Mit vollen Taschen in die Formel 1
Medien-Liebling: Max Chilton
Davon träumen die meisten Nachwuchspiloten: Nach bloss sechs Rennwochenenden auf der Reservebank des Marussia-Teams steigt Max Chilton auf. Der 21-jährige Brite wird 2013 als Teamkollege von Timo Glock sein Debüt in der Königsklasse feiern, obwohl er in drei GP2-Jahren gerade Mal zwei Laufsiege errungen hat – in diesem Jahr gewann er jeweils das erste Rennen auf dem Hungaroring und in Singapur von der Pole-Position aus. Das reichte dank eines ungewöhnlich schwachen GP2-Feldes für den vierten Gesamtrang.
Auch vor seiner GP2-Karriere kam der blonde Hüne nicht so recht in Fahrt: Abgesehen von sieben Siegen in der T-Cars-Einsteigerserie durfte er nur zwei Triumphe in der britischen Formel 3 feiern. Zum Vergleich: Chiltons damaliger Teamkollege war ein gewisser Daniel Ricciardo, der sich in jenem Jahr den Meisterschaftstitel sicherte.
Dass Chilton als Spross des stellvertretenden Vorsitzenden des amerikanischen Versicherungs-Giganten Aon mit vollen Taschen beim Rennstall der Russen angeklopft hat, dürfte denn auch das wichtigere Argument gewesen sein als sein bisheriger Leistungsausweis. Denn mit dem Verlust des zehnten Ranges in der Konstrukteurspokal-Wertung beim Saisonfinale in Brasilien gingen dem Marussia-Team in diesem Jahr auch einige Millionen aus dem Topf der Formel-1-Rechteeinnahmen durch die Lappen. Die wären damit wieder wettgemacht.
In der Formel 1 ist es üblich, dass finanzielle Sorgen durch den Einsatz eines Bezahlfahrers abgemildert werden. Wir erinnern uns an das Williams-Team, das sich Ende 2010 durch die Verpflichtung von Pastor Maldonado einen mehrjährigen Sponsorendeal mit dem venezolanischen Öl-Konzern PDVSA in dreistelliger Millionenhöhe gesichert hatte. Dafür musste Nico Hülkenberg trotz seiner überragenden Pole-Runde in Brasilien sein Williams-Cockpit räumen.
Nicht nur im deutschsprachigen Raum war das Entsetzen gross: Auch die britischen Kollegen zeigten sich erschreckt darüber, dass die Traditionstruppe aus dem südenglischen Dörfchen Grove dem schnöden Mammon den Vorzug gegeben hatte. Dabei wurde vergessen, dass mit Maldonado der damalige GP2-Meister und zehnfache GP2-Laufsieger an Bord geholt wurde. Über ein Jahr lang musste sich der 27-Jährige aus Maracay als Fragen getarnte Vorwürfe anhören, weil er sich seinen Platz in der Königsklasse erkauft hatte.
Es sind die gleichen Stimmen aus Grossbritannien, die heute eine Lanze für Chilton brechen. Die Briten sind sich einig: Ihr Landsmann hat sich seinen Platz in der Formel-1-Startaufstellung nicht erkauft, sondern durch beeindruckende Testfahrten für Force India und Marussia verdient. Wir zählen nach: Für beide Equipen absolvierte er jeweils einen Young-Driver-Test.
Chilton steht trotzdem nicht der gleiche Spiessrutenlauf wie Maldonado bevor. Nicht nur, dass die im Fahrerlager zahlreich vertretenen Briten auf seiner Seite sind, auch dass er mit Charles Pic keinen Überflieger beerbt, entspannt die Lage. Ausserdem hat sich der fröhliche Nachwuchspilot mit seinem klugen Witz auch schon viele Sympathiepunkte bei den Medienschaffenden gesichert.
Im Formel-1-Fahrerlager ist Chilton schon lange kein Neuling mehr, und auch im GP2-Zirkus war er einer der Populärsten. Der blonde Schelm hat ein gewinnendes Wesen und verbreitet überall, wo er auftaucht, Heiterkeit. So sorgte er etwa 2011 auf der nicht enden wollenden Car-Fahrt zur GP2-Siegerehrung in Istanbul mit markanten Sprüchen und lustigen Anekdoten für Kurzweile. Sollte es mit der Formel-1-Karriere trotz prall gefülltem Geldbeutel nicht klappen, hat Max Chilton gute Chancen auf eine erfolgreiche Karriere als Alleinunterhalter.