Renault-Motoren: Eingefroren, aber heißer als Lava
Die V8-Motoren haben bald ausgedient
Am kommenden Wochenende wird der Albert Park in Melbourne zum letzten Mal vom Kreischen der V8-Motoren widerhallen. Die 2006 eingeführte Motorenformel geht 2013 in ihre achte und letzte Saison. Vor dem Australien-Grand-Prix blickt Rob White, stellvertretender Geschäftsführer der Renault-Motorenabteilung in Viry-Chatillon und Chef der Motorenentwicklung, noch einmal auf die V8-Ära, die technische Evolution und die trotz der eingefrorenen Entwicklung erzielten Leistungssteigerungen zurück.
Gab es bei den seit 2006 benutzten V8-Triebwerken nach dem Entwicklungsstopp nennenswerte Veränderungen? In welchen Bereichen konnten Sie überhaupt eingreifen?
Von außen mag es so aussehen, als hätten sich die 2,4-Liter-V8 wegen der eingefrorenen Entwicklung gar nicht mehr verändert. Tatsächlich aber gab es in der V8-Ära beträchtliche Neuerungen hinsichtlich der Einsatzzyklen und der technischen Anforderungen. Eigentlich änderte sich fast jede Saison etwas. Nach dem ersten Jahr mit den 2,4-Liter-Motoren wurden sie zu Beginn der Saison 2007 homologiert und der technische Stand aller großen Baugruppen festgeschrieben. Außerdem trat das Drehzahllimit von 19.000/min in Kraft. Für 2008 wurde die Homologation ausgeweitet – wir durften also noch weniger Teile am Motor überarbeiten. Gleichzeitig wurde die Höchstdrehzahl auf die bis heute gültigen 18.000/min limitiert. Und es trat die Begrenzung von acht Motoren pro Fahrer und Saison in Kraft. Eine der jüngsten Evolutionen des Reglements betrifft die Motoren-Mappings und deren Verwendung.
Wie immer in der Formel 1 besteht die Herausforderung darin, mit jeder neuen Beschränkung so umzugehen, dass am Ende eine optimale Performance des Gesamtfahrzeugs herauskommt. Parallel mussten wir uns damit beschäftigen, wie wir die ausgeweiteten Lebenszyklen der Motoren managen. Früher konntest du die Triebwerke nach Belieben wechseln: Von Rennen zu Rennen gab es immer frische Motoren; in den 90ern sogar fast nach jeder Trainingssession. Das heißt, du konntest sie ohne Rücksicht auf Verschleißlimits bis an die Leistungsgrenzen ausreizen. Die Beschränkung auf acht Motoren für alle Grands Prix einer Saison – inklusive Trainings und Qualifyings – bedeutet, dass du einige Triebwerke sogar bei drei Rennen einsetzen musst. Wir haben viel darüber gelernt, wie wir die Lebensdauer einzelner Komponenten und des gesamten Aggregats erhöhen können, ohne viel an der Technik zu ändern oder auf Leistung zu verzichten. Heute ertragen unsere Renault RS27 eine Laufleistung von bis zu 2.500 Kilometern ohne nennenswerte Leistungseinbußen. Zur Erinnerung: Früher musste ein Motor gerademal 350 Kilometer lang halten. Wir nutzen die Triebwerke heute also sieben Mal so lang wie vor zehn Jahren.
Was könnten die heutigen Motoren ohne Drehzahllimit und ohne Entwicklungsstopp leisten?
Ohne die Begrenzungen hätten wir mit Sicherheit weiter in Richtung hohe Drehzahlen gearbeitet – vermutlich bis an die physikalischen Grenzen des Verbrennungsprozesses und der inneren Reibung. Denn irgendwann übersteigt der Reibungsverlust den Leistungsgewinn. Ich schätze, dass wir ohne weitere Einschränkungen heute bei 22.000/min stehen würden und mindestens 75 PS mehr gefunden hätten, also rund zehn Prozent. Das würde auf einer Strecke wie Monza einem Zeitgewinn von etwa 1,5 Sekunden pro Runde entsprechen.
Allerdings ist es ohne tatsächliche Entwicklungsarbeit schwierig zu sagen, auf welchem Level die erzielte Motorenleistung an das durch die Technischen Reglements gesetzte Limit gestoßen wäre. Auch auf den weiteren nachträglich reglementierten Gebieten wie der Auspufführung und den Motoren-Mappings hätten wir intensiv weitergearbeitet, aber vermutlich mit anderen Schwerpunkten als der Leistungsausbeute.
Wie sehr unterscheiden sich die Motoren der verschiedenen Hersteller?
Viele Leute glauben, dass die Triebwerke sich sehr ähneln würden, weil die grundlegende Spezifikation vor vielen Jahren festgeschrieben wurde. Tatsächlich aber wurde die Entwicklung eingefroren, als die 2,4-Liter-V8-Motoren noch sehr jung, längst nicht ausgereift und zudem noch sehr unterschiedlich waren. Das Technische Reglement legt zwar die Grundarchitektur mit Bohrung und Hub sowie die Höchstdrehzahl fest. Aber gleichzeitig bleiben Tausende mögliche Konstruktionsansätze, die vom Reglement nicht beschränkt sind. Es wirkt vielleicht widersprüchlich – aber bei freigestellter Entwicklung nähern sich die Lösungen der verschiedenen Motorenhersteller einander stärker an. Der Beitrag der Aggregate zur Gesamtperformance des Rennwagens ist mit eingefrorener Entwicklung aber auf jeden Fall so groß wie er immer war.
Welche Baugruppen des aktuellen V8 waren mit Blick auf Leistung oder Lebensdauer am schwierigsten zu optimieren?
An einem Formel-1-Motor gibt es keine einfachen Komponenten. Alle Systeme und Teile verlangen höchste Aufmerksamkeit, große Sorgfalt und gewissenhafte Wartung. Am schwierigsten im Umgang sind natürlich jene Teile, die mechanisch am stärksten belastet werden, also die Kolben, Pleuel und Lager, durch die die ganze Power übertragen wird. Ein Kolben unseres aktuellen RS27 wird zum Beispiel mit dem 8.000-fachen der Erdbeschleunigung belastet. So ein Teil hat eine Masse von nur 250 Gramm, aber bei 18.000 Umdrehungen - das entspricht 300 Umdrehungen oder 600 Kolbenbewegungen pro Sekunde - wirken Fliehkräfte von mehr als zwei Tonnen auf Kolben und Pleuel.
Das sind eindrucksvolle Zahlen. Welche Eckdaten des aktuellen Renault RS27-V8 können Sie uns verraten?
Der Motor produziert mehr als 750 PS und treibt einen Formel 1-Wagen in Rennkonfiguration auf mehr als 330 km/h – bei so einem Tempo starten kleine Privatjets. Von null auf 60 km/h beschleunigt er in 1,6 Sekunden, etwa so schnell wie ein F16-Kampfjet. Der Sprint von null auf 100 ist in 2,5 Sekunden geschafft, aus dem Stand bis auf 200 km/h dauert es bloß 5,1 Sekunden, von 0 auf 300 km/h rund 12,0 Sekunden, je nach aerodynamischem Set-up und Getriebeübersetzung. Dabei wiegt das ganze Aggregat gerade mal 95 Kilogramm, also so viel wie ein erwachsener Mann. Der RS27 erzeugt so viel Abwärme, dass die Auspuffrohre bis zu 1000 Grad Celsius heiß werden. Um diese unvorstellbare Temperatur mal einzuordnen: Vulkanische Lava erreicht zwischen 700 und 1200 Grad.