Marc Surer: «Was will Ferrari eigentlich vertuschen?»
Marc Surer: «Solche Mischverhältnisse freuen mich immer»
Wie schnell doch die Zeit vergeht: 1982 besuchte ich in Montral meinen ersten Formel-1-Lauf, im Rahmen einer Nordamerika-Reise. Ich war von Beruf noch Schüler, dennoch machte ich mit Marc Surer ein Interview. 31 Jahre später hat der Basler eine abwechslungsreiche Rennkarriere hinter sich und arbeitet heute, unter anderem, als TV-Experte für Sky in der Formel 1; Montreal 2013 ist mein 409. Grand Prix. In all der Zeit ist Surer immer ein kluger Formel-1-Experte geblieben. Ich könnte mir keinen besseren Gesprächtspartner wünschen, um übers Abschlusstraining von Kanada zu sprechen und einen Blick auf den Montreal-GP voraus zu werfen.
Marc, wer hat im Abschlusstraining von Montreal alles richtig gemacht, und wer hat es versemmelt?
Sebastian Vettel war immer dann schnell, wenn es wichtig war – alles richtig gemacht. Valtteri Bottas ist auch nicht zufällig auf den dritten Rang nach vorne gefahren, er war schon in den Trainings zuvor immer schnell. Der Finne steht absolut verdient in Startreihe 2. Ich finde das auch schön, dass diese alte Motorsport-Regel noch immer gilt: Solche Mischverhältnisse sind immer eine grosse Chance für die vermeintlich Kleinen. Wir dürfen dabei auch nicht vergessen, dass Toro Rosso zwei Autos unter den schnellsten Zehn hatte. Dann gilt es, diese Chance auch zu nutzen.
Und am anderen Ende des Wohlfühl-Spektrums?
Felipe Massa ist für mich eine tragische Figur. Wir haben jetzt zwei Mal im Abschlusstraining einen Unfall vom Brasilianer gesehen, aber bei Monte Carlo bleibe ich skeptisch: Für mich ist in Monaco hundertprozentig am Wagen etwas schief gelaufen, und aus welchen Gründen auch immer, will das Ferrari vertuschen. Wir haben die Aufnahmen wortwörtlich unter die Lupe genommen: Massa lenkt beim ersten Unfall, er hatte ja zwei Crashes, ein, das Auto reagiert aber nicht, dann tritt er voll in die Bremse. Da muss etwas am Wagen gewesen sein. Die einzige Erklärung, die ich habe: Felipe hatte schon vorher irgendwo an der Leitschiene angeschlagen, wollte aber nachher nicht dem Wagen die Schuld geben. Also spricht Ferrari von Fahrfehler. Ich verstehe nicht, wieso man so etwas nicht zugeben kann. Das ist ja gerade in Monaco keine Schande, das passiert den besten Piloten. Beim zweiten Mal war es noch extremer ...
Zurück zum Abschlusstraining hier in Kanada: Jenson Button hat seine letzte Runde in Quali-Segment 2 zu spät begonnen, um noch eine Zeit fahren zu können. Wer hat da versagt – das Team oder der Fahrer?
Ich habe das genau beobachtet: Er ging ziemlich weit hinten in diesem 16er-Feld auf die Bahn, hat dann in den ersten Kurven einige Konkurrenten überholt. Dann merkte er, dass er mitten im Gewühl steckt, wollte nach vorne etwas Abstand erzeugen und wurde prompt wieder überholt! Vor der letzten Schikane kam es dann fast zu einer Art Rückstau, weil jeder Fahrer für sich eine Lücke schaffen wollte, und da ging ihm einfach die Zeit aus.
Hätte er von der Boxenmauer da nicht mehr Führung erhalten müssen?
Eigentlich schon, aber wir dürfen auch nicht vergessen, dass es um Sekunden geht, und die Mannschaft an der Boxenmauer kann beim Erzeugen der Lücke auch nicht helfen. Es ist für mich ein klarer Fall von – dumm gelaufen. Der Fehler begann eigentlich schon früher: Wenn man weiss, dass nur noch so wenig Zeit ist, dann muss man sich eben früh am Boxenausgang hinstellen; selbst auf die Gefahr hin, dass man dort etwas länger warten muss und dabei die Reifentemperaturen und –drücke wieder runtergehen. Mit gescheitem Aufwärmen liesse sich das wieder wettmachen.
Was war deiner Meinung nach mit Lotus los?
Was im Rennen das grosse Plus der Lotus-Rennwagen ist, fällt ihnen im Training auf den Kopf: Die Reifen kommen an diesem Wagen langsamer auf Temperatur. Diese 16 Grad vom Abschlusstraining sind einfach nicht gut für dieses Auto. Pass aber morgen im Rennen auf, wenn es wärmer sein wird. Dann wird mit Kimi zu rechnen sein. Das Gleiche gilt übrigens auch für Ferrari.
Paul Di Resta ist zum zweiten Mal im Folge im ersten Quali-Segment ausgeschieden und hat wieder über sein Team geschimpft. Welchen Eindruck macht das auf dich?
Da muss man sich am Beispiel der Top-Fahrer orientieren. Fernando Alonso hat sicher schon einige Male Gelegenheit gehabt, über Ferrari zu schimpfen. Aber hat er das getan? Nein. Er hat sich vielmehr vors Team gestellt. Gewiss hat er intern tüchtig auf den Tisch geklopft, aber er hat die Medien nicht dazu benutzt. Öffentlich übers Team zu schnöden, ist nicht nur schlechter Stil, es erzeugt im Team selber auch schlechte Stimmung. Damit macht er sich keinen Gefallen.
Was sagen eure Wettermodelle für den Renntag?
Schauer bleiben möglich, aber es wird wärmer. Aber eigentlich spielt das gar keine so grosse Rolle: Die Rennen in Montreal sind selten langweilig, es gibt oft Safety-Car-Einsätze, bei welchen das Feld wieder zusammenrückt. Und ich bin ziemlich sicher, dass wir erneut Bernd Mayländer in Aktion erleben werden – die Mauern und die Leitschienen stehen einfach verflixt nahe.
Das ist ein gutes Stichwort, Marc: Wieso dauerte die Reparatur der Leitschiene so lange, worauf das freie Training auf nur 30 Minuten verkürzt werden musste?
Der Wagen aus der Ferrari-Challenge schlug nicht auf Bodenhöhe ein, sondern rund einen Meter höher. Nach dem Dreher ausgangs der Haarnadel war er auf der Grasnabe ausgehebelt worden. Es entstand ein Loch in der Leitschiene, und das passende Ersatzteil musste zuerst herbeigeschafft und dann eingesetzt werden. Dazu musste mit den Schneidbrennern gearbeitet und neue Bohrlöcher gemacht werden. Und das ist eben nicht im Handumdrehen zu machen.