Malaysia-GP: In Südostasien gehen die Uhren anders
Wer zum Malaysia-Motorad-GP fliegt, wird schon am Flughafen mit Motorsport konfrontiert. Während ich auf das Gepäck warte, sehe ich oberhalb des Förderbands einen TV-Bildschirm. Dort läuft gerade Werbung mit Mercedes-Formel-1-Pilot Lewis Hamilton. Es ist ein Werbespot für den heimischen Mineralölkonzern Petronas.
Am Airport empfängt mich ein reichhaltiges Angebot an Fast-Food-Ketten: Von Dunkin’ Donut bis Burger King, auch Starbucks und Ritazza sind vertreten. Beim Sixt-Leihwagenschalter ist Geduld gefragt. Modernes Teufelszeug wie Drucker oder Scanner gibt es in diesem winzigen Office nicht. Am Computer werden meine hinterlegten Daten nicht gefunden, also werden Kopien von Pass und Führerschein angefertigt. Ich muss so viele Dokumente und Kreditkarten abliefern, dass ich mir Sorgen mache, ob ich wieder alle eingesammelt habe oder ob noch welche unter dem ständig wachsenden Papierberg verborgen sind.
Immerhin ist meine Reservation angekommen. Alle meine Daten aus Führerschein, Reisepass und Kreditkarte werden gesammelt. Alle Jahre wieder. Zum insgesamt 40. Mal, schätze ich.
Immerhin muss man bei der Einreise den Bogen mit den 27 lästigen Fragen (Im Sinne von: «Wo haben sie die letzten Weihnachten verbracht?») nicht mehr ausfüllen. Man darf jetzt in die Kamera schauen und die zwei Zeigefinger scannen lassen.
1991 hat der GP-Tross erstmals in Malaysia Station gemacht, damals noch auf der vorsintflutlichen Piste in Shah Alam. Auch sie lag bei Kuala Lumpur.
Seither ist viel passiert. Wir sind nach 1997 von der Clubrennstrecke Shah Alam bei Kuala Lumpur mit ihrer kümmerlichen Infrastruktur zuerst für ein Jahr nach Johor Bahru übersiedelt und 1999 an den großzügig angelegten Sepang International Circuit, der 10 Minuten vom neuen Flughafen KLIA (Kuala Lumpur International Airport) entfernt liegt.
Es hat sich viel getan in diesem aufstrebenden Land, in dem jährlich 8 Prozent Wirtschaftswachstum zur Tagesordnung gehören. Die Leihautos sind besser geworden. Früher gab es nur malaysische Proton, dieser Hersteller hatte einst fast 70 Prozent Marktanteil.
Diesmal bekam ich einen Honda Jazz, er hatte keine 6000 km auf dem Tacho, als ich einstieg. Ein tadelloses Fahrzeug. Welch ein Unterschied zum Proton Saga, den ich 1991 bekommen habe. Der hatte fünf Schlüssel: Je einen für die linke und die rechte Türe, einen fürs Handschuhfach, einen für den Kofferraum, einen fürs Zündschloss.
Auf dem P2-Parkplatz im Paddock ist beim Aussteigen aus dem Auto Vorsicht geboten. Ich wäre beinahe in ein schwarzes, 1 Meter tiefes Loch mit rund 30 Zentimeter Durchmesser getreten, das 50 Zentimeter neben meiner Autotüre lauert. Mit Schuhgröße 43,5 wäre ich glatt bis zu den Knien reingefallen.
Irgendjemand hat den Kanaldeckel als Souvenir mitgenommen.
Merke: In Malaysia gehen die Uhren anders.
Aber die Motorsportbegeisterung ist gewaltig.
Wenn ein Fahrer wie Bagnaia oder Quartararo beim Grand Prix in der Früh um 8.30 Uhr am Fahrerlagereingang erscheint, lauern 20 großteils weibliche Autogrammjäger. Wenn sich Stefan Bradl oder Marcel Schrötter nähern, rufen einige auf Deutsch von weitem: «Guten Morgen.» Die Fahrer geben Autogramme, posieren für Fotos oder Selfies.
Gefährliche Zufahrt
Ach ja, beinahe hätte ich es vergessen. Die Zufahrt von der Autobahn zur Rennstrecke, sie ist weltweit unvergleichlich.
Als ich sie 1999 erstmals gesehen habe, dachte ich: Da haben sie die Autobahnausfahrt für die Rennstrecke vergessen und ein gefährliches Provisorium etabliert. Für den Grand Prix werden deshalb einfach ein paar Meter Leitschiene demontiert, dann überquert man im Linksverkehr die Autobahn vor einer unübersichtlichen Kuppe nach rechts, bei Gegenverkehr (!) – und biegt dann in die Zufahrtsstraße Richtung Fahrerlager ab.
Auch beim 22. Sepang-GP vor einer Woche hatte sich an der Situation nichts geändert. In den letzten Jahren wurde die ca. 15 Meter lange Lücke manchmal verschlossen, denn es passierte einmal ein tödlicher Unfall. Dann wurde der Verkehr zwei Kilometer weiter geführt bis zu einer Verkehrsampel, dort machte man einen erlaubten U-Turn. Diesmal war das gefährliche Loch wieder befahrbar!
Inzwischen habe ich eine geheime Einfahrt über den Haupteingang zum Paddock entdeckt, die weniger gefährlich ist.
