MotoGP: Neuer Yamaha-Motor zu stark

Einmalig: Rennsportbilder, die nie gemacht wurden

Von Mathias Brunner
​Von vielen legendären Rennszenen gibt es keine Bilder. Zwei Tschechen fanden: Wieso eigentlich nicht? Mit modernster Computertechnik halfen sie der Historie ein wenig auf die Sprünge.

Der legendäre Mercedes-Rennleiter Alfred Neubauer zieht an den Nürburgring-Boxen im Juli 1938 Manfred von Brauchitsch vom brennenden Silberpfeil weg. Elisabeth Junek legt 1928 mit ihrem Bugatti 35B bei der Targa Florio einen Boxenstopp ein. Tazio Nuvolari driftet durch Brünn, links hinten auf nackter Felge, wir sind beim Grand Prix auf dem Masaryk-Ring 1937. Was all diese Bilder eint: Es gibt keine gestochen scharfen Abbildungen dieser Szenen, keine Bilder, in welchen wir verweilen könnten, um jedes Detail zu studieren. Bis jetzt.

Denn die beiden Tschechen Jan Rambousek und Petr Milerski fragten sich: Wenn damals keine Bilder entstanden sind, wieso machen wir dann das nicht heute? Die beiden Prager haben mit ihren Mitarbeitern von «Unique Limited» das vollbracht, was der erste Teil des Firmennamens sagt: Einzigartiges. Sie haben mit einem unfassbaren Aufwand und mit bewundernswerter Detailtreue computergestützte Bilder entworfen, die so realistisch sind, als wäre unser Fotokünstler wirklich über der sizilianischen Box gestanden, als Frau Junek stoppte oder von Brauchitsch wieder mal dem Schnitter von der Sichel sprang.

Was die Arbeit von Rambousek und Milerski so unverwechselbar macht: Sie kombinieren echte Fotos mit Statisten mit den Bildern, die in den Hochleistungsrechnern entstanden. Sie recherchieren vor Ort, wie das richtige Licht aussehen muss. Sie bauen Modelle und Requisiten. Auf gut Deutsch: Wir haben es hier mit zwei wunderbar verrückten Menschen zu tun, die fest an das geflügelte Wort glauben – ein Bild sagt mehr als 1000 Worte.

Die beiden Prager ermöglichen es uns, bei Szenen mitten im Geschehen zu sein, die kein Fotograf je so festhalten konnte. Ihre Arbeit ist absolut umwerfend. Es gibt kein vergleichbares Buch aus dem simplen Grund, weil niemand vor ihnen je solche Bilder gezaubert hat. Dazu hat der Motorjounalist Bart Lenaerts vertiefende Texte geschrieben, als perfekte Begleitung (ganz ohne Worte wäre auch schade). Zu jedem Bild gibt es ein spannendes «Making Of», in welchem die Künstler aus dem Nähkästchen erzählen – was sie besonders fasziniert hat, wo bei der Umsetzung die Schwierigkeiten lagen.

Vom Einfall bis zum fertigen Bild dauert es zwischen drei und sechs Monate. Die Freude Jan und Petr kommen aus der Werbebrache, aber irgendwann wurde ihnen klar, dass ihnen das keinen Spass mehr macht. Jedes Projekt musste noch schneller erledigt werden, die Zeit für wirklich kreatives Schaffen ging verloren. Sie waren gefesselt vom Gedanken, Bilder zu erzeugen, als wären damals wirklich Fotografen mit Farbkameras an der Piste gestanden. Heute sind der Ideengeber Rambousek und der Computergrafiker Milerski ihr eigener Herr und Meister, niemand nennt ihnen für eine Arbeit eine Frist.

An ihrer Silberpfeilserie von zwölf Bildern arbeitete ein halbes Dutzend Leute über drei Jahre lang. Es beginnt mit der oft wiederholten Story, wie an den weissen Mercedes der Lack abgekratzt wurde und so die Silberpfeile entstanden (eine Version, die heute angezweifelt wird). Die Serie dauert bis zum Triumph von Rudi Caracciola auf dem Nürburgring 1939. Auslöser dazu war die erste Arbeit der beiden Prager, auch ein Mercedes: der Rekordwagen Blitzen Benz.

Das Buch geht weit über die Autos von Mercedes-Benz und Auto Union hinaus. Wir erleben auch James Hunt bei seiner Fahrt zum WM-Titel 1976 in Fuji (Japan), oder sehen jenen Porsche 917, mit dem die Zuffenhausener 1970 erstmals die 24 Stunden von Le Mans gewannen.

Die Recherche bildet die Grundlage für den späteren Detailreichtum der Bilder: Die kleinste Steinschlagdelle passt, welche Kleider die Zuschauer trugen, wie die Werkzeuge aussahen, welche Risse in den Winschutzscheibchen zu finden waren, ob ein Sponsorkleber asymmetrisch zum Gegenstück auf der anderen Fahrzeugseite geklebt war. Zum Teil musste die Phantasie mithelfen. Wer weiss schon, wie es des Nachts im Fahrerlager des Nürburgrings aussah? Es gibt keine Bilder davon. Und doch scheinen wir auf einmal mitten im Geschehen zu stehen.

Was an den Bildern so fasziniert: Sie sind ungefähr das Gegenteil unserer heutigen Informationsflut. Sie laden geradezu dazu ein, sich minutenlang in einem der grossformatigen Werke zu verlieren, um jedes Details zu geniessen. Der Bildband bietet 21 Kompositionen, eine faszinierender als die andere. Ideal für lange Winterabende.

Bart Lenaerts: When Motor Racing was bloody dangerous – Ein Bildband nie gemachter Rennsportfotos
Aus dem Verlag Delius Klasing, Bielefeld
ISBN: 978-3-667-10918-7
252 Seiten, 164 Computergrafiken, 29 Farbfotos, 112 Schwarz-Weiss-Fotos
Format 30 x 30 cm
Für 59,90 Euro im Fachhandel

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