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Sepang-GP: In Malaysia gehen die Uhren anders

Kolumne von Günther Wiesinger
Die Besucher des Sepang-GP in Malaysia erleben so manches, was einem normalsterblichen Mitteleuropäer außergewöhnlich erscheint. Aber in 32 Jahren hat sich viel verändert.

Wer zum Malaysia-Motorad-GP fliegt, wird schon am Flughafen mit Motorsport konfrontiert. Während ich auf das Gepäck warte, sehe ich oberhalb des Förderbands einen TV-Bildschirm. Dort läuft gerade Werbung mit Mercedes-Formel-1-Pilot Lewis Hamilton. Es ist ein Werbespot für den heimischen Mineralölkonzern Petronas.

Am Airport empfängt mich ein reichhaltiges Angebot an Fast-Food-Ketten: Von Dunkin’ Donut bis Burger King, auch Starbucks und Ritazza sind vertreten. Beim Sixt-Leihwagenschalter ist Geduld gefragt. Modernes Teufelszeug wie Drucker oder Scanner gibt es in diesem winzigen Office nicht. Am Computer werden meine hinterlegten Daten nie gefunden, also werden Kopien von Pass und Führerschein angefertigt. Ich muss so viele Dokumente und Kreditkarten abliefern, dass ich mir Sorgen mache, ob ich wieder alle eingesammelt habe oder ob noch welche unter dem ständig wachsenden Papierberg verborgen geblieben sind.

Immerhin ist meine Reservation angekommen. Alle meine Daten aus Führerschein, Reisepass und Kreditkarte werden gesammelt. Alle Jahre wieder. Zum insgesamt 40. Mal, schätze ich. Denn früher kamen die MotoGP-Teams manchmal vier Mal pro Jahr nach Kuala Lumpur: Im Winter für bis zu drei Tests, im Herbst für den Grand Prix. 

Deshalb fallen hier auch immer wieder Titelentscheidungen – wie in der Moto2 am Sonntag mit Pedro Acosta.

Immerhin muss man bei der Einreise den Bogen mit den 27 lästigen Fragen (Im Sinne von: «Wo haben sie die letzten Weihnachten verbracht?») nicht mehr ausfüllen. Man darf jetzt in die Kamera schauen und die zwei Zeigefinger scannen lassen. Der Unterschied zu Doha: Hier werden bei der Ankunft die vier Finger der rechten Hand kontrolliert.  

1991 hat der GP-Tross erstmals in Malaysia Station gemacht, damals noch auf der vorsintflutlichen Piste in Shah Alam. Auch sie lag bei Kuala Lumpur, keine 30 Minuten von Sepang entfernt.

Seither ist sehr viel passiert. Wir sind nach 1997 von der Clubrennstrecke Shah Alam bei Kuala Lumpur mit ihrer kümmerlichen Infrastruktur zuerst für ein Jahr nach Johor Bahru übersiedelt und 1999 an den großzügig angelegten Sepang International Circuit, der zehn Minuten vom neuen Flughafen KLIA (Kuala Lumpur International Airport) entfernt liegt.

Es hat sich viel getan in diesem aufstrebenden Land, in dem jährlich 8 Prozent Wirtschaftswachstum zur Tagesordnung gehören. Die Leihautos sind besser geworden. Früher gab es nur malaysische Proton, dieser Hersteller hatte einst fast 70 Prozent Marktanteil und baute veraltete Mitsubishi-Modelle nach.

Diesmal bekam ich bei SIXT ein Honda-Kompaktfahrzeug, er sah wie neu aus, als ich einstieg. Ein tadelloses Fahrzeug. Welch ein Unterschied zum Proton Saga, den ich 1991 erhalten habe. Der hatte fünf Schlüssel: Je einen für die linke und die rechte Türe, einen fürs Handschuhfach, einen für den Kofferraum, einen fürs Zündschloss.

Auf dem P2-Parkplatz im Paddock ist beim Aussteigen aus dem Auto Vorsicht geboten. Ich wäre beinahe in ein schwarzes, 1 Meter tiefes Loch mit rund 30 Zentimeter Durchmesser getreten, das 50 Zentimeter neben meiner Autotüre lauert. Mit Schuhgröße 43,5 wäre ich glatt bis zu den Knien reingefallen. Irgendjemand hat den Kanaldeckel als Souvenir mitgenommen.

