Formel 1: Max Verstappen – alles für die Katz

Formel-1-WM als Dreckschleuder: Viele Fake News

Kolumne von Günther Wiesinger
Die Politiker werfen den Medien in letzter Zeit oft die Verbreitung von «Fake News» vor. Sie selbst schrecken aber vor Falschnachrichten und eklatanten Unwahrheiten nicht zurück.

Der ehemalige Zürcher Stadtpräsident (das entspricht einem Bürgermeister) Elmar Ledergerber hat kürzlich nach der Titelentscheidung in Abu Dhabi in seiner Morgenkolumne auf dem privaten Schweizer Sender «Radio 1» heftig über die Formel 1 gewettert. Er räumte ein, dass er nicht zu denen gehört, die die Formel 1 «toll finden».

«Wenn ich mir anschaue, dass wir uns jeden Tag mit Recht anhören müssen, dass wir vor der Klimakatastrophe stehen, dass wir weit davon entfernt sind, den CO2-Reduktionspfad einhalten zu können, der nur zu einer Erwärmung von 1,5 Grad führen würde, und dass man wirklich bis in 10, 20, 30 Jahren die Klimaneutralität erreichen muss bei der Energieversorgung, kann ich nicht verstehen, wie man diese Art von Motorsport-Veranstaltungen weiter durchführen kann», wetterte der populäre, 77-jährige Ex-Politiker.

Die Formel 1 sei eine der dreckigsten Sportarten im Motorsport, ergänzte er. «Wenn man sich die Zahlen anschaut, wird das sofort verständlich. Ein Formel-1-Auto verbraucht pro Rennen in der Größenordnung 150 Liter Sprit, also 50 Liter auf 100 Kilometer. Und sie haben pro Jahr 17, 20 oder 21 Rennen. Das sind 20 Rennfahrer, die da fahren, und alle möglichen Teams.»

Nun gut, diese Informationen hatte sich Elmar Ledergerber wohl rasch irgendwo im Internet zusammengesucht. Auf den Wahrheitsgehalt hat er sie vermutlich nicht überprüft, genau so wenig wie weitere seiner «Fake News», über die gerade die Politiker so gerne wettern.

Alle möglichen Teams? Naja, es sind genau genommen zehn.

«Das alleine führt dazu, dass in der Größenordnung 500.000 bis 600.000 Liter Treibstoff verbrannt werden an einem solchen Rennen. Das ist wahnsinnig», empörte sich der einstige Zürcher Stadtchef von der SP, der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz.

Nun, in der Formel 1 wurde der Tankinhalt 2019 bekanntlich von 105 auf 110 kg erhöht. Tankstopps sind längst verboten.

Da 1 Liter Treibstoff zwischen 720 und 775 Gramm wiegt, sind die Fahrzeuge je nach Rennstrecke und Distanz mit maximal rund 142 Liter Treibstoff unterwegs. Gefahren werden zwischen knapp 260 (Monaco) und rund 305 km pro Wettkampf.

Das bedeutet: Die knapp 1000 PS starken Formel-1-Boliden verbrauchen ca. 46,5 Liter pro 100 km.

In Abu Dhabi verbrauchten die mit Honda-Motoren bestückten F1-Autos genau 1,92 kg Sprit pro Runde.

Bei 20 Rennautos macht das pro Rennen nach Adam Riese insgesamt rund 2840 Liter. Vielleicht sind es auch manchmal «nur» 2000, denn es kommen ja nicht immer alle Teilnehmer ins Ziel. Wenn man von 22 Rennen ausgeht, die 2021 stattgefunden haben, kommt man pro Saison auf 44.000 bis 62.480 Liter.

Aber eine Horrorzahl von 600.000 Liter pro Rennen hört sich natürlich dramatischer an. Und wenn Herr Ledergerber statt «Rennen» den kompletten Grand Prix samt Trainings, Qualifying und Warm-up gemeint haben sollte, wird sich der Treibstoffverbrauch eventuell auf 4000 oder 5000 Liter pro Weekend erhöhen. Dann hat er immer noch um zwei Nullen übertrieben.

Wie viele SUV rollen täglich durch Zürich mit einem Stadtverbrauch von 20 Liter/100 km bei Tempo 30?