In Malaysia herrscht Linksverkehr. Du näherst dich dieser mysteriösen Abfahrt ausnahmsweise auf der Überholspur, also ganz rechts. Dann bremst du, reihst dich in die stehende Kolonne (auf der Überholspur der Autobahn!) ein und weißt nie, ob dir jetzt nicht von hinten mit 120 km/h einer ins Heck donnert.
Man erblickt rechts das 15 Meter lange Loch in den Leitplanken – und beobachtet den Gegenverkehr auf der gegenüberliegenden Fahrbahn. Nach 2 Minuten entsteht eine Lücke, du gibst hurtig Gas, denn der Gegenverkehr rauscht mit 120 oder 130 km/h über die blinde Kuppe heran. Dann biegst du rein zur Rennstrecke.
Ein unbeschreibliches Szenario.
Kein Wunder, wenn es dort inzwischen manchmal gewaltig gescheppert hat. Warum wird nicht eine Ausfahrt nach links gemacht und ein Tunnel Richtung Paddock installiert? Weil diese Grundstücke nicht zur Rennstrecke gehören und die zuständige Behörde nichts investieren will, wurde mir erzählt.
Rote Ampeln werden in Malaysia nicht ernst genommen. Man sollte bei Grünlicht immer 10 bis 20 Sekunden warten, dann lässt der Querverkehr langsam nach...
Eine andere Kuriosität: Wer zum Tanken fährt, muss zuerst mal an der Kasse entweder die entsprechende Summe in Cash hinterlegen oder den Betrag von der Kreditkarte abziehen lassen.
Aber wie weiß ich, ob ich für die gefahrenen Kilometer 20 oder 50 Ringgit verbraucht habe? Also lasse ich mal 50 Ringgit abbuchen. Es gehen aber nur 19.30 Ringgit rein. Der Tankwart sieht auf seinem Computer sowieso nicht, was ich auf meiner Säule 3 getankt habe. Ich muss noch mal rausgehen und ihm den Betrag auf einem Zettel aufschreiben.
Die 30 Ringgit bekomme ich nicht zurück, die kann ich abschreiben. Zum Glück kostet der Liter Bleifrei nur 45 Euro-Cent, wir reden also von ca. 6 Euro Schaden.
Malaysia: Arm und reich
Malaysia hatte vor drei Jahren mit Dr. M. noch einen 94-jährigen Staatspräsidenten. Sein Neffe Razlan Razali war CEO des Sepang Circuit und ist jetzt Besitzer des WithU-Yamaha-MotoGP-Teams.
Das ostasiatische Land gilt als auf aufstrebende Wirtschaftsmacht. Da sind einerseits die pompösen Petronas Towers, sie sind 480 Meter hoch, aber wer durch die Dörfer 10 km neben der Rennstrecke fährt, sieht viel Elend, Slums, unglaubliche Armut, 50 Jahre alte Lkw mit qualmenden Dieselmotoren, Pkw ohne Türen und Fenster, in Mitteleuropa wären sie schon vor 30 Jahren aus dem Verkehr gezogen worden.
Dafür hat die Airline «AirAsia» von Ex-Caterham-Moto2-Teambesitzer Tony Fernandez einen riesigen eigenen Terminal-2 mit eigener Autobahnabfahrt, Hotel, Shopping Mall, Outlet-Centre und so weiter gebaut.
Vor vier Jahren hat nahe der Rennstrecke auch das neue Mövenpick Hotel eröffnet. Die meisten Teams haben damit wenig Freude: Es ist für muslimische Gäste konzipiert, es wird kein Alkohol verkauft. Die bedauernswerten Mechaniker müssen auf ihr Feierabendbier verzichten.
Und es gibt getrennte Swimming Pools für Frauen und Männer.
Seltsamer Schilder
Einmalig sind auch manche Verkehrsschilder auf der Autobahn: Ein Regenschirm, Regentropfen von oben, daneben ein motorisiertes Zweirad.
Was mag das bedeuten?
Es bedeutet: Im Fall von Regen dürfen sich Zweiradkraftfahrer am Pannenstreifen unter der Brücke vor dem Regenguss, der meistens tropische Ausmaße annimmt, in Sicherheit bringen.
Das hört sich ja liebenswürdig an.
Aber wenn es länger regnet, haben halt nicht alle bedauernswerten Zeitgenossen unter der schmalen Brücke Platz. Also parken die Fahrer mit ihren «Underbones», eine Art Mopeds mit Viertakt-Motoren mit bis 180 ccm, irgendwann auch auf der ersten Fahrspur. Und irgendwann auch auf der zweiten.
Und wenn der Regen gar nimmer aufhört, wird auch noch ein Teil der dritten Spur blockiert.
Dann wird die Autobahn zum Zweiradparkplatz. Und zur Fußgängerzone.
Lebensgefährlich?
Hauptsache, man bleibt trocken.
Auch die Sicherheitskontrollen am Airport haben ihre eigenen Standards. Das Handgepäck wird zwar nach der Passkontrolle durch einen Scanner geschoben. Es unterhalten sich dort sechs Aufpasser-innen sehr angeregt, die Monitore beachten sie nicht.
Ich lasse absichtlich mein Mobiltelefon in der Hosentasche, den Computer im Trolley, die Uhr am Handgelenk, den Gürtel in der Hose.
Es piepst wie verrückt.
Aber das kümmert niemanden.