Nürburgring: Enrico Mariosi feiert Diamanten-Hochzeit
Enrico Mariosi, mit offiziell korrektem Namen Ulderico, ist eine Kult-Figur des Nürburgrings. Mehr als 40 Jahre hat er als Oberkellner zuerst im Sporthotel und danach im Dorint bis zu seiner Pension viele große und kleine Rennfahrer, Teamchefs und Zuschauer bedient. Im Herbst 2001 verabschiedete sich der «Eifel-Italiener» mit 65 in den Ruhestand. Kürzlich feierten Enrico Mariosi und seine Frau Renate bei guter Gesundheit in Müllenbach ihren 60. Hochzeitstag.
Mit knapp 20 kam der bekennende Ferrari-Fan aus Modena nach Deutschland, um als gelernter Jung-Kellner weitere Erfahrungen zu sammeln. Nach einigen Stationen in Köln landete er 1960 in der Eifel, wo ihn das altehrwürdige «Sporthotel Tribüne» sogleich als Oberkellner engagierte. Vier Jahre später heiratete er seine Frau Renate.
Im Sporthotel direkt an der Rennstrecke, das der legendäre ADAC-Rennleiter Kurt Bosch in seiner Amtszeit gerne auch mal respektlos als «Frikadellen-Bruchbude» titulierte, verbrachte Enrico ein halbes Leben. Der liebenswürdige Italiener servierte den Stars der PS-Zunft fortan Suppe, Salat und Steak. «Zu dieser Zeit war alles noch sehr locker», erinnert sich Enrico gerne an die frühen Jahre, «selbst die Formel 1-Fahrer hatten noch Zeit für ein persönliches Gespräch und zechten auch mal bis weit in die Nacht hinein.»
Besonders hoch her ging es bei den abendlichen Siegerehrungen im «Saal Christophorus», eine Art Heiligtum und letzte Vorzeige-Location des ansonsten in die Jahre gekommenen Hotels. Hier gerieten die Pokalübergaben an die erfolgreichen Piloten der Formel 1 oder des 1000 km-Rennens nach dem offiziellen Teil zu wilden Partys mit allen Begleiterscheinungen.
Oftmals war der auf Etikette bedachte Oberkellner von den wilden Zechgelagen peinlich berührt. Aber er hatte auch gelernt, dass der Gast König ist und man über vieles souverän hinwegsehen muss. Dennoch erinnert sich Enrico an Abende, an denen er seine fröhlich zechenden Rennfahrer noch «vor Eintritt deren Bewusstlosigkeit» abkassieren musste. Und er sieht auch noch jene Szenen vor sich, als völlig betrunkene Renn-Funktionäre um Mitternacht von ihren Stühlen kippten.
«Aber andererseits waren das die besten Jahre», sagt Enrico mit einem fast wehmütigen Blick zurück, «heute ist alles so steril, hektisch und unpersönlich, keiner hat mehr Zeit für ein persönliches Gespräch, geschweige denn für Unfug und Blödsinn wie zu Zeiten von Stuck, Quester und Kumpanen.»
Dieser Eindruck verfestigte sich bei ihm auch im Laufe seiner Rentner-Jahre, in denen er sich immer noch alle möglichen Rennsport-Übertragungen im Fernsehen anschaut. «Ich finde, alles ist so kompliziert geworden, man versteht die Regeln nicht mehr, vieles kommt einem ziemlich bekloppt vor. Auch die Menschlichkeit ist irgendwie verlorengegangen.»
Kein Wunder, dass sich der nette Herr im ehemals schwarzen Frack lieber gerne immer an seine unkomplizierte Altstar-Kundschaft von Jacky Ickx, Jackie Stewart, Clay Regazzoni über Hans Herrmann oder Phil Hill bis hin zu Mike Hailwood, Hans Stuck oder Jochen Mass erinnert. Wenn die zum Ring kamen, haben sie nie vergessen, im Hotel nach Enrico zu fragen.
