Ferrari im Nebel: Was uns in Maranello erwartet
Das nennen wir eine Rezeption
Die Fahrt aus der Schweiz nach Italien war auch schon lustiger: Ab Mailand beherrscht zäher Nebel das Bild. Im Tessin – der Schweizer Sonnenstube – wurden wir von Postkartenwetter verwöhnt, bei frühlingshaften 16 Grad. Aber als wir rund zwei Stunden später ins gelobte Ferrari-Land kommen, zeigt die Bord-Anzeige bibbrige 3,5 Grad, man sieht keine 50 Meter weit.
Apropos Nebel: Vor einigen Jahren fuhr ich ebenfalls mit dem Auto nach Maranello. Das erwies sich als weise Idee – ein Flugzeug voller Berichterstatter konnte am Morgen der Präsentation wegen Nebels nicht in Bologna landen, und die Journalisten betraten just in dem Moment den Saal, als der neue Wagen zum ersten Test in Fiorano aus dem Saal hinausgeschoben wurde.
Für uns gilt heute: Wer nicht sieht, der muss hören...
Wir bleiben einen Moment stehen, um uns in der Nebelsuppe zu orientieren. Da röhrt ein Erlkönig von Ferrari heran. Die Passanten drehen sich nicht einmal um. So etwas ist hier alltäglich. Der Sportwagen in Tarnfarben entfernt sich wie ein heiserer Löwe um die nächste Ecke.
Willkommen in Maranello!
Zunächst ein kurzer Augenschein, wo wir uns morgen für die Präsentation des neuen Dienstwagens von Fernando Alonso und Felipe Massa akkreditieren müssen. Das ist Aufwand, die sich lohnt, denn mit jeder Veranstaltung in Italien geht ein gewisses Mass an sympathischem Chaos einher. Da fahren die Leute dann schon mal an die falschen Adressen, weil Zielorte kurzfristig verlegt wurden. Wann die Akkreditierung öffnen wird, ist uns bis heute nicht mitgeteilt worden. Wir werden tun, was wir in solchen Fällen immer tun – früh aufstehen.
Dann kurzer Blick ins Museum von Ferrari (unverzichtbar wie das Empire State Building in New York). Draussen steht sich ein Fan aus Finnland die Beine in den Bauch. Die Blondine will von mir wissen, ob ich zum Ferrari-Fahren nach Fiorano gekommen sei. Ich verneine höflich und gehe meines Weges. Sie ist enttäuscht und spricht den nächsten Museumsbesucher an.
Eine Gruppe von Chinesen kommt schnatternd daher. Das einzige, was ich verstehe ist «Fellali».
Im Museum treffen wir die ganze Welt. Anhand von Sprachfetzen sind bei dieser Momentaufnahme anwesend: Brasilien, Deutschland, Italien, Frankreich, China, Japan, Spanien, die Schweiz, Österreich und die USA. Ein Amerikaner hat eben im Simulator virtuell seinen Formel-1-Renner im Kiesbett versenkt. Sein Kumpel lacht schallend: «Das kommt davon, wenn man zu Pizza ein Bierchen trinkt!» Der Kopf des Möchtegern-Rennfahrers nimmt die Farbe des Ferrari-Simulators an.
Falls Sie sich virtuell umschauen wollen: http://museo.ferrari.com/it/
Wir suchen unser Hotel, Navi sei Dank, finden wir es trotz des Nebels, gegen den eine nahrhafte Minestrone so durchsichtig ist wie eine Hühnerbrühe.
Ha! Das nennen wir eine Rezeption! Wir prüfen zwar nicht nach, ob der Ferrari im «Maranello Village» echt ist, aber er macht schon was her. Das Zimmer entspricht dem Schnäppchenpreis, den wir übers Internet ergattert hatten, aber wir beklagen uns nicht. Jedes Zimmer ist grundsätzlich okay, in dem ein Ferrari GTO und eine Stilstudie aus Le Mans 1963 an der Wand hängen (http://www.hotelmaranellovillage.com).
Was also erwartet uns morgen?
Es erwartet uns ein bunt durchmischtes Publikum mit sämtlichen lokalen und regionalen Grössen aus Politik, Verwaltung, von Polizei und Feuerwehr. Eine Ferrari-Präsentation lässt sich hier keiner nehmen, und es gilt als Ehre, auf der Einladungsliste zu stehen. Das gilt übrigens auch für die handverlesenen Berichterstatter.
Es erwartet uns ein Ferrari-Renner, bei dem sich die Techniker nicht zu schade sind, von der Konkurrenz abzugucken: Heck à la Red Bull Racing, Auspufflösung à la McLaren, Seitenkästen à la Sauber, Frontflügel à la Renault.
Es erwartet uns ein Ferrari, dessen Aerodynamik – liebe Tifosi, jetzt ganz stark sein! – mehrheitlich im Toyota-Windkanal zu Köln feingeschliffen worden ist. Die Italiener sollten sich in ihrer Ehre nicht allzu gekränkt fühlen: Erzrivale McLaren entwickelt auch in Köln.
Es erwartet uns ein Ferrari, der gemäss Chefdesigner Nikolas Tombazis aggressiver sein soll. Projektleiter des Ferrari F138 ist Ferrari-Eigengewächs Simone Resta.
Es erwartet uns eine kurze, unverblümte Rede von Fernando Alonso.
Es erwartet uns eine lange, blumige Rede von Ferrari-Chef Luca Montezemolo, der versprechen wird, dass Ferrari alles geben wird, den ersten Fahrer-WM-Titel seit 2007 (Kimi Räikkönen) zu erobern und den ersten Konstrukteurs-Pokal seit 2008. Wie immer wird er am Schluss sagen: «bocca al lupo!», wobei der Wolfsrachen so viel bedeutet wie «viel Glück».
Es erwartet uns ein Rennstall, der unter Druck steht: Auch knapp verlorene Titelduelle von Alonso gegen Sebastian Vettel (wie 2010 und 2012) sind Niederlagen. Und kein Team ist so zum Siegen verdammt wie Ferrari.
Es erwartet uns grosses Theater. Und nichts würde besser passen zum berühmtesten Rennstall der Welt.