History: Jody Scheckter siegt 1976 mit 6-Rad-Tyrrell
Der 13. Juni 1976 hat für Formel-1-Historiker eine besondere Bedeutung: An jenem Tag fuhr der Rennstall von Ken Tyrrell in Anderstorp (Schweden) mit Jody Scheckter und Patrick Depailler einen grandiosen Doppelsieg ein. Das Ungewöhnliche dabei: Der Südafrikaner und der Franzose bewegten den aufregenden Sechsrad-Tyrrell P34.
Mitte der 70er Jahre war es noch möglich, eine so revolutionäre Entwicklung geheim zu halten. Als der Wagen präsentiert wurde, fielen den Gästen der Tyrrell-Präsentation fast die Augen aus dem Kopf. Konzipiert wurde der Wagen, um dem Wind weniger Widerstand entgegen zu stellen, dazu wurden der Vorderachse vier kleine Räder verpasst. Der Wagen war recht erfolgreich (Scheckter wurde WM-Dritter), aber schon 1977 war das Nachfolgemodell nicht mehr konkurrenzfähig – es mangelte an Weiterentwicklung der kleinen Vorderräder.
Scheckter klemmte sich fast vierzig Jahre später wieder in den Sechsrad-Tyrrell und sagte anschliessend: «Ich habe nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass der Sechsräder nicht mein Lieblingsauto war. Aber niemand wird bestreiten, dass er bis heute eines der meistbestaunten Fahrzeuge ist. Ich mochte den Wagen nicht, aber so schlimm kann es wohl nicht gewesen sein, wenn ich damit in Anderstorp gewonnen habe und in der WM 1976 Dritter wurde.»
«Was in den 70er Jahren ziemlich cool war – die Rennwagen-Designer hatten viel mehr Freiheiten als heute. Ich finde es bis heute unfassbar, dass damals bis zur Präsentation keiner etwas von der Entwicklung mitkriegte.»
Die damaligen Piloten Jody Scheckter und Patrick Depailler standen dem Sechsrad-Fahrzeug völlig unterschiedlich gegenüber. Der Südafrikaner fand ihn ein wenig lächerlich, der Franzose liebte ihn.
Der Doppelsieg in Anderstorp (Schweden) war der Höhepunkt eines Autos, dessen Konzept zum eigenen Niedergang werden sollte – Goodyear war in ein Reifenduell mit Michelin verwickelt, es standen zu wenig Kapazitäten zur Verfügung, die kleinen Vorderreifen für Tyrrell auf dem Stand der mächtigen Hinterreifen zu halten. Die zu harten Mischungen vorne führten zu chronischem Untersteuern, das zusätzliche Gewicht an der Vorderachse (vier Aufhängungen, vier Bremsanlagen) half dabei wenig.
Der Sechsrad-Tyrrell fasziniert die Menschen bis heute.
Ein japanischer Modellbauer, der seine Arbeit als @kotmaa auf Twitter zeigt, hat sich Gedanken gemacht: Wie sähe der Sechsrad-Tyrrell heute aus?
Aus verschiedenen Modellbausätzen, einer Mischung von Tyrrell P34 und Rennern aus den Jahren 2009 bis 2013, hat er einen modernen Sechsradrenner gebaut.
Es bleibt alles Theorie: Im FIA-Reglement für die Formel 1 ist verankert, dass ein Rennwagen nicht mehr als vier Räder haben darf.
Lust auf sechs
Gasoline Alley hatte ja schon Einiges gesehen, aber da klappte auch den hartgesottensten Indianapolis-Haudegen die Kinnlade herunter: Der «Pat Clancy Special» hatte 1948 tatsächlich sechs Räder, um Himmels willen!
Bill deVore qualifizierte den Wagen mit den zwei Hinterachsen auf Startplatz 20 und kam als Zwölfter ins Ziel, in Milwaukee 1949 beendete er ein Rennen sogar als Vierter. Bis heute ist der Clancy Special das einzige Sechsrad-Fahrzeug, welches beim Indy 500 am Start war.
Die Inspiration dazu kam möglicherweise aus dem europäischen Sport – von jenen Silberpfeilen der Auto-Union und von Mercedes-Benz, die bei Bergrennen mit Zwillingsrädern an den Start rollten. Eine Idee, die in den 70er Jahren von Ferrari aufgegriffen wurde, über Tests mit Niki Lauda und Carlos Reutemann kam man in Maranello aber nicht hinaus: Die Aufhängung war von den vier Rädern überfordert.
Vielleicht war der Gedanken-Anstoss für den Clancy aber auch der Weltrekordwagen von Mercedes-Benz gewesen, jener mächtige T80, dessen Einsatz vom Zweiten Weltkrieg verhindert wurde.
Ungefähr die gleiche Reaktion wie in Gasoline Alley gab es rund dreissig Jahre später in der Formel 1, als Tyrrell für die Saison 1976 den P34 (für Projekt 34) präsentierte – ein Formel-1-Renner mit vier kleinen Vorderrädern! Die Idee dahinter: eine kleinere Stirnfläche verspricht eine vorteilhaftere Aerodynamik.
Das Nachfolgemodell war nicht nur optisch eine Enttäuschung. Da Lotus inzwischen das Flügelauto-Prinzip verfeinert hatte und mit dem Abgang von Tyrrell-Designer Derek Gardner wurde dieser Weg nicht weiter begangen, der 1978er Tyrrell war wieder ein konventionelles Auto.
Williams setzte die Idee konsequenter um: nicht mit vier Rädern vorne, sondern (Grüsse nach Amerika!) mit vier Rädern hinten. Der Wagen brach mit Keke Rosberg in Le Castellet den Rundenrekord, doch am Ende entschlossen sich die Briten gegen das Wagnis Sechs – die unteren Querlenker der Hinterradaufhängung standen dem Konzept des «wing car» im Weg. Und ohne Flügelauto ging inzwischen in der Formel 1 gar nichts mehr.
Einen ähnlichen Weg ging March: ebenfalls mit zwei Rädern hinten, und das sogar noch vor Williams. Das Modell 2-4-0 war das Werk von March-Mechaniker Wayne Eckersley, im Grunde handelte es sich um eine Hinterachse, die sich an die March-Typen 761 oder 771 andocken liess.
Das Heck erwies sich bei Tests jedoch als zu wenig verwindungssteif, das Projekt wurde für den GP-Sport in die Tonne gekippt, weil die finanziellen Mittel fehlten, um das schlummernde Potenzial zu wecken.
Ein Happy-End gibt es trotzdem: Bergkönig Roy Lane eroberte mit dem Sechsrad-March die britische Meisterschaft 1979, die Traktion der vier Hinterräder machte ihn so gut wie unschlagbar.