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Was Kenny Noyes im Vorzimmer des Todes erlebte

Von Friedemann Kirn
Kenny Noyes stand in der Moto2 in Le Mans auf der Pole-Position, er fuhr erstklassig Dirt-Track und gewann die spanische Superbike-Meisterschaft. 2014 fiel er nach einem Crash in Aragón für zwei Monate ins Koma.

Der Superbike-Pilot Kenny Noyes, Sohn des amerikanischen Ex-Rennfahrers und renommierten Motorrad-GP-Journalisten Dennis Noyes, lag nach einem schweren Sturz im Jahr 2015 zwei Monate lang in tiefem Koma. Jetzt stellte er seine Autobiografie vor: «Challenges of Superbike, Moto 2 and Glasgow 3» – die Herausforderungen von Superbike, Moto2 und Glasgow 3.

In der sogenannten Glasgow-Koma-Skala, einem internationalen Bewertungsschema zur Abschätzung einer Bewusstseinsstörung, addieren sich die möglichen Werte für Augenöffnung (1 bis 4 Punkte), verbale Reaktion (1 bis 5 Punkte) und motorische Reaktion (1 bis 6 Punkte) im Idealfall auf 15 Punkte. Bei 8 oder weniger Punkten gehen die Ärzte von einer schweren Funktionsstörung des Gehirns aus. Glasgow 3 ist die Minimalpunktzahl. Für die Patienten, die mit Glasgow 3 im Krankenhaus liegen, ist die Intensivstation meist das Vorzimmer des Todes.

Nicht so für den mittlerweile 43-jährigen Noyes. Siebeneinhalb Jahre nach seinem Unfall spricht und geht er wieder, wenngleich langsam. Der Sohn des amerikanischen Motorrad-Journalisten Dennis Noyes, der einen Großteil seines Lebens in Spanien verbrachte und als Autor von Zeitschriften wie «SOLO MOTO» und «Motociclismo» sowie als TV-Kommentator populär wurde, stellte nun seine auf Spanisch und Englisch erschienene Autobiografie «Challenges of Superbike, Moto 2 and Glasgow 3» vor, zu der sein Freund Wayne Rainey das Vorwort beisteuerte und die über die Website www.kennynoyes.com erhältlich ist. Und er gab ein bewegendes Interview mit der spanischen Tageszeitung «La Vanguardia», in dem er von seinem Unfall und seiner langen Rekonvaleszenz erzählte.

Kenny stellte auch in der Moto2-WM seinen Mann. 2010 sicherte er sich in Le Mans auf der Promo-Harris des Teams von Filmstar Antonio Banderas die Pole-Position. 2011 gelang ihm auf der FTR in Valencia mit Rang 5 sein bestes GP-Ergebnis. 

Das Drama von Aragón 2014

Der folgenschwere Sturz ereignete sich im Training zu einem spanischen Superbike-Meisterschaftslauf im MotorLand Aragón. Noyes, spanischer Superbike-Meister 2014, hatte in der Saison 2015 bereits einen Sieg und zwei weitere Podestplätze auf dem Konto und war auf dem Weg zum nächsten Erfolg, als er im Warm-up am Ende der Zielgeraden mit einem anderen, aus der Boxengasse heran brausenden Fahrer kollidierte. Die Kawasaki mit der Startnummer 1 prallte so unglücklich von den Reifenstapeln der Streckenbegrenzung ab, dass Noyes vom Rad seines eigenen Motorrads am Kopf getroffen wurde und in einem Meer der Dunkelheit versank.

In dem Zeitungsinterview gab Noyes nun einige Erinnerungen an seine zwei Monate im Koma preis, zum Beispiel die Vision von einem Boot mit einer Silhouette wie der Körper einer Frau, deren Stimme ihn lockte wie die Sirenen auch Sindbad, den Seefahrer angelockt hatten. «Ich dachte, ich sei wach, doch in Wirklichkeit träumte ich. Es ist schwierig zu erklären, doch gleichzeitig ist es gut, es ans Licht zu bringen», verwies er auf sein Buch. «Mir ist das Schreiben nie schwergefallen. Immerhin bin ich der Sohn eines Journalisten.»

Zu Anfang hatte er nicht geglaubt, dass er gesundheitlich je wieder so weit kommen würde. «Ich dachte, ich sei in einem vegetativen Zustand, in einem permanenten Wachkoma. Es fiel mir wirklich schwer, zu kauen und zu schlucken. Meine Hände haben so sehr gezittert. Ich konnte keinen Schritt mehr tun.»

Jetzt bewegt sich der einstige Dirt Track-Champion mit einer Gehhilfe, an die er bessere Räder montiert hat, er legt ehrgeizig sechs Kilometer am Tag zurück. Er sammelt die Daten auf seiner Uhr, lädt sie auf «MapMyRide» herunter und teilt sie mit seinen Freunden. «Manchmal habe ich bis zu 140 Puls», schilderte Noyes.

Manchmal nehme er auch die 19 Stockwerke bis zu seiner Wohnung in einem Vorort von Barcelona zu Fuß in Angriff, fügte er hinzu. Eine Stunde brauche er für den Aufstieg. «Aber ich habe Zeit. Auch deshalb schreibe ich, weil ich Zeit habe und weil die Routine des Schreibens mir geholfen hat, mich an das Geschehene zu erinnern. Ich kann jetzt beim Tippen mehrere Finger benutzen. Dabei hatte ich alles verloren. Es hätte, im Nachhinein betrachtet, schlimmer ausgehen können.»

Als Kenny Noyes damals aus dem Koma erwachte, verhielt er sich wie ein Kind ohne Vergangenheit, ohne Sprache, ohne Erinnerung.

Jetzt hat der gebürtige Kalifornier, der in der Moto2-WM mit US-Lizenz fuhr, ein eigenes Kind zuhause: Karter, den im Juli geborenen Sohn von Kenny und seiner Frau Iana.

Als Familie versuchen sie nicht nur das Leben an sich zu meistern, sondern auch die Finanzen. Die Versicherung der Motorsportföderation kam nur 18 Monate lang für die Behandlung von Kenny Noyes auf. Die weiteren Kosten der Rehabilitation haben die Reserven der Familie aufgezehrt.

Kenny Noyes schrieb das Buch, um anderen Menschen mit ähnlichen Schicksalen Hilfestellung zu leisten. Umgekehrt unterstützt jeder, der sich bei Kenny Noyes einloggt und sein Buch, ein Buch seines Vaters Dennis, Memorabilia oder ein spezielles Hilfspaket bestellt, auch dessen Genesung.

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