Formel 1: «Dumme Regel half Verstappen»

FIA-Präsident Jean Todt: «Wir finden nichts Besseres»

Kolumne von Mathias Brunner
​Bei «Formula One Management» (FOM) und dem Autoverband FIA hat die Vernunft gesiegt: Das Dreitage-Format für GP-Wochenenden bleibt. FIA-Chef Jean Todt muss zugeben: «Wir finden nichts Besseres.»

Der hochintelligente Engländer Ross Brawn ist bei Formel-1-Grossaktionär Liberty Media für die Entwicklung von Sport und Technik verantwortlich. Zum Reglement gehört auch der Ablauf eines Rennwochenendes, und dabei kursierte seit Jahren der Plan, aus den Grand-Prix-Wochenenden Zweitagesveranstaltungen zu machen. Renault-Teamchef Cyril Abiteboul meinte: «Das gegenwärtige Format muss geändert werden. Das Freitagtraining spielt doch keine Rolle mehr. Wir müssen die Formel 1 dynamischer gestalten.»

Doch die Rechnung «Mehr Rennen, dafür nur noch Zweitages-Veranstaltungen» ist fragwürdig. Der Aufwand für einen Rennstall zur Anreise ist genau so hoch, ob nun an drei Tagen gefahren wird oder an zwei. Zu zusätzlichen GP-Orten zu reisen, das kostet hingegen mehr Geld. In vielen Städten müssen in Hotels mindestens vier Nächte bezahlt werden, gespart wird hier nichts, wenn auf der Rennpiste nur am Samstag und Sonntag Action geboten wird. Zudem will Formel-1-CEO Chase Carey den Fans Mehrwert bieten. Wo bitte soll der sein, wenn ein Tag Motorsport wegfällt?

FIA-Präsident Jean Todt sagte zu diesem Thema: «Das Thema Format ist einfach – wir haben bis jetzt nichts gefunden, was uns besser vorkommen würde als das bisherige.»

Der Franzose warnte eindringlich davor, nur den Show-Effekt im Auge zu haben, dabei aber die Position der Rennveranstalter zu vergessen. Eine Zweitagesveranstaltung bringt naturgemäss weniger Geld ein als das klassische Format. Mit einem Zweitages-GP-Wochenende würden alleine in Mexiko den Veranstaltern fast 100.000 Fans entgangen!

Dennoch kursierte munter weiter: Der Freitag soll nur noch als PR-Tag dienen, keine Formel-1-Renner auf der Strecke. Freies Training dann am Samstagmorgen, Qualifying am Samstagnachmittag, Rennen am Sonntag.

Selbst viele Fahrer rümpften die Nase. Der bekennende Formel-1-Historikfan Sebastian Vettel meinte: «Ich bin Traditionalist, also halte ich von solchen Ideen wenig. Ich finde, das würde etwas vom Spektakel Grand Prix wegnehmen.»

Seit Jahren war davon die Rede, aus Grand-Prix-Wochenenden Zweitagesveranstaltungen zu machen. Nun bestätigt der kanadische Rennpromoter François Dumontier gegenüber der Nachrichtenagen tur Canadian Press: Diese Schnapsidee ist vom Tisch. «Ja, es gab Diskussionen über Zweitagesveranstaltungen. Aber die Frist ist viel zu kurz, um so etwas bald umzusetzen. Bei der Sitzung aller Rennveranstalter mit Liberty Media Anfang Februar in London ist das nicht einmal diskutiert worden.»

Ross Brawn liess schon 2018 anklingen, dass sich die fragwürdige Idee von Zweitages-Wochenenden in Luft auflösen würde. «Drei Tage wie bis anhin – das liegt im Interesse der Veranstalter und der TV-Anstalten, das sind wir das den Fans schuldig. Es stellt sich freilich die Frage, wie wir diese drei Tage am gescheitesten aufteilen. Wir gucken uns derzeit das Quali-Format an und auch das Punktesystem.»

«Viele Fans sagen uns in Umfragen: „Für die Rennställe über Platz 10 hinaus geht es um nichts, auf den Ferner-liefen-Plätzen nur noch das Material geschont.“ Also denken wir darüber nach, wie wir mehr Anreize erzeugen können, dass auch ein Kampf um Rang 12 attraktiv ist. Punkte bis Platz 15 könnte eine Lösung sein. Wir wollen aber auch nicht zu viel ändern.»

