Paul Ricard 1987: Frühstück mit Bernie
Als ich 1987 meinen Dienst als BMW-Motorsport-Pressesprecher antrat, wurde ich recht schnell zum damaligen Motorsportchef Wolfgang-Peter Flohr gerufen, meines Jahreskalenders wegen. Der hatte es in sich, denn BMW fuhr in jenem Jahr gleich in vier Meisterschaften: Wegen des noch gültigen Motoren-Vertrags mit Brabham waren sämtliche Formel-1-Rennen zu fahren, als Werkseinsätze standen zudem die erste Tourenwagen-WM, die Tourenwagen-EM sowie die neue DTM auf dem Programm – eine Saison von März bis Oktober.
Oberste Priorität sollten, so Flohr, selbstverständlich die Tourenwagen-Einsätze haben, doch ich müsste auch zum einen oder anderen Formel-1-Lauf. Letztlich kamen so für mich 32 Wochenend-Einsätze zusammen. Um nicht zu hohe Reisekosten zu generieren, hatte ich mir einige wenige Formel-1-Rennen in Europa ausgesucht, unter anderem den Grand Prix von Frankreich auf der Strecke von Paul Ricard. Als kompletter Neuling in diesem Sport hatte ich natürlich keine Dauer-Karte, und so bat ich meinen Chef Flohr, für mich beim Brabham-Team ein Ticket zu besorgen. Er versprach, sich darum zu kümmern, es würde in meinem Hotel an der Rezeption hinterlegt sein.
Also buchte ich meine Reise, flog am Freitag, 3. Juli 1987, nach Marseille, holte meinen Mietwagen ab und fuhr nach Bandol. Dort, auf einer kleinen Insel namens Ile de Bendor vor dem Hafen, lag mein Hotel, nur mit einem Transfer-Boot zu erreichen. Ich setzte über, kam im Hotel an, fragte nach Zimmer und dem hinterlegten Ticket. Das Zimmer konnte ich beziehen, ein Ticket jedoch gab’s nicht. Also versuchte ich, den Pförtner bei der BMW Motorsport GmbH in München zu erreichen, denn ich hatte keine Privatnummer von Flohr. Leider war der Sicherheitsmann schon im Feierabend. Was also tun, an diesem zwar schönen, aber letztlich doch frustrierenden Abend?
Wo ist das Ticket?
Auch ein Telefonat am Samstagmorgen verlief ergebnislos. Flohr war nicht zu erreichen. So setzte ich am frühen Nachmittag wieder nach Bandol über, auf der Suche nach unseren BMW-Leuten, die hier irgendwo wohnen mussten. Die ersten beiden Hotels brachten kein positives Ergebnis, doch in der dritten Herberge fand ich sie endlich, einschließlich unseres «Motoren-Papstes» Paul Rosche. In reichlich entspannter Situation – die Herren hatten schon einige Biere intus – fragte ich Rosche, ob er denn ein Ticket für mich habe. Flohr hätte es wahrscheinlich vergessen. Doch er lachte nur laut, schob mir spaßeshalber sein Dauerticket hin und sagte, schon mit leichtem Drall in der Stimme: «Nehmen sie doch einfach meins».
Ich war verärgert und mutlos zugleich, wollte aber nicht aufgeben. Mit dem Schiff fuhr ich wieder auf die Insel und entdeckte in der Hotelhalle – welch unwahrscheinlicher Zufall – Bernie Ecclestone. Der kleine Brite war damals nicht nur der große Formel-1-Zampano, sondern auch Chef des Brabham-Teams. Ich kannte ihn zwar nur vom Fernsehen, doch ich sprach ihn einfach an und erklärte ihm unverblümt meine missliche Lage.
Tatsächlich: Er bat mich, am nächsten Morgen doch gemeinsam mit ihm zu frühstücken und ihm dann zur Rennstrecke zu folgen, wo er mir ein Ticket besorgen würde. Noch nie in meinem Leben zuvor war ich wohl so aufgeregt wie am Morgen des 5. Juli. Ich würde Bernie treffen! Unser Mahl auf der Terrasse des Hotels, mit einem unvergleichlichen Ausblick aufs Mittelmeer, verlief überaus entspannt. Danach setzten wir schließlich nach Bandol über. Dort wartete schon eine Limousine auf den großen Meister, ich folgte ihr in meinem Mietwagen bis hinein ins Fahrerlager.
Wir hielten neben einem großen schwarzen Bus, Bernies rollendem Domizil für die europäischen Formel-1-Rennen, sehr fein ausgestattet und natürlich klimatisiert. Es brauchte nur ein paar Worte Ecclestones, und schon konnte ich mir ein TV-Ticket umhängen, das mir Zutritt zu fast allen Bereichen verschaffen würde. Es war ein erhebendes Gefühl für mich, plötzlich so privilegiert zu sein, doch die Ernüchterung folgte recht schnell.
Was ist denn hier los?
Im Pressesaal, wohin ich zuerst ging, kannte ich kaum einen der Fachjournalisten, wurde von einigen gar komisch beäugt. Da ich vom Samstag nur das Trainingsergebnis kannte – Andrea de Cesaris auf Platz elf, Riccardo Patrese einen Rang dahinter – konnte ich den Kollegen auch gar nichts wirklich erzählen und machte mich schnell auf den Weg zu unserer Box. Dort traf ich auf Paul Rosche, der sich wunderte, mich plötzlich zu sehen, und auf ein paar Mechaniker, die aber scheinbar lustlos ihrer Arbeit nachgingen.
Kein Wunder: Im Jahr zuvor hatte BMW den Ausstieg aus der Formel 1 offiziell bekannt gegeben, wir lieferten «nur» noch unsere Vierzylinder-Turbotriebwerke, weil Brabham-Teamchef Ecclestone für seinen BT 56 nicht die eigentlich identischen Motoren des Schweizers Heini Mader unter dem späteren Namen Megatron haben wollte. Also fehlte neben einem mechanischen Antrieb auch ganz offensichtlich der innere. Leidenschaft für eine Sache hatte ich mir anders vorgestellt.
Auch unser ehemaliger Star-Pilot Nelson Piquet hatte längst das Lager gewechselt, fuhr jetzt für Williams und wurde im 80-Runden-Rennen Zweiter hinter seinem Teamkollegen Nigel Mansell. Für unsere Fahrer kam dagegen schon bald das Ende: Andrea de Cesaris stellte sein Auto nach zwei Runden mit Turbolader-Schaden ab, Riccardo Patrese schied 17 Runden später mit defektem Differential aus. So blieb mir nur, diese traurige Bilanz einigen Presseleuten zu verkünden und trat noch vor Rennende die Heimreise an. Außer Spesen war diesmal nicht viel gewesen, aber ich hatte immerhin Bernie Ecclestone kennen- und als Mensch schätzen gelernt.