Deshalb war das Management des neuen «Dorint», dass das alte Sporthotel ab 1989 an gleicher Stelle ersetzte, sicher auch gut beraten, die treue Kellner-Seele zum Start des Restaurantbetriebs zu übernehmen.
Hier bediente Enrico in wesentlich edlerem Umfeld seine rennfahrenden Gäste und Nürburgring-Fans noch weitere zwölf Jahre, bevor er mit Vollendung des 65. Lebensjahrs den verdienten Ruhestand erreicht hatte. Unter dem spaßigen Motto «Der erste Mafiosi der Eifel» bereitete ihm der damalige Dorint-Direktor Josef Moré (2020 verstorben) am 2. September 2001 eine große Abschiedsparty.
Viele seiner Freunde und Gäste aus fünf Jahrzehnten waren da, Enrico war sichtlich gerührt angesichts der zahlreichen erschienenen Prominenz.
Auch gut 20 Jahre später, anlässlich seines 85. Geburtstags, war aus vielen Kommentaren in den sozialen Netzwerken herauszulesen, wie beliebt und populär der Mann bei seiner einstigen Kundschaft war.
So schrieb der fünfmache Le Mans-Sieger Emanuele Pirro: «Wow, thats a good birthday post! Enrico is a great man and I wish him “Buon Compleanno”!! In 1992 he showed me his friendship by telling me where he was finding the Steinpilze in the Eifel (normally it is top secret). I went with Jaques Laffite and took a full sac of them. Gloria Rafanelli cooked them for the whole DTM paddock!! Ciao ciao.»
Und der dreifache Le Mans-Gewinner Marco Werner erinnerte sich daran, als er noch mit seinem Vater als kleiner Bub zum Ring kam, wie Enrico immer freundlich fragte: «Noch eine Eis für die kleine Mann?» Werner weiter: «So einen Menschen kannst du nicht vergessen, ist man doch fast mit ihm aufgewachsen. Wer Enrico nicht kannte, war nie am Ring – oder zur falschen Zeit.»
Ein Typ wie Enrico fehlt heute dem Nürburgring, dem Hotel und den Gästen sowieso. Sicher, es hat personellen Ersatz für ihn gegeben, aber wirklich ersetzen konnte diesen Mann niemand. Er war, ist und er bleibt ein gutes Stück Nürburgring-Geschichte, ausgestattet mit dem Prädikat «menschlich besonders wertvoll».
Das Örtchen Müllenbach am Fuße der ehemaligen Südschleife ist seit 1967 bis heute die Heimat von Enrico. Dort lernte er auch seine Renate (86) kennen, mit der er jetzt seit 60 Jahren verheiratet ist. Die drei Töchter (59, 53, 51) sind längst aus dem Haus und haben eigene Familien.
Trotzdem hat der jetzt 87 Jahre alte Enrico nie Langeweile, den rund ums Haus und im Garten gibt’s immer was zu tun. Vor allem sammelt er leidenschaftlich gerne in den Eifelwäldern Steinpilze und Pfifferlinge. Er kennt die besten Plätze, die er allerdings nur guten Freunden verrät. Und jedes Jahr braut er sich aus noch grünen Walnüssen nach speziellem italienischem Rezept rund drei Liter «Nocino»-Likör. «Jeden Tag ein Gläschen davon hält Körper und Geist bei Laune.»
Wegen seiner Lieblingsmarke Ferrari versäumt Enrico auch als Ruheständler kein Rennen der Formel 1 und denkt mit Freude an die grandiosen Schumi-Jahre zurück. «Wenn die Italiener nicht so viele Fehler machen würden, wären sie schon längst wieder Weltmeister.»
Schlusswort eines glücklichen Menschen: «Ich danke allen, die ich am Ring bedienen und kennenlernen durfte. Es war eine wundervolle Zeit.»
Wer kann das nach so vielen Kellner-Jahren schon sagen?