Merke: In Malaysia gehen die Uhren anders.

Aber die Motorsportbegeisterung ist gewaltig. Wenn ein Fahrer wie Bagnaia oder Quartararo beim Grand Prix in der Früh um 8.30 Uhr am Fahrerlagereingang erscheint, lauern 20 großteils weibliche Autogrammjäger. Wenn sich Stefan Bradl nähert, rufen einige auf Deutsch von weitem: «Guten Morgen.» Die Fahrer geben Autogramme, posieren für Fotos oder Selfies. Selbst Mooney VR46-Teamdirektor Uccio Salucci wird belagert wie sonst nur in Mugello oder Misano. Auch Paolo Ciabatti von Ducati kommt im Paddock kaum einen Schritt vorwärts, ohne von den Fans angehimmelt zu werden. 

Übrigens: Am Sonntag war der Grand Prix mit 90.637 Besuchern wie immer in den letzten Jahren ausverkauft. An drei Tagen erschienen 182.912 Zuschauer.

Gefährliche Zufahrt

Ach ja, beinahe hätte ich es vergessen. Die Zufahrt von der Autobahn zur Rennstrecke, sie ist weltweit unvergleichlich.

Als ich sie 1999 erstmals gesehen habe, dachte ich: Da haben sie die Autobahnausfahrt für die Rennstrecke vergessen und ein gefährliches Provisorium etabliert. Für den Grand Prix werden deshalb einfach ein paar Meter Leitschiene demontiert, dann überquert man im Linksverkehr die Autobahn vor einer unübersichtlichen Kuppe nach rechts, bei Gegenverkehr (!) – und biegt dann in die Zufahrtsstraße Richtung Fahrerlager ab.

Auch beim 23. Sepang-GP vor ein paar Tagen hatte sich an der Situation nichts geändert. In den letzten Jahren wurde die ca. 15 Meter lange Lücke manchmal verschlossen, denn es passierte einmal ein tödlicher Unfall. Dann wurde der Verkehr drei Kilometer weiter geführt bis zu einer Verkehrsampel, dort machte man einen erlaubten U-Turn. Diesmal und 2022 war das gefährliche Loch wieder befahrbar!

Inzwischen habe ich eine geheime Einfahrt über den Haupteingang zum Paddock entdeckt, die weniger gefährlich ist.

In Malaysia herrscht Linksverkehr. Du näherst dich dieser mysteriösen Abfahrt ausnahmsweise auf der Überholspur, also ganz rechts. Dann bremst du, reihst dich in die stehende Kolonne (auf der Überholspur der Autobahn!) ein und weißt nie, ob dir jetzt nicht von hinten mit 120 km/h einer ins Heck donnert.

Man erblickt rechts das 15 Meter lange Loch in den Leitplanken – und beobachtet den Gegenverkehr auf der gegenüberliegenden Fahrbahn. Nach 2 Minuten entsteht eine Lücke, du gibst hurtig Gas, denn der Gegenverkehr rauscht mit 120 oder 130 km/h über die blinde Kuppe heran. Dann biegst du rein zur Rennstrecke. Ein unbeschreibliches Szenario.

Kein Wunder, wenn es dort inzwischen manchmal gewaltig gescheppert hat. Warum wird nicht eine Ausfahrt nach links gemacht und ein Tunnel Richtung Paddock installiert? Weil diese Grundstücke nicht zur Rennstrecke gehören und die zuständige Behörde nichts investieren will, wurde mir erzählt.

Rote Ampeln werden in Malaysia nicht wirklich ernst genommen. Man sollte bei Grünlicht immer 10 bis 20 Sekunden warten, dann lässt der Querverkehr langsam nach...

In der finsteren Nacht auf der Rückfahrt ins Hotel: Zuerst fährt ein 125er-Motorrad mit 120 km/h auf der mittleren von drei Spuren, aber ohne Licht hinten und vorne. Und gleich danach: Ein Underbone-Fahrer (das ist ein Mittelding zwischen Motorrad und Roller)  schiebt mit dem rechten Fuss einen Kollegen, dessen Bike den Geist aufgegeben hat, aber nicht am Pannensteifen, das wäre zu wenig abenteuerlich.  

