MotoGP: Neuer Yamaha-Motor zu stark

Reinhold Roth: Persönliche Erinnerungen an den Freund

Kolumne von Günther Wiesinger
Vom WM-Debüt 1979 bis zur Tragödie in Rijeka 1990 habe ich die Laufbahn von Reinhold Roth hautnah miterlebt. Es gab herzerfrischende Vorkommnisse, Rückschläge und Erfolge, bis zum bitteren Unfall in Rijeka.

Ich bin überzeugt, dass ich jeden einzelnen Grand Prix von Reinhold Roth miterlebt habe. Ich war bei jedem einzelnen seiner 15 Podestplätze im GP-Sport dabei, ich habe seine Triumphe und seine Niederlagen hautnah miterlebt, denn damals wurden die Fahrer noch nicht so abgeschirmt wie heute, es gab keine Media Debriefs zu festgelegten Uhrzeiten, keine oft nichtssagenden Press Releases der Teams und keine Kommunikationsexperten, die alle Aussagen überprüften, kein E-Mail, kein WhatsApp, kein Instagram, kein TikTok, kein Facebook, nur direkten persönlichen Kontakt, am besten direkt an der Rennstrecke im Motorhome, in der Box, in den gerade entstehenden Hospitalitys oder in den Rennpausen über das Festnetztelefon.

Es gab damals Übersee-Rennen wie Argentinien 1981, bei denen ich als einziger Berichterstatter aus Europa vor Ort war. Und es gab nichts zu berichten, was man nicht selbst beim Team oder Fahrer recherchiert und ins Notizbuch geschrieben hatte.

Durch die Nähe zu den Teams und die geringe Anzahl von Journalisten, die alle Rennen besuchten, von Suzuka über Phillip Island bis Laguna Seca, entstanden teilweise Naheverhältnisse und Freundschaften zu den Rennfahrern, besonders wenn sie so liebenswürdig, bodenständig und unterhaltsam waren wie Reinhold, die Kämpfernatur aus Amtzell. Der junge Mann mit dem Schnauzbart und dem nicht allzu dichten Haarwuchs hatte sich mit viel Enthusiasmus, Ehrgeiz, Entschlossenheit, Leidenschaft und Können an die Weltspitze gekämpft und hielt durch seine einnehmende Persönlichkeit und seinen unverfälschten Charakter bei den Sponsoren, Teams, Fans, Medien und Veranstaltern bei den Beliebtheitswerten locker mit dem fünffachen Weltmeister Toni Mang Schritt.

Einige Ereignisse in Zusammenhang mit «Jointie» werde ich nie vergessen. Zum Beispiel bat er mich 1987 am Samstag beim Brasilien-GP in Goiania, ich solle ausrechnen, welchen Platz er dort am Sonntag beim vorletzten Grand Prix (das Finale fand in Buenos Aires statt) erzielen müsse, um fix Vizeweltmeister zu sein.

Das war damals eine komplizierte Angelegenheit, weil zwei Streichresultate abgezogen wurden, außerdem war die Mathematik noch nie meine Stärke.

Nach einigem Hin und Her sagte ich: «Du musst Sechster werden, dann ist dein zweiter WM-Platz fix.»

Am nächsten Tag kämpfte Reinhold Roth auf der HB-Honda NSR 250 in einer 5-Mann-Gruppe um Platz 5, er fuhr bei Start-Ziel oft als Siebter oder Achter vorbei, drängte sich aber in der letzten Runde tapfer auf den vereinbarten 6. Platz vor.

Nach der Zieldurchfahrt kam er in der Boxengasse auf mich zu, den Helm noch auf dem Kopf, und drohte: «Wenn du dich verrechnet hast, mach‘ ich dich einen Kopf kürzer!»

Ausnahmsweise stimmte meine Kalkulation und ich konnte unversehrt nach Argentinien weiter reisen. Reinhold bekam dann vom Fanclub ein Pony für Sohn Matthias, das er «Vize» taufte. 

Nach Goiania-GP: Die letzte Zigarette 

Reinhold wollte am Tag nach dem Goiania-GP 1987 noch etwas für seine Fitness tun. Obwohl diese Stadt auf 750 Meter Seehöhe liegt und zu Mittag im Oktober meist 45 Grad gemessen wurden, schlug der neue Vizeweltmeister vor, wir sollten um die Mittagszeit eine Runde um die 3,82 km lange Strecke laufen.

Ich war zwar als ambitionierter Rennradfahrer seit dem Winter keinen Meter mehr gejoggt, aber der starke Raucher Jointie würde mich schon nicht abhängen, dachte ich – und willigte ein.

