Alfred Neubauer: Der Dicke mit den tausend Tricks
Alfred Neubauer
Natürlich gab es auch vor, während und nach Alfred Neubauers Wirken bzw. dessen Tod 1980 zahlreiche Strategen an der Boxenmauer, sodass eine klare Rangliste ebenso unsinnig ist wie eine nach dem besten Rennfahrer aller Zeiten. Dennoch möchten wir mit den nachfolgenden Zeilen aufzeigen, weshalb «der Dicke» auf jeden Fall in der ersten Liga mitspielt.
Geboren wurde Alfred Neubauer am Ostersonntag des Jahres 1891 im damals zum Königreich Österreich-Ungarn gehörenden Neu Titschein, dem heutigen Novy Jicin (bei Ostrava). Sein Vater Karl war Bau- und Kunsttischler, ein Beruf, der den jungen Alfred Neubauer nur mässig begeisterte. Ungleich mehr Interesse brachte der kleine Neubauer der nur wenige Kilometer entfernten Nesselsdorfer Autoschmiede entgegen.
Mit 14 Jahren wurde Alfred Neubauer Vollwaise und wuchs fortan bei seiner älteren Schwester auf. Später ging er zum Militär, doch seine fanatische Verbundenheit zum Automobil blieb ihm erhalten. Als die Motorisierung auch in der österreichischen Armee Einzug hielt, kam er in den Genuss einer Spezialausbildung bei Austro Daimler und somit auch zum ersten Kontakt mit dem von ihm schon damals verehrten Ferdinand Porsche.
Als nach dem ersten Weltkrieg das Königreich Österreich-Ungarn und dessen Militär zerfiel, heuerte Neubauer bei Austro Daimler als «Einfahrer» an. Die Fahrzeuge vor ihrer Auslieferung mehrere Hundert Kilometer einzufahren, war in den Anfangsjahren des Automobilbaus Gang und Gäbe. Auf Grund seiner beruflichen Tätigkeit kam er dann auch ziemlich schnell zu seinen ersten Renneinsätzen. So startete er zum Beispiel 1922 mit dem zierlichen Rennwagen Typ Sascha bei der sizilianischen Targa Florio. Mit Rang 19 konnte er sich mit dem 1,1 Liter-Wagen hervorragend im Feld der wesentlich hubraumstärkeren Autos behaupten und wurde bestplatzierter Austro-Daimler-Fahrer.
Nach einigen Querelen der Firmenleitung von Austro Daimler mit Ferdinand Porsche kam es 1922 schliesslich zum Bruch der beiden Partner. Alfred Neubauer war nun bei der österreichischen Fahrzeugschmiede ebenfalls alles andere als glücklich. Im darauffolgenden Jahr folgte er dem genialen Konstrukteur zu Mercedes und wurde dort zunächst Abteilungsleiter der Einfahrer. Dies war der Beginn einer beispiellosen beruflichen Ehe.
Auch für die Untertürkheimer griff Alfred Neubauer bei Rennen ins Volant. Nach zwei Jahren in seiner neuen Heimat sah er dann aber ein, dass er zwar ein passabler, aber kein überragender Rennfahrer war. Daraufhin wechselte er die Fronten und zog mit seinem aussergewöhnlichen Organisationstalent an den Pistenrand. Da er als ehemaliger Rennfahrer die Sorgen und Nöte der damals «einsamsten Menschen der Welt» im Rennen nur allzu gut kannte, kreierte er zunächst eine Zeichensprache. Somit gilt Alfred Neubauer als Erfinder der Boxensignale. Als Geburtstag und -ort notiert man den 12. September 1926 und die Soltitude-Rennstrecke vor den Toren Stuttgarts.
Anfangs beschränkte sich die Zeichensprache noch auf simple Flaggensignale, so stand zum Beispiel eine grüne Flagge an der Mercedes-Box für eine gemächlichere Gangart. Im Falle einer überlegenen Führung der Mercedes-Piloten sollten sich diese nicht gegeneinander aufreiben und das Material schonen. Um den Piloten ihre Position und die jeweiligen Abstände anzuzeigen erfand Alfred Neubauer später die bis heute bekannte Boxentafel.
Harte Bewährungsprobe
Inzwischen zum unverzichtbaren Mercedes-Rennleiter und Strategen aufgestiegen, musste die Berufsehe nach zehn Jahren eine harte Bewährungsprobe bestehen. Die Weltwirtschaftskrise machte Renneinsätze unvertretbar. Die potentiellen Autokäufer hatten Probleme, die Tische ihrer Familien zu decken. Der Werbeeffekt des Rennsports wäre verschwendete Müh gewesen, sodass sich die Stuttgarter vorläufig zurückzogen. Vollblut-Racer Neubauer wäre daraufhin 1933 beinahe zur Auto Union gewechselt, da der junge sächsische Automobilherstellerverbund von Audi, Horch, DKW und Wanderer mit einem Renneinstieg zumindest schon einmal liebäugelte.
Das Versprechen des Wiedereinstiegs bei verbesserter wirtschaftlicher Lage von der Mercedes-Unternehmensleitung genügte dann allerdings, um Neubauer umzustimmen, woraufhin er seinen Vorvertrag mit der Auto Union wieder löste.
Der werkseitige Wiedereinstieg in den Rennsport von Mercedes erfolgte dann schliesslich 1934 mit Einführung der 750-kg-Formel. Diese Formel billigte den Wagen ein maximales Trockengewiccht von 750 Kilogramm zu, sprich ohne Kraft- und Schmierstoffe, Kühlflüssigkeit und Reifen.
