sich in diesem Sport auf den Modus einer offiziellen Weltmeisterschaft zu einigen, der allen Beteiligten gerecht wird. Vor gut zehn Jahren hatten sich die Veranstalter einiger der zu dem Zeitpunkt wichtigsten Rennen wie dem Erzbergrodeo, Tough One und den Romaniacs über einen längeren Zeitraum an der Findung eines Modus versucht – und sind gescheitert. Und wenn man die Veranstalter dieser Rennen kennt, dann ist klar, dass man es in der Regel mit gestandenen Männern, meist langjähriger Erfahrung und – wohlwollend formuliert – starken Charakteren zu tun hat.
Mit den Kings of Extreme Enduro (KoEE) gab es in den Jahren 2012 und 2013 eine private Initiative, deren Initiatoren es im Wesentlichen leid waren, dass man sich über einen längeren Zeitraum hinweg nicht auf einen Modus einigen konnten. Man wollte endlich ein Ranking schaffen, das die Teilnehmer veranstaltungsübergreifend sichtbar und vergleichbar macht. Die Sichtbarkeit ist wichtig, denn neben den wenigen Vollprofis und den Werksteams mit den entsprechenden Budgets gibt es in diesem Sport eine ganze Reihe an ambitionierten Amateuren, für welche die Teilnahme an den Rennen finanziell eine große Herausforderung ist und die daher Sponsoren überzeugen müssen. Somit ist die KoEE ein Vorläufer der offiziellen Weltmeisterschaft gewesen.
Die World Enduro Super Series (WESS) war ein erster professioneller Ansatz, der aber nicht unter der Ägide eines internationalen Verbands umgesetzt wurde und daher keine offizielle Weltmeisterschaft war. Nachdem die FIM die rasante Entwicklung und die immer größer werdende Relevanz des Hard-Enduro-Sports nicht mehr ignorieren konnte, einigte man sich mit den Machern der WESS und 2021 war das erste Jahr der FIM HEWC. In dieser ersten Saison konnte sich der Brite Billy Bolt den Gesamtsieg knapp vor Manuel Lettenbichler aus Bayern sichern.
Als drittes Rennen der aktuellen und zweiten HEWC-Saison stand im Juni das Erzbergrodeo an. In den Jahren davor waren die 1500 Plätze dieses Kult-Rennens innerhalb von Minuten vergeben. Nicht so in diesem Jahr, denn lediglich 1158 traten am Iron Giant in der österreichischen Steiermark an, um sich in den beiden Prologläufen für das Hauptrennen und eine der zehn Startreihen mit je 50 Fahrern zu qualifizieren. Warum es weniger Fahrer gewesen sind, ist eher Spekulation. Sicherlich sind die Auswirkungen der Covid-19-Seuche, die immer höher werdende Inflation und die deutlich gestiegenen Reisekosten als Gründe nicht von der Hand zu weisen.
Als das Rennen gestartet wurde und die ersten 50 Fahrer aus dem Kessel, der tiefsten Stelle des Eisenerz-Tagebaus, die ersten Steilhänge absolvierten, gab es gleich einen Moment der Verwirrung unter den Führenden wie Lettenbichler und Kabakchiev. Denn sie fuhren unvermittelt von hinten wieder in den Verkehr der anderen Fahrer der ersten Startreihen und fanden sich vor einer Absperrung, die an dieser Stelle nicht hätte sein dürfen. Nach kurzer Orientierung entschieden sich die ersten drei Fahrer, die Absperrung zu ignorieren und den Pfeilen hinter der Absperrung zu folgen.
Dieser Moment stellte den Veranstalter vor die Herausforderung, zu entscheiden, ob das Rennen fortgesetzt werden kann oder abgebrochen werden muss. Zwei Minuten nach der ersten Startreihe hätte die zweite folgen sollen. Durch das eben beschriebene Vorkommnis entschied Veranstalter Karl Katoch jedoch erst zirka neun Minuten nach dem Start der ersten Reihe, das Rennen fortzusetzen, sodass die 50 Fahrer der zweiten Startreihe und alle weiteren 400 der weiteren acht Startreihen 7 Minuten verloren haben.
Somit haben wir es mit einem bemerkenswerten Vorkommnis in einem Weltmeisterschaftslauf zu tun: Einer fehlerhaften Absperrung, daraus resultierend eine überflüssige Kreisfahrt für die Führenden, deren Einscheren von hinten in den Verkehr und die Benachteiligung aller folgenden Fahrer. Laut Veranstalter konnte nicht nachvollzogen werden, ob die Streckenposten oder die Zuschauer für die Absperrung an der falschen Stelle verantwortlich zu machen sind.
Auch in der 26. Ausgabe eines Rennens mit dieser Komplexität kann es vorkommen, dass eine Absperrung falsch gesetzt wird. Das Rennen wurde live auf Red Bull TV und teilweise ServusTV übertragen, sodass jeder Zuschauer Zeuge dieser Thematik geworden ist. Irren ist menschlich, Fehler machen auch. Es ist bei diesem Vorfall glücklicherweise niemand zu Schaden gekommen und so sollten wir darauf zählen, dass alle Vorkehrungen getroffen werden, derlei in Zukunft zu vermeiden.