Lewis Hamilton: Der letzte Rock-Star der Formel 1
Lewis Hamilton
Sir Jackie Stewart meint: «Nur die Zeit wird zeigen, ob Lewis Hamilton nicht nur ein erfolgreicher, sondern ein grosser Fahrer ist.» Aber wenn es nach Zahlen geht, dann reiht sich der alte und neue Formel-1-Weltmeister Lewis Hamilton auf Augenhöhe mit den Champions ein.
Als zehnter Fahrer hat er seinen Titel erfolgreich verteidigt. Als erster Brite überhaupt. Als zehnter Formel-1-Pilot auch hat es Lewis Hamilton geschafft, drei Titel an Land zu ziehen (nach Juan Manuel Fangio, Jack Brabham, Jackie Stewart, Niki Lauda, Nelson Piquet, Alain Prost, Ayrton Senna, Michael Schumacher und Sebastian Vettel). Vor ihm liegen da nur noch Schumi (sieben Titel) sowie Prost und Vettel (je vier).
Wir müssen jetzt nicht darüber diskutieren, ob Lewis Hamilton diesen WM-Titel verdient gewonnen hat. In 16 (von 19) WM-Läufen hat er nun erobert: Elf Pole-Positions (sein nächster Verfolger – Nico Rosberg mit vier). Er hat zehn Mal gewonnen (Rosberg und Vettel je drei Mal).
Hamilton stand nur zwei Mal nicht auf dem Podest, in Ungarn wurde er in einem chaotischen Rennen Sechster, in Singapur schied er aus.
Noch Fragen?
Nico Rosberg hatte 2014 gegen Hamilton eine echte WM-Chance, 2015 musste er kapitulieren. Der Deutsche sagt: «Er ist in den Abschlusstrainings in diesem Jahr deutlich stärker als ich. Er ist konstanter gefahren als 2014. Und ich selber hatte mehr Pech als im vergangenen Jahr.»
Der letzte Rock-Star
Formel-1-Freunde führen gerne ins Feld, dem modernen GP-Sport mangle es an echten Typen. Ich gestatte mir, zu widersprechen.
Lewis Hamilton, der mit Rihanna und Will Smith abhängt, der sich eine Goldkette um den Hals hängt, der seinen Körper zum Tattoo-Gesamtkunstwerk verändert, der Bilder von seinen Hunden ins Netzt stellt oder von coolen Autos, der auf dem Piano herumklimpert, Modewochen besucht, sich die Haare blondiert und so zwischendurch die Konkurrenz in Grund und Boden fährt – wenn das bitteschön kein Typ ist, wer dann?
Klar schiesst er dabei hin und wieder mal übers Ziel hinaus. Es war gewiss nicht weitsichtig, Bilder von sich aus dem Schiessstand zu veröffentlichen. Oder damals mit einem Supersportwagen durch monegassische Tunnel zu brettern.
Nur: Was wollen die Fans eigentlich? Teilt ein Pilot sein Leben in den sozialen Netzwerken und fällt ein wenig aus der Rolle, ist es einigen nicht genehm. Wenn einer nichts von sich preisgibt, ist es auch nicht recht. Was wollen die Fans eigentlich?
Ich plädiere da für Tolerenz. Wenn Sebastian Vettel über sein Privatleben den Mantel des Schweigens hüllen will, dann muss ich das nicht gut finden, aber letztlich ist es seine Sache, und das ist zu respektieren.
Wenn Lewis Hamilton auch mal was postet, was jetzt nicht besonders intelligent ist, dann sollte er dafür nicht an den Pranger gestellt werden.
Die Wahrheit ist: Seit Kimi Räikkönens Leben als Papa in etwas ruhigere Bahnen eingebogen ist, seither ist Lewis Hamilton der letzte Rock-Star der Formel 1. Es ist gewiss kein Zufall, dass kein Grand-Prix-Fahrer weltweit eine solche Fangemeinde hintert sich geschart hat.
Seit Hamilton die Zwangsjacken namens Ron Dennis und Nicole Scherzinger abgelegt hat, wirkt er glücklicher. Er scheint gemittet, in seinem Leben angekommen. Er geniesst ganz offensichtlich, was er tut. Niemand sagt ihm wie bei McLaren, ob er seine Serviette beim Essen jetzt auf den linken oder rechten Oberschenkel legen soll. Der Druck der Kippschalterbeziehung zur Sängerin Scherzinger ist weg.