Eine andere Kuriosität: Wer zum Tanken fährt, muss zuerst mal an der Kasse entweder die entsprechende Summe in Cash hinterlegen oder den Betrag von der Kreditkarte abziehen lassen.

Aber wie weiß ich, ob ich für die gefahrenen Kilometer 10, 20 oder 50 Ringgit verbraucht habe? Also liess ich 2022 mal 50 Ringgit abbuchen. Es gingen aber nur 19.30 Ringgit rein. Der Petronas-Tankwart sieht auf seinem Computer sowieso nicht, was ich auf meiner Säule 3 getankt habe. Ich muss noch mal rausgehen und ihm den Betrag auf einem Zettel aufschreiben.

Die 30 Ringgit bekomme ich nicht zurück, die kann ich abschreiben. Zum Glück kostet der Liter Bleifrei nur 40 Euro-Cent, wir reden also von ca. 6 Euro Schaden.

Diesmal hielt ich 200 Meter später bei der Shell-Station. Dort kann ich an der Säule mit einer Kreditkarte bezahlen. € 3.79.- für 9,71 Liter Normalbenzin! 

Malaysia: Arm und reich

Malaysia hatte vor vier Jahren mit Dr. M. noch einen 94-jährigen Staatspräsidenten. Sein Neffe Razlan Razali ist der ehemalige CEO des Sepang Circuit und jetzige Teamprinzipal des RNF-Aprilia-Yamaha-MotoGP-Teams mit Miguel Oliveira und Raúl Fernández. Das Duo blieb beim Heim-GP punktlos.

Das ostasiatische Land gilt als auf aufstrebende Wirtschaftsmacht. Da sind einerseits die pompösen Petronas Towers, sie sind 480 Meter hoch, aber wer durch die Dörfer 10 km neben der Rennstrecke fährt, sieht viel Elend, Slums, unglaubliche Armut, 50 Jahre alte Lkw mit qualmenden Dieselmotoren, Pkw ohne Türen und Fenster, in Mitteleuropa wären sie schon vor 30 Jahren aus dem Verkehr gezogen worden.

Dafür hat die Airline «AirAsia» von Ex-Caterham-Moto2-Teambesitzer Tony Fernandez einen riesigen eigenen Terminal-2 mit eigener Autobahnabfahrt, Hotel, Shopping Mall, Outlet-Centre und so weiter gebaut.

Vor vier Jahren hat nahe der Rennstrecke auch das neue Mövenpick Hotel eröffnet. Die meisten Teams haben damit wenig Freude: Es ist für muslimische Gäste konzipiert, es wird kein Alkohol verkauft. Die bedauernswerten Mechaniker müssen auf ihr Feierabendbier verzichten.

Und es gibt getrennte Swimming Pools für Frauen und Männer.

Seltsamer Schilder

Einmalig sind auch manche Verkehrsschilder auf der Autobahn: Ein Regenschirm, Regentropfen von oben, daneben ein motorisiertes Zweirad. Was mag das bedeuten?

Es bedeutet: Im Fall von Regen dürfen sich Zweiradkraftfahrer am Pannenstreifen unter der Brücke vor dem Regenguss, der meistens tropische Ausmaße annimmt, in Sicherheit bringen. Das hört sich ja liebenswürdig an.

Aber wenn es länger regnet, haben halt nicht alle bedauernswerten Zeitgenossen unter der schmalen Brücke Platz. Also parken die Fahrer mit ihren «Underbones», eine Art Mopeds mit Viertakt-Motoren mit bis 180 ccm, irgendwann auch auf der ersten Fahrspur. Und irgendwann auch auf der zweiten.

Und wenn der Regen gar nimmer aufhört, wird auch noch ein Teil der dritten Spur blockiert. Dann wird die Autobahn zum Zweiradparkplatz. Und zur Fußgängerzone. Lebensgefährlich?

Hauptsache, man bleibt trocken.

Auch die Sicherheitskontrollen am Airport nach der Passkontrolle haben ihre eigenen Standards. Das Handgepäck kann zwar nach der Passkontrolle durch einