Toto Wolff, Mercedes: «Das ist absoluter Schwachsinn»
Toto Wolff mit Lewis Hamilton
Die Formel-1-Fahrer hatten eine grosse Fan-Umfrage ins Leben gerufen. Die Frage ist nun: Wie geht es weiter? Auch Mercedes-Motorsportdirektor Toto Wolff hat sich viele Gedanken darüber gemacht, wie man unseren Lieblingssport reizvoller gestalten könnte.
Der Wiener sagt: «Das grundsätzliche Problem ist, dass Basis-Demokratie in der Formel 1 nicht funktioniert. Ich kann mir vorstellen: diese Umfrage kommt letztlich nicht zu dramatisch anderen Ergebnissen als wie wenn wir uns alle zusammen an einen Tisch setzen und Verbesserungen vorschlagen.»
«Wir sind uns einig darüber, dass wir ab 2017 die Autos wesentlich schneller machen wollen. Die Rennwagen sollen aggressiver aussehen, also breiter werden, mit fetten Hinterreifen. Wir wollen mehr Abtrieb, wir wollen höhere Kurven-Tempi, wir wollen mehr Belastung für den Fahrer in den Ecken. Dann machen auch diese kilometergrossen Auslaufzonen wieder Sinn, wenn die Fahrer schneller in die Kurven pfeilen. Das ist der erste grundsätzliche Schritt, und den werden wir machen.»
«Dann müssen wir uns aber auch darüber im Klaren sein, dass die Formel 1 mit einem ganz anderen Freizeitprogramm in Konkurrenz steht als vor zehn oder vor zwanzig Jahren. Da gibt es unzählige spektakuläre Sportarten, die ein Fan in kurzen Video-Clips happengerecht geniessen kann. Was wir derzeit erleben, ist ein Problem des Fernsehmarktes generell, nicht nur ein Problem der Formel 1.»
«Aber natürlich gibt es zahlreiche Schrauben, an denen man drehen kann, um den Sport attraktiver zu gestalten. Mir widerstreben beispielsweise diese riesigen Auslaufzonen, in die ein Fahrer abbiegt, wenn er sich einen Fehler erlaubt hat, und aus denen er ohne Probleme wieder auf die Strecke zurückkehrt. Das finde ich absoluten Schwachsinn. Wenn du deinen Wagen aus der Kontrolle verliest und von der Bahn gerätst, dann sollte das mehr Konsequenzen haben als einfach wieder auf die Bahn zurück zu kommen. Ich betone: das ist meine persönliche Meinung.»
«Für mich sind das da draussen Gladiatoren, die in unheimlich schnellen Autos sitzen, die – das sollte keiner vergessen – sehr gefährlich sind. Aber wir scheinen das nicht mehr zum Fan transportieren zu können. Das müssen wir lösen. Aber man muss auch aufpassen, dass man sich basierend auf solchen Umfragen nicht in tausend Wegen verzettelt.»
«Martin Brundle ist einer der Wenigen, die in den 80er und 90er Jahren Formel 1 gefahren sind und einen aktuellen GP-Renner bewegt haben. Er hat in Silverstone einen Force India getestet und gesagt – es ist unheimlich schwierig, diese Autos zu beherrschen. Es sei brutal, wie die Leistung einsetze, es sei unfassbar schwierig, das Auto an der Haftgrenze zu fahren. Ich sehe entlang der Strecke ganz wenige Berichterstatter beim Zuschauen, aber wir alle kommentieren, wie diese Autos zu fahren sind. Fakt ist: wer sich entlang des Red Bull Ring anschaut, der merkt – es ist atemraubend. Es ist kaum zu glauben, mit welchem Speed die Fahrer daher kommen und wie sie mit den Autos kämpfen. Aber irgendwie kommt diese Faszination nicht wie gewünscht rüber.»
«Früher, sagen wir zur Zeit von Niki Lauda, war das so: wenn du in der Formel 1 von der Bahn abgekommen bist, dann hast du mindestens einen Unfall gehabt, möglicherweise mit gravierenden Folgen für den Piloten. Der Sport war überaus gefährlich. Das hat sich verändert, weil wir im Sinne der Sicherheit die Autos und die Rennstrecken optimiert haben. Das war notwendig und richtig. Vielleicht sind wir in der Konsequenz dieser Entscheidungen so weit gekommen, dass sich die Wahrnehmung der Fans verschoben hat und sie tatsächlich glauben, dass Formel 1 nicht mehr gefährlich sei. Aber das stimmt nicht. Um dieser Wahrnehmung entgegen zu wirken, wollen wir die Autos ab 2017 markant schneller machen, und das ist richtig.»
«Ich war ja auch mal Fan früher. Als ich im Fahrerlager herummarschierte und ein Jacques Laffite kam vorbei, da war ich begeistert. Hat sich das alles verändert, weil die Fahrer vielleicht jünger werden? Oder weil wir eine wahre Reizüberflutung haben? Schwer zu sagen. Aber ich bin davon überzeugt, dass wir in der Formel 1 noch immer Typen haben – ein Max Verstappen ist für mich ein Typ. Der ist 17 Jahre alt, er kann ganz offensichtlich Auto fahren und lässt sich den Mund nicht verbieten.»
«Ich halte auch unsere beiden Fahrer für Typen. Aber wenn einer wie Lewis Hamilton mit den Hunden am Rennplatz erscheint oder sich für Musik interessiert, dann wird ihm vorgeworfen, er verzettle sind. Wenn einer wie Sebastian Vettel sein Privatleben schützt dann wird ihm vorgeworfen, er sei für die Formel 1 nicht interessant. Es scheint – wie man es macht, ist es falsch.»
Nicht nur wegen des tollen Erfolgs von Nico Hülkenberg ist das 24 Stunden-Rennen von Le Mans im Fahrerlager des Red Bull Ring ein Thema. Toto Wolff weiter: «Mich hat das auch gepackt, ich habe sicher 15 Stunden live geguckt. Und du machst dir fast in die Hose bei dem Rennen, weil es so super ist.»
«Wenn ich nun Le Mans mit der Formel 1 vergleiche, dann stelle ich fest – Le Mans findet einmal im Jahr statt. Das ist wie ein WM-Finale im Fussball. Seltsamerweise spricht im Zusammenhang mit Le Mans keiner von Langeweile der Hybrid-Motoren, es redet keiner darüber, dass sich die Motoren anhören wie Rasenmäher. Es redet keiner darüber, dass es im Grunde nur zwei Marken gibt, die den Sieg unter sich ausmachen. Also all das, was in der Formel 1 schlechtgeredet wird, ist in Le Mans kein Anlass zur Kritik. Warum ist das so? Weil die Formel 1 teilweise in eine Negativspirale geraten ist, die nur noch das angeblich Schlechte betont.»