Der neu entwickelte W 25 war zu Saisonbeginn, genau wie sein Pilot Rudolf Caracciola nach einer Verletzung, für die Hochgeschwindigkeitsstrecke der Berliner Avus noch nicht fit genug. Das Debüt sollte somit beim Eifelrennen am Nürburgring erfolgen. Am Abend vor dem Rennen wurden die Rennwagen gewogen, doch die Mercedes W 25 waren ein unerweichliches Kilogramm zu schwer. Der Legende nach entsprangen der Gemeinschaftsidee des Rennleiters Alfred Neubauer und seines Fahrers Manfred von Brauchitsch daraufhin die legendären «Silberpfeile». Die Mechaniker mussten über Nacht die weisse Farbe der deutschen Wagen (damals hatte jede Nation eine Wagenfarbe; Italien rot, Frankreich blau, Großbritannien grün) von den Aluminiumkarossen schmirgeln. Das brachte den Wagen besagtes Kilogramm Gewichtsersparnis, sowie den silbernen Glanz.
In der Folgezeit, und nicht zuletzt wegen der Nazi-Finanzspritzen, teilten Mercedes und AUTO UNION die Rennsiege fast ausnahmslos unter sich auf. Bis Hitlers Grössenwahn dem bunten Treiben ein Ende bescherte. Im Zweiten Weltkrieg beorderten die Machthaber Alfred Neubauer nach Berlin. Sein Auftrag: «Grosswerke» in den okupierten Gebieten planen und errichten. Großwerke sollten kilometerlange Werkhallen werden, um defektes Kriegsgerät quasi vor Ort zu reparieren und somit Transportkosten und -zeiten zu sparen.
Gegen Kriegsende kam er ins oberösterreichische Mattighofen als Leiter der Kfz-Instandsetzung, sowie später für drei Wochen hinter Gitter. Ersatzteilschieberei war der unhaltbare Vorwurf der amerikanischen Zwangsverwalter.
1946 kam Alfred Neubauer wieder zu Mercedes-Benz nach Stuttgart-Untertürkheim, wo er zum Wiederaufbau des Unternehmens engagiert wurde. Wiederaufbau war auch das Wort worauf Alfred Neubauer viele Jahre wartete, allerdings in Verbindung mit dem Wort Rennabteilung.
Erfolge mit Juan Manuel Fangio
1950 war es dann endlich soweit und sein Direktor gab ihm den Auftrag dazu. Bereits im Februar des darauffolgenden Jahres standen in Argentinien drei leicht modifizierte W 154 von 1939 am Start. Doch in Europa war man damit nicht mehr konkurrenzfähig, zudem die alte Formel (1,5 Liter Hubraum mit und 4,5 Liter Hubraum ohne Kompressor) noch bis einschliesslich 1953 ihre Gültigkeit besass. Die Kosten/Nutzen-Rechnung für eine Neukonstruktion fiel negativ aus, doch findige Köpfe in Stuttgart-Untertürkheim kamen auf die glorreiche Idee, aus dem Zivilfahrzeug Typ 300 den Sportwagen 300 SL zu entwickeln.
Für 1954 stellten die Schwaben dann mit dem W 196 eine Neukonstruktion für die Formel 1 auf die Räder. In Sachen Fahrerverpflichtung war es nun wieder an Alfred Neubauer, einen verfügbaren Top-Piloten unter Vertrag zu nehmen. Der bereits 43-jährige Argentinier Juan Manuel Fangio war das Objekt seiner Begierde, doch der stand bei Maserati auf der Lohnliste. Darüber hinaus hatte er die ersten beiden Formel-1-Läufe des Jahres gewonnen und war damit auf dem besten Wege seine zweite Weltmeisterschaft zu erringen. Was also sollte diesen Mann dazu bewegen, sich mit einem Neueinsteiger mitten in der Saison zu verbünden?
Nun, Alfred Neubauer umgarnte Juan Manuel Fangio trotzdem wie ein Goldfasan das Weibchen während der Balz. Schliesslich gelang es ihm tatsächlich, Fangio für Mercedes zu gewinnen. Fangio seinerseits gewann mit Mercedes vier weitere Rennen, sowie am Jahresende tatsächlich die Weltmeisterschaft.
Diesen Titel verteidigte er auch im Jahr darauf. Mercedes hatte inzwischen eine ähnliche Dominanz erreicht, wie vor dem Krieg. Doch 1955 wurden trotz aller Erfolge auch sehr traurige Kapitel geschrieben. Zum einen geschah der schreckliche Unfall in Le Mans, wo ein Mercedes-Sportwagen aufgrund des Unfalles von Pierre Levegh über 80 Zuschauer mit in den Tod riss.
Zum Anderen beschloss die Konzernleitung am Jahresende den vorläufigen Rückzug vom Motorsport. Alfred Neubauer war zu dem Zeitpunkt mit 64 Jahren zwar schon in einem Alter, in dem der Abschied vom Arbeitsleben nicht mehr allzu fern ist, doch diese Entscheidung rührte auch diesen oft recht schroff wirkenden Menschen zu Tränen.
In seinem Häuschen am Neckar verlebte er trotzdem noch viele schöne Jahre. Am 22. August 1980 verstarb der «Weltmeister der Rennleiter» im Alter von 89 Jahren.