Auch andere Sportarten sind nicht CO2-neutral

Elmar Ledergeber setzte seine Radiopredigt fort: «Man rechnet damit, dass pro Rennen etwa 3500 Tonnen CO2 ausgestoßen werden. Wenn man das aufs ganze Jahr hochrechnet, auf alle Rennen, auf alle Trainings auf alle Vorbereitungen, sind das astronomische Zahlen. Da ist jeder zuhause ein Dummkopf, wenn er versucht, etwas weniger Erdöl und Gas zu verbrauchen und weniger CO2 auszustoßen. Aber das ist ja nicht nur der direkte Verbrauch an den Rennen, hinzu kommen die ganzen Verschiebungen über die ganze Welt. Die 20 oder mehr Rennen pro Jahr, die einmal in Südamerika, einmal in China, in Australien und dann wieder in Europa stattfinden. Das sind unglaubliche logistische Leistungen einerseits, aber auch die Flug-Aufwendungen, die sehr viel zusätzliches CO2 ausstoßen. Unvorstellbar.»

Ja, natürlich kann man darüber diskutieren, ob solche Fernreisen sinnvoll sind. Dann muss man aber auch den Tennis-Tross stoppen, die Leichtathletik, die Schwimm-Wettbewerbe, den Ski-Weltcup, der in der 1970er Jahren nur in Mitteleuropa stattfand und jetzt auf vier Kontinenten stattfindet, die Fußball-WM mit immer mehr Nationen und in Stadien, die nachher nie mehr gebraucht werden – wie in Südafrika und Katar, wo die Stadien sogar noch im November Air Condition brauchen und wo nur bei Flutlicht gespielt wird, weil es tagsüber selbst im November womöglich zu heiß ist.

Aber Elmar Ledergerber ist mit seiner Breitseite gegen den Motorsport noch nicht am Ende. «Dazu kommt in der Formel 1 die Produktion von Feinstaub. Die Rennwochenenden führen dazu, dass 12.920 Reifen verbraucht werden können, und die werden natürlich vor allem in Feinstaub umgewandelt.»

Ja, wieder sehr gewissenhaft und professionell recherchiert, verehrter Herr Stadtpräsident.

Falls bei einem Formel-1-Rennwochenenden wirklich 12.920 Reifen «vor allem in Feinstaub umgewandelt würden», dann müsste jeder Fahrer 646 Reifen vernichten. Also bis zu sechs pro Runde?

Das wäre ja wirklich unerhört.

Zur Aufklärung: Die erwähnten 12.920 Reifen wurden in der gesamten Saison 2017 verbraucht, was der Schweizer nicht deutlich genug deklariert hat. Außerdem: Die F1-Pneus werden nach dem Gebrauch laut Pirelli bei starker Hitze verbrannt, was zu weniger Schadstoff-Emissionen führt...

Tatsächlich darf jeder Fahrer pro GP-Weekend maximal 13 Reifensätze (also 52 Reifen) der Trockenmischung verwenden, dazu bis zu vier Sätze der Intermediate-Mischung und drei Sätze der Regenreifen, also insgesamt maximal 20 Reifensätze (total 80 Reifen) pro Rennwochenende.

Übrigens: In der MotoGP-WM darf jeder Fahrer pro Weekend sogar nur 21 Reifen verbrauchen. Und etliche davon werden von Michelin bei späteren Rennen noch einmal verteilt.

300.000 Zuschauer und keine sparsamen Autos?

Elmar Ledergerber kommt aus dem Schimpfen über die Formel 1 gar nicht mehr heraus. «Man hat an diesen Rennen bis zu 300.000 Zuschauer, die kommen alle mit dem Auto», hat er herausgefunden. «Die Autos sind auch nicht die sparsamsten. Da kommen auch noch einmal 10 Millionen Liter Treibstoff dazu mit allem CO2.»

Erstens: Es erscheinen bei keinem einzigen Grand Prix 300.000 Zuschauer, meist ist nur für 80.000 Platz. Und wenn ja, so müsste jeder einzelne Besucher 33 Liter verbrauchen, um auf die 10 Mio. zu kommen. Es gibt aber auch Fahrgemeinschaften und Zugreisende, in Zandvoort kamen viele Fans auf dem Fahrrad an die Strecke.

2020 gab es zudem zahlreiche Geisterrennen – wegen der Pandemie. Auch 2021 durfte die maximale Besucherzahl fast nirgends ausgeschöpft werden.

Und dazu noch Geldwäsche?

Außerdem stört sich der bisher nicht als Klima-Aktivist bekannte Ledergerber auch an den strafrechtlichen Untaten der Formel-1-Firmen, zu denen Weltkonzerne wie Mercedes, Fiat, Ferrari, Red Bull, Honda, Renault, und so weiter gehören. «Man sagt immer wieder, die Formel-1-Rennen sind der idealste Ort zum Geld waschen. Ich weiß es nicht, aber möglich ist es tatsächlich. Auf jeden Fall, wenn man sich das alles anschaut, dann ist das ganze Formel-1-Rennen-Zeugs und Motorsport-Zeugs ein absoluter Blödsinn, eine Verschleuderung von Ressourcen und eine unglaubliche Belastung von der Umwelt. Endlich aufhören», ärgert sich Ledergerber.

