Singapur hat die Formel 1 zum Fressen gerne
Singapur putzt sich für den sechsten Grand Prix des Stadtstaates heraus. An allen Ecken und Enden wird gearbeitet: so auch an der grossen Padang-Bühne, wo am Sonntag nach dem Rennen Welt-Star Rihanna das Publikum zum Kochen bringen wird. Als hübscher Kontrapunkt steht gleich gegenüber das altehrwürdige Cricket-Klubhaus.
Arbeiter schrauben Sitzschalten auf die Tribünen, zwischendurch packt sie ein Schauer – es hat in den letzten zwei Monaten hier so viel geregnet wie in den vergangenen dreissig Jahren nicht mehr.
Mein Taxifahrer – ich würde ihn nicht als steinalt bezeichnen, aber den Runzeln zufolge hat er seinen 117. Geburtstag schon hinter sich – keift: «Ganze Autobahnabschnitte standen unter Wasser, der Verkehr brach zusammen. Das ist alles Schuld der Regierung. Die vielen Bauarbeiten, ober- wie unterirdisch, haben die natürlichen Wasserabläufe verändert. Das ist auch ein Grund, warum der Strassenkurs so buckelig ist – da muss ich mich doch bei den Besuchern schämen.»
Ich weise den alten Mann höflich darauf hin, dass gerade diese Buckel den Fahrern nicht übel munden – es gehört zur Herausforderung Singapur, dass die Piloten ihre Rennwagen bei diesem Rodeoritt unter Kontrolle behalten. «Oh», sagt der Taxifahrer. «So habe ich das noch gar nie gesehen. Aber das Wetter macht mir trotzdem Sorgen.»
Tatsächlich geht kein Tag vorbei, an dem es nicht schüttet. Unser Taxifahrer staunt noch einmal, als ich ihm erkläre, dass es in den bisherigen fünf Ausgaben des Singapur-GP-Wochenendes keinen einzigen Fall von Regen während Training oder Rennen gegeben hat. Vorher okay, nachher auch, vielleicht auch ein Beginn auf feuchter Bahn, aber kein Regen während. Der Taxifahrer grinst: «Dann wird es vielleicht Zeit.»
In nur wenigen Ausgaben ist das Nachtrennen ein Klassiker geworden. Die Organisatoren sind zufrieden: Nur noch wenige Eintrittskarten sind erhältlich, schon jetzt steht fest, dass mehr als die 84.317 GP-Zuschauer vom letzten Jahr zugucken werden.
Kein Rennort bieten eine so ideale Infrastruktur, um Geschäftskontakte zu vertiefen: Während des Tages Sitzungen in den Glaspalästen, abends an die Rennstrecke, Dinner vor- oder nachher, dann mit einer eingesprungenen Doppelschraube ins Nachtleben. Am nächsten Tag ist der neuste Deal geritzt, bitte auf der punktierten Linie unterzeichnen.
Die Fahrer hingegen kriegen von all dem so gut wie nichts mit: Viele von ihnen bleiben streng im europäischen Rhythmus, will heissen – aufstehen so um 14.00 Uhr, dann Frühstück, ab 16.00 Uhr an die Strecke, Mittagessen gegen 18.00 Uhr, nach Fahren und Nachbesprechungen ein leichtes Dinner, so gegen zwei Uhr früh, gegen 04.00 oder 05.00 ab ins Bett. Einige Hotels bieten dazu Spezial-Verdunkelungen an, notfalls helfen Grossmutters Tipps, auch einem Lewis Hamilton: «Bei mir muss es stockdunkel sein im Zimmer, da hänge ich schon mal Socken über alle möglichen Kontrollleuchten, sofern sich die Geräte nicht ausschalten lassen.»
Wenn der Mercedes-Star dann friendlich vor sich hinschlummert, ist die Stadt längst wieder erwacht: Singapur belegt in der Rangliste der bedeutendsten Finanzzentren bereits Rang 4 (hinter London, New York und Hong Kong), Tendenz steigend. Finanz-Experten gehen davon aus, dass die Engländer und US-Amerikaner ihre Vormachtstellung in ungefähr zehn Jahren los sein werden.
Singapur besitzt auch den zweitgeschäftigsten Container-Hafen der Welt (nach Shanghai), in der Rangliste des Internationalen Währungsfonds in Sachen Pro-Kopf-Einkommen liegen nur Qatar und Luxemburg vor Singapur.
Und dabei began alles mit einem Irrtum.
Singapur bedeutet ja Stadt der Löwen (malaysisch «singapura»), basierend auf der Legende von Prinz Snag Nila Utama, der mit seinem Schiff an der Küste gelandet war und einen Löwen gesehen haben will. Nur gab es hier leider nie Löwen, der Prinz sah in aller Wahrscheinlichkeit einen malaysischen Tiger, aber gut, die Korrekturbrille wurde ja auch erst im 13. Jahrhundert in Italien erfunden, und unseres Wissens gab es so bald keine Filialen in Südostasien.
Rund 700 Jahre später interessiert es hier keinen mehr, ob Snag Nila Utama einen Knick in der Optik hatte. Die Touristen drängeln sich zu Fusse des Fabelwesens Merlion und knipsen sich (nein, keinen Löwen) einen Wolf: der Merlion ist eine Mischung aus Löwenkopf und Fischkörper, das Maskottchen von Singapur. «Mer» steht für das Meer, «lion» für den Löwen, und zum Fischkörper ist der Löwenkopf deshalb gekommen, weil der Ursprung von Singapur das Fischerkaff Temasek war. Ich finde, das passt ausgezeichnet zum heutigen Singapur, den einige der hier getätigten Finanzgeschäfte dürfen ebenfalls etwas glitschig sein.
Hotelbetreiber und Ladenbesitzer lassen sich Einiges einfallen: Die asiatische Metropole ist einer jener Grand-Prix-Orte, in welchen Besucher alle paar Meter über die Formel 1 stolpern – Show-Cars, Verkaufsstände, Singapur ist von hinten bis vorne beflaggt, zahllose Schaufenster lehnen sich bei der Dekoration ans Autorennen an.
Im «Royal Plaza» haben 18 Köche einen Rennwagen aus Pasta zusammengeklebt – im Massstab 1:1. Zum Glück wird das Auto im Hotel gezeigt und nicht draussen auf der Strasse. Angesichts der hohen Luftfeuchtigkeit wäre es in schätzungsweise 45 Minunten al dente.