Als Reinhold mit Gattin Elfriede im Fahrerlager eintraf, merkte er die Affenhitze. Er schlug vor: «Lauf‘ du mal eine Runde, die zweite lauf‘ ich dann mit dir.»

Ich dachte, auch wurscht, dann habe ich wenigstens eine Ausrede, wenn ich den Anschluss verliere. Doch Reinhold fing schon nach der ersten Hälfte der gemeinsamen Runde hörbar zu keuchen an. Also erhöhte ich vor der ansteigenden Zielkurve «Curva Zero» das Tempo und distanzierte ihn um ca. 300 Meter.

Diese Schlappe hatte bleibende Auswirkungen. Denn Reinhold sagte nach dem Zielstrich: «Ab heute rauche ich keine Zigarette mehr.»

Und er hat Wort gehalten!

Auf dem Rennrad kam die Kurzatmigkeit bei gemeinsamen Trainings nicht so deutlich zum Vorschein. Reinhold zog es dabei auch gern und geschickt vor, topografische Hindernisse weiträumig zu umfahren. Aber als Ausdauer-Training passte ihm das Rennradfahren tadellos ins Konzept.

Im März 1987 trainierten wir an einem testfreien Tag einmal mit unseren extra-leichten Caminada-Stahlrädern. Wir fuhren im Paddock los und radelten ans Meer bis Cadiz und auf hügeligen Umwegen wieder zurück nach Jerez. Insgesamt mehr als 100 km.

Leider hatten wir kein Geld mitgenommen, der Hunger wurde immer stärker. In der Nähe unseres Hotels überfielen wir ein Kaffeehaus und stärkten uns mit allen verfügbaren Lebensmitteln, dazu gab es pro Person drei Cafè von leche und einige Colas.

Ich sagte dem Inhaber erst im Nachhinein, dass wir kein Geld eingesteckt haben, sonst hätten wir wohl nichts bekommen. Ich teilte ihm mit, wir wohnen im benachbarten 4-Sterne-Hotel und kommen in 10 Minuten zurück, um die Rechnung zu bezahlen.

Aus den 10 Minuten wurden drei Stunden, weil sich keiner von uns imstande sah, nach einer kurzen Ruhepause vom Bett aufzustehen und die Schulden pünktlich zu bezahlen.

Beim Radfahren konnte Reinhold einen ziemlichen Ehrgeiz entwickeln. Er wollte immer das Radrennen auf dem Salzburgring gewinnen, das die Streckenposten dort am Freitagabend für die GP-Piloten und ein paar Promis veranstalteten.

Einmal landete er in der Fahrerwertung auf Platz 3 hinter Christian Sarron und dem kräftig gebauten Suzuki-500-Piloten Rob McElnea. Sarron hatte sich im Bergaufstück von einem Roller ziehen lassen, aber das ärgerte «Jointie» weniger als die Niederlage gegen McElnea. «Dass mich dieser Fleischberg im Sprint abgehängt hat, ist ärgerlich», seufzte er.

Vor den GP-Erfolgen: Viele Verletzungen

Reinhold Roth zog sich vor seinen GP-Erfolgen immer wieder langwierige Verletzungen zu, wenn er versuchte, mit unterlegenem Material in der Weltmeisterschaft aufzufallen.

Aber das fahrerische Talent des Schwaben wurde schon früh offenkundig. 1977 gewann er dank zwölf Siegen den OMK-Pokal in den Klassen bis 250 und 500 ccm, jeweils auf Yamaha. 1978 besiegte Reinhold Roth (wieder auf Yamaha) in der 250er-Klasse auf Anhieb Toni Mang in der DM, er wurde Deutscher Meister in der 250er-Klasse. 1979 debütierte Roth in Misano in der Motorrad-Weltmeisterschaft – mit Platz 8 in der 250-ccm-Klasse. Ein Kahnbeinbruch bedeutete nachher das vorzeitige Saisonende.

Ab 1980 startete Reinhold Roth im Team von Helmut Fath, er war jetzt erstmals Profi-Rennfahrer. Nach zwei Top-Ten-Platzierungen stürzte er beim GP von Frankreich in Le Castellet nach einem Kolbenklemmer am Ende der Mistral-Geraden in der «Signes». Ein sechsfacher Schien- und Wadenbeinbruch setzte den Allgäuer wochenlang außer Gefecht. Beim Nürburgring-GP erlitt er neuerlich einen Beinbruch.

Titel

Vor drei Tagen ist der dreifache 250-ccm-GP-Sieger Reinhold Roth im Alter von 68 Jahren verstorben. Er starb an den Spätfolgen seines verhängnisvollen Sturzes beim Rijeka-GP am 17. Juni 1990, als er in einem dichten Pulk um einen Spitzenergebnis kämpfte und mit ca. 180 km/h ins Heck der Yamaha von Darren Milner krachte, der leichtsinnigerweise auf der Ideallinie spazieren fuhr und wegen des einsetzenden Regens an die Box wollte.