Man sagt immer wieder, empört sich also Herr Ledergerber. Darf man wegen Hörensagens einen ganzen Industriezweig und renommierte Weltkonzerne pauschal wegen des Verdachts der Geldwäsche vorverurteilen? Schon mal etwas von Unschuldsvermutung gehört?

Jeder normalsterbliche Berichterstatter müsste bei solchen Pauschalverdächtigungen mit einen Klage wegen übler Nachrede oder Geschäftsstörung rechnen und wegen Vernachlässigung der journalistischen Sorgfaltspflicht.

Aber pensionierte Politiker genießen vielleicht Narrenfreiheit, wenn sie in unabhängigen Medien mit Lügen und Halbwahrheiten um sich werfen und sich in Rage reden.

Warum sollte ausgerechnet in der Formel 1 noch nie Geld gewaschen worden sein, wenn das bei jedem drittklassigen Fußballverein passiert und in manchen anderen Sportarten, nicht selten unter tatkräftiger Mitwirkung der Finanzinstitute?

Kennt Herr Ledergerber eine Schweizer Großbank, die in den letzten Jahren nicht Milliardenstrafen wegen Beihilfe zur Geldwäsche bezahlen musste?

Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.

Kein vernünftiger Mensch will die Formel 1 als Muster der Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung darstellen.

Trotzdem werden wir einen Blick auf den Nachhaltigkeitsreport der Formel 1 zu den Reise-Daten und den gemachten sowie geplanten CO2-Einsparungen.

Der Logistik-Dienstleister DHL, ein namhafter Formel-1-Sponsor, hat 2021 bis zu 120.000 km zurückgelegt, um Fahrzeuge, Teams, Fernseh- und Hospitality-Equipment sowie Treibstoff und Reifen zu den Rennen zu liefern. Das entspricht drei Reisen um die Welt.

Die Formel 1 hat im «sustainability report» berichtet, dass in der Rennsaison 2018 rund 45% der CO2-Emissionen (ca. 256.551 Tonnen) durch die Transporte der Teams und der Ausrüstung entstanden sind.

2020 wurde wegen der COVID-19-Pandemie ein Sparplan vorgezogen. Seither wurde das Frachtgewicht für die TV-Teams um 34% und die Anzahl der zu den Rennen reisenden Personen um 36% reduziert. Pro Event wurden 70 Tonnen Fracht eingespart.

Die Formel-1-Macher planen bei der Fracht auch den Umstieg auf Schiffs-Container, und die Flotte der betagten 747 Fracht-Jumbos soll durch Schadstoff-ärmere neue Boeing 777 ersetzt werden.

Noch ein paar Fakten zu den auch nicht ganz emissionsfreien Weltcup-Skirennen im schweizerischen Adelboden: 3 Millionen Liter Wasser werden vor dem Rennen für die Pistenpräparierung in die Strecke gepumpt. 128 Sattelschlepper karren das Material ins entlegene Bergdorf. Auf- und Abbau nehmen sieben Wochen in Anspruch. Allein die Tribüne wiegt 300 Tonnen. Erst Mitte Februar wird der letzte Sattelschlepper Adelboden wieder verlassen haben. Gesamtbudget des Events 6 Millionen Franken. Drei Tage lang werden 3300 Helferinnen und Helfer im Einsatz sein, Zivilschutz und Armee leisten 4300 Mannstage, um die Piste zu präparieren.

Bis zu 24.000 Zuschauer werden am 8./9. Januar 2022 täglich erwartet. Hat Herr Ledergerber ausgerechnet, wie viel Sprit sie vergeuden und wie viel CO2 sie in die Luft blasen? Nichts gehört.

Wie viele vergleichbare Events beim Skilanglauf, Skispringen, Biathlon, Snowboarden und Ski alpin finden pro Saison in der einst unberührt gewesenen Natur statt?

Darüber verliert kein Politiker ein Wort, denn die Skisportler bilden ein wesentlich größeres Wählerpotenzial als die paar versprengten Schweizer Motorsportfans.

Und wenn in Zürich ein paar Fußball-Hooligans in ihrem Frust sogar einen Tramchauffeur krankenhausreif schlagen, wie vor wenigen Tagen geschehen, hält der liebe Herr Ledergerber auch keine Radio-Predigt.

Denn selbst auf die Stimmen der teilweise rabiaten Kickerfans will keine Partei verzichten.

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