Nyck de Vries: «Der Formel-1-Traum lebt weiter»
Nyck de Vries
Wie er seinen WM-Titel und seine neue Saison wieder in Formel E und auf der Langstrecke sieht und was der kürzlich absolvierte Indycar-Test bedeutet, sagt der 26-jährige Mercedes-Pilot im Interview mit SPEEDWEEK.com – bevor er sich in den Weihnachts-Skiurlaub nach Tirol begibt: «Ich bin begeisterter Skifahrer. Wir sind jedes Jahr in St. Anton.»
Du warst beim dramatischen WM-Finale in der emotionalen Zwickmühle: Der eine Kandidat ist dein Landsmann, der andere dein Teamkollege…
Eigentlich wollte ich dieses Thema vermeiden. Aber wir sind alle begeisterte Racer und auch Motorsportfans, daher mussten wir dankbar sein für dieses Duell. Ich hörte, dass das letzte Mal so eine Entscheidung mit zwei punktgleichen Kontrahenten vor 47 Jahren geschah, da dachte ich mir, ‚woow‘. Wir mussten dafür dankbar sein, diesen großen Kampf erlebt zu haben. Dass er sehr intensiv wurde, ist ‚part of the game‘. Es hat sich abgezeichnet, dass das Duell über die Piste hinausgehen würde.
Du hast deinen Anteil an den Erfolgen von Mercedes durch deine Arbeit am Simulator. Wurdest du da oft eingesetzt?
Ja. Wenn ich nicht Verpflichtungen – Rennen oder auch Simulator – in der Formel E oder in anderen Aktivitäten hatte, arbeitete ich meist am F1-Simulator.
Hast du dir vor der vergangenen FE-Saison vorstellen können, Weltmeister zu werden? War der Titel eine Überraschung oder ohnedies dein erklärtes Ziel?
Wir hatten eine sehr gute erste Saison zusammen bei Mercedes EQ und feierten mit Stoffel (Vandoorne) im Finale in Berlin einen Doppelsieg. Das Team arbeitete von Beginn an hervorragend, aber es gab auch kleine Rückschläge. Wir sahen, in welchen Bereichen wir uns verbessern mussten. Das half sicher für die zweite Saison und legte die Basis für den Erfolg in diesem Jahr. Wir starteten schon sehr stark in Diriyah, da sahen wir, dass wir richtig lagen in der Vorbereitung. Wir sind da, um zu gewinnen, und wir hatten alle Möglichkeiten dazu. Aber dennoch: Die Formel E ist unvorhersagbar, alles kann passieren. Aber es war ermutigend für uns festzustellen, dass wir gut gerüstet waren.
Wie siehst du die nächste Saison mit dem radikalen Schwenk im Qualifying-Format zu zwei Gruppen und folgendem K.o.-System?
Das neue Format wird wohl für alle – Fahrer, Teams und Fans – ein wenig Zeit benötigen, bis man es begreift. Aber schlussendlich ist es sicher die richtige Lösung, ein guter Fortschritt. In der vergangenen Saison wurden die Besten ja mit einer schlechten Ausgangslage bestraft, auch wenn es am Anfang mehr Spannung gebracht hat. Vor einigen Jahren noch war es doch so, dass Buemi, di Grassi, Vergne und Bird die Meisterschaft unter sich ausmachten. Dass es schließlich ein Nachteil wurde, in der Meisterschaft vorn dabei zu sein, war nicht gut. Das ist jetzt vorbei, ich hoffe, dass das neue Format den Fans gefällt und sie mehr Spannung erleben.
Werden die Favoriten für Saison acht dennoch dieselben sein wie bisher?
Auf dem Papier hat jeder die gleiche Chance. Die Autos, die Technik bleiben ja gleich. Aber ich denke, dass sich der Favoritenkreis durch das neue Qualifying einengt, dass vielleicht nur acht oder zehn Fahrer regelmäßig in die Top Ten fahren werden.
Wie kommst du mit dem ständigen Wechsel zwischen F1-Simulator, Formel E und Langstrecke zurande?
Wir sind doch alle mit dem Rennfahren aufgewachsen. Das Fahren selbst ist wohl das Detail, das am wenigsten Anpassung verlangt. Das Potenzial der verschiedenen Autos ist unterschiedlich, aber die Basics sind immer dieselben. Den Unterschied machen die äußeren Umstände. Ein Sportler, der Fußball oder Tennis betreibt, ist täglich im Training. Wenn ich nur Formel E fahre, habe ich ein halbes Jahr Pause. Ich brauche die fortlaufenden Renneinsätze, um in Form zu bleiben.
Wie groß war deine Enttäuschung, kein F1-Renncockpit für 2022 erhalten zu haben?
Zuerst einmal war ich erfreut und wirklich angetan, dass mein Name überhaupt unter den Kandidaten genannt wurde. Das bestätigt ja, wie mein Potenzial gesehen wird. Es ändert sich so viel so schnell. Vieles, was passiert ist, ist außerhalb meines Einflusses. Ich kann nur durch meine Leistungen auf den Strecken etwas beitragen. Das, was außen passiert, kann ich nicht beeinflussen. Ich bin glücklich mit dem, was ich derzeit machen kann und um Titel zu fahren.
Aber die Formel 1 bleibt ein Ziel?
Diesen Traum träumt doch jeder junge Fahrer. Ich würde lügen, würde ich sagen, ich strebe nicht mehr nach der Formel 1 oder ich gebe meinen Traum auf. Aber ich arbeitete nicht mehr aktiv darauf hin. Nächstes Jahr ist eine neue Saison, schauen, wir was passiert. Ich werde meinen Job so gut wie nur möglich machen.
Bleibst du 2022 im WEC?
Ja. Es ist noch nicht 100 Prozent fix, aber ich denke, ja. Mein Programm für 2022 wird ziemlich gleich mit dem heurigen sein.
Hat dich Ferdinand Habsburg als LMP2-Meister in seiner Rookie-Saison überrascht?
Um Le Mans zu gewinnen, müssen viele Dinge zusammenpassen. Ferdinand hat seine Sache sehr gut gemacht. Aber Rookie zu sein, muss gar kein Nachteil sein, kann manchmal auch Vorteile haben. Es muss das ganze Team funktionieren, und du musst Probleme vermeiden, das Auto muss standfest sein. Das Gesamtpaket seines WRT-Teams war superstark, und die Fahrer machten einen wirklich guten Job.
Du kamst erst kürzlich von einem Indycar-Test mit Meyer Shank Racing in Sebring zurück. Wie lief er, sind die Indycars eine weitere Option?
Der Test ging sehr gut, ich fühlte mich schnell sehr wohl im Auto. Es fühlt sich an wie ein schnellerer Formel 2 mit anderen Reifen, auf die man sehr achten muss. Natürlich muss ich immer auf alle Optionen achten. Indycars interessieren mich sehr, aber im Moment ist mein Job in Formel E und LMP2. Aber wer weiß, Dinge ändern sich schnell.
Vertraust du einem Manager oder nur auf dich selbst?
Auf mich selbst! In allen Dingen.