Ich habe Reinhold und seine Familie seither manchmal besucht und Kontakt zu Elfriede gehalten, was viele ehemalige Rennfahrerkollegen nicht übers Herz brachten.

Beim ersten Besuch nach dem Rijeka-Drama habe ich das Zimmer nach einer Minute verlassen, um ein paar Tränen wegzuwischen und meine Fassung wieder zu gewinnen. Aber danach wusste ich, wie ich damit umgehen musste. 

Aber es war zu spüren, dass Reinhold zwar am apallischen Syndrom litt, also sein Gehirn schwer geschädigt war. Nach dem Crash war er fast zehn Minuten ohne Sauerstoff, erst dann konnte er reanimiert werden. Aber er hat alle Besucher erkannt, auch wenn er sich nicht so richtig verständlich machen konnte.

Unvergesslich bleibt ein Besuch Mitte der 1990er Jahre in Amtzell, zu dem ich den dreifachen 500-ccm-Weltmeister Wayne Rainey mitbrachte, der seit einem Sturz in Misano 1993 im Rollstuhl sitzt und deshalb anfangs depressive Phasen durchlitt.

Ich schlug Wayne mehrmals vor, einmal mit mir nach Amtzell zu kommen. Denn Elfriede hatte einmal erwähnt, dass Waynes Frau Shea mit ihrem Ehemann noch immer alles besprechen könne, während Reinhold nur noch non-verbal kommunizieren konnte.

Der Kalifornier Wayne Rainey rollte damals ins Zimmer von Reinhold, der in einem Gitterbett lag, und rief jovial: «Hi, Reinhold, you are looking great.»

Wayne kam damals mit seinem Privatflieger angereist. Am Telefon sagte ich ihm, er sollte nach Friedrichshafen fliegen. «Sounds like ’fried chicken‘», grinste er, als ich den Ortsnamen buchstabierte. Ich durfte mit meinem Auto direkt aufs Flugfeld fahren. Waynes Physiotherapeut trug ihn die schmalen Stiege vom Flieger runter.

Ich weiß noch, dass ich Wayne bei der Rückkehr zum Airport sagte, ich fahre mit der Fähre zurück über den Bodensee in die Schweiz. Als ich am Hafen wartete, drehte er im Learjet eine Ehrenrunde über uns, unser dreijähriger Sohn Viktor war begeistert. 

In diesem Moment ging mir durch den Kopf: Und unsereins beschwert sich, wenn wir drei Tage an Grippe oder Schnupfen leiden. 

Auch wenn Reinhold Familie natürlich lieber ein gesundes Oberhaupt gehabt hätte, Sohn Matthias (er war beim Unfall sechs Jahre alt) hatte 31 weitere Jahre einen Papa daheim, den er umarmen und liebkosen konnte. Und Elfriede, die anfangs auf ein medizinisches Wunder hoffte, hatte bis Freitag ihren geliebten Ehemann im Haus.

«Ich bin dankbar für die Zeit, in der ich ihn an meiner Seite gehabt habe», sagte sie am Freitag. «Reinhold hat in den letzten Jahren natürlich abgebaut. Seine Kräfte sind zu Ende gegangen. Deshalb bin ich auf der einen Seite erleichtert, dass er jetzt gehen durfte.»

Gestorben ist man erst, wenn man vergessen wird.

An Reinholds Taten und Sprüche und sein trauriges Schicksal werden wir uns lange erinnern.

Und es ist im Sinne des zweifachen Vizeweltmeisters, wenn ich sage: «Lieber Reinhold, wir werden nicht so lange um dich trauern, wie wir mit dir gelacht haben.»

Die Karriere von Reinhold Roth:

1976: Erster Sieg im OMK-Pokal auf Yamaha in Augsburg
1977: 250-ccm-OMK-Pokal-Sieger auf Yamaha und 500-ccm-OMK-Pokal-Sieger auf Yamaha
1978: Deutscher 250-ccm-Meister auf Yamaha
1982: Deutscher 500-ccm-Meister auf Suzuki und 250-ccm Europameister auf Yamaha
1983: Deutscher 250-ccm-Meister auf Yamaha
1984: Deutscher 500-ccm-Meister auf Honda
1986: Deutscher 250-ccm-Meister auf Honda
1987: 250-ccm-Vizeweltmeister auf Honda
1988: WM-Fünfter in der 250-ccm-Klasse auf Honda
1989: 250-ccm-Vizeweltmeister auf Honda

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