«Was die Qualifikation angeht, so möchten wir die besten Fahrer an der Spitze beim Mehrkampf erleben, wer von ihnen der Schnellste ist. Auf der anderen Seite wissen wir: Wenn die Quali ein wenig quer läuft, mit Top-Piloten, die wegen Technikproblemen, wegen eines Fahrfehlers oder wegen Wetterkapriolen von weiter hinten starten müssen, dann ergeben sich bei ihrer Aufholjagd in der Regel tolle Rennen. Ein möglicher Weg: Wir schränken die Anzahl Reifensätze ein, das würde Fahrer zwingen, die Leistung auf den Punkt zu bringen und die Rennställe hätten weniger Zeit für die ideale Abstimmung. Wir müssen aber vorsichtig vorgehen, weil das heutige Quali-Format erfolgreich und populär ist.»

Eigentor der Formel 1

Die FIA ist ein gebranntes Kind, was Änderungen des Qualifyings angeht, denn im März 2016 schoss der Automobil-Weltverband ein peinliches Eigentor.

Wenige Minuten vor Schluss des Qualifyings in Melbourne: Theoretisch die heisseste Phase des Formel-1-Abschlusstrainings, nun sollte es für die besten Grand-Prix-Fahrer der Welt um alles gehen – wer ist dieses Mal wohl der schnellste Mann im Albert-Park?

Und dann das: Auf der Bahn – niemand! Die Fans trotteten von den Tribünen herunter, die meisten schüttelten ungläubig den Kopf darüber, was sie soeben erlebt hatten. Viele fluchten, völlig zu Recht, der Ruf nach «Geld zurück» wurde laut. Die Formel 1 hatte sich mit dem neuen Quali-Prozedere bis auf die Knochen blamiert.

In der Theorie sollte das neue Ausscheidungsverfahren die Spannung erhöhen und das Überraschungsmoment fördern. In der Praxis waren alle vom Blick auf die herunterzählende Uhr fasziniert, weniger vom Geschehen auf der Bahn. Einige Rennställe schickten ihre Piloten zu spät auf die Bahn und gaben sich damit der Lächerlichkeit preis. Zum Schluss hatten die Piloten keine Reifen mehr oder keine Möglichkeit, sich zu verbessern. Also wurde nicht mehr gefahren. Dafür hatte doch kein Melbourne-Besucher ein Ticket gekauft!

Ferrari-Star Sebastian Vettel spottete: «Jetzt sind wir wirklich im Zirkus angekommen. Das ist vielleicht eine gute Idee, wenn die Pole nach dem Zufallsprinzip vergeben werden soll. Aber in der Formel 1 sollte es doch um Sport gehen. Nein, diese Idee ist schei....»

Die Rennfahrer hatten sich damals schon im Rahmen der Barcelona-Tests bei ihrem FIA-Ansprechpartner Charlie Whiting lautstark über das neue Prozedere beschwert. Sie warnten praktisch im Chor: «Das ist die Antwort auf eine Frage, die keiner gestellt hatte. Am früheren Qualiprozedere gab es nichts auszusetzen.»

Das Ausscheidungsverfahren, das dem geänderten Format zugrunde lag, ist im Sport keine Neuheit, um genau zu sein, hatte es die Formel 1 kopiert: Im Bahnradsport und beim Dirt-Track kennt man dieses Prinzip, bei dem am Ende zwei Fahrer übrigbleiben und um den Triumph kämpfen, seit längerem. In beiden Fällen handelt es sich um Rennen, nicht um ein Qualifikationsverfahren.

Wieso also ein neues Abschlusstrainingsformat? Auf diese Weise sollte das Training spannender gestaltet werden, die Fans sollten mehr Aktion auf der Bahn erleben. Im Eliminationsverfahren kann es sich ein Pilot selten leisten, unbekümmert an der Box zu stehen. Der Grundgedanke war richtig, aber wichtige Punkte wurden dabei ausser Acht gelassen.

Angefangen bei den Reifen: Wenn ein Fahrer nur eine beschränkte Anzahl des schwarzen Goldes zur Verfügung hat, muss sich niemand wundern, wenn er mit seinen Ingenieuren ausheckt – lieber noch einen Satz fürs Rennen zur Seite legen und eben im Training einmal weniger auf die Bahn gehen.

Zur Sicherheit wiederholte die Formel 1 dann die Farce von Australien im Rahmen des zweiten GP-Wochenendes von Bahrain, frei nach dem Motto «aus Schaden dümmer». Die Fans reagierten entsprechen: Geht’s noch?

Ab China wurde wieder im bewährten Quali-Ablauf gefahren – bis heute.

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