Mercedes führt Hamilton an der langen Leine. Der wiederum fühlt sich inzwischen erfahren genug, Vertragsverhandlungen selber zu führen. Auch ein Zeichen von Reife.
Kein Rennfahrer wird sich über den Gewinn eines WM-Titels beklagen. Aber vor kurzem hat Hamilton klargemacht, ein wenig mehr Gegenwehr, das würde die Triumphe versüssen.
Sich durchbeissen, das entspricht voll und ganz der Lebenseinstellung Hamiltons. «Still I rise» ist nicht zufällig farbig in seine Haut eingeschossen, an Widerständen zu wachsen, das taugt ihm, das peitscht ihn vorwärts.
Am liebsten würde Lewis Rad an Rad mit Sebastian Vettel um einen Titel kämpfen. Zwischen den beiden ist viel gegenseitiger Respekt zu spüren: Der eine weiss vom anderen – der fährt auf Augenhöhe. Im kleinen Kreis würden das Lewis und Sebastian nicht von vielen weiteren Piloten behaupten.
Der kleine Bub aus Stevenage
Bei aller Reife ist Lewis Hamilton im Kern der kleine Bub aus Stevenage geblieben. Dieses Glitzern in den Augen, wenn er von einem Erlebnis schwärmt wie etwa vom Kartfahren mit Kids, samt Herumblödeln für entwaffnend alberne Instagram-Fotos, diese Verletzlichkeit, wenn er einen Tiefschlag verdauen muss – Hamilton ist stets sich selber, zum Glück für uns ist er ein hundslausigmiserabler Schauspieler.
Die Formel 1 soll Emotionen wecken. Fahrer, die ein eintöniger Stimme PR-Plattitüden von sich geben, wecken keine Emotionen. Hamilton wird von einigen verehrt, von anderen verschmäht. Aber er lässt keinen kalt.
Im Freundeskreis höre ich oft Sätze wie: «Einem Hamilton oder Ricciardo siehst du wenigstens an, wenn sie sich über einen Erfolg freuen. Andere stehen auf dem Podest mit einem Gesicht, als wäre zuhause der Hund gestorben.»
Ich bin dankbar, dass Lewis Hamilton aus seinem Herzen keine Mördergrube macht, auch wenn er sich damit hin und wieder selber im Weg steht.
Sein Team steckt da auch mal eine schnoddrige Bemerkung am Funk weg. Jedes Team liebt einen Piloten, der immer alles gibt. Mit Lewis Hamilton haben sie die Vollgasgarantie. Zum wunderbaren Instinktpiloten kommt ein zusehens reichrerer Erfahrungsschatz hinzu und eine neue Gelassenheit, die wir in dieser Art bei ihm nicht gekannt hatten.
Wer die frühere Formel 1 verklärt und ins Schlechtreden des modernen GP-Sports einstimmt, dem sei gesagt: Ich bin froh, in einer Ära der Formel 1 leben zu dürfen, in welcher ich Ausnahmekönner wie Hamilton, Vettel und Alonso geniessen kann. Mit einem Max Verstappen als Versprechen für die Zukunft.
Lewis Hamilton – was nun?
Fernando Alonso – der dem Briten so viel Respekt entgegen bringt wie es Sebastian Vettel tut – ist der Meinung: «Für mich steht ohne jeden Zweifel fest, dass Lewis einer der ganz Grossen ist. Wenn einer wie Niki Lauda oder Ayrton Senna drei Titel gewinnt, dann kannst du ihn doch nicht auf eine niedrigere Stufe stellen. Ich halte ihn für einen der Besten, und ich glaube auch: Da kommt noch mehr.»
«Die Qualitäten von Lewis siehst du ganz einfach daran: Selbst wenn sein Auto nicht das Beste im Feld war, so hat er immer Rennen gewonnen. Vielleicht redete er kein Wörtchen um den Titel mit, aber er war immer ein heisser Anwärter auf Siege. Das können nicht viele Fahrer von sich behaupten. Wenn Mercedes so stark bleibt, sind für Hamilton sogar sechs WM-Titel nicht ausgeschlossen.»
Das dürfte dann wohl auch für Sir Jackie Stewart zu wahrer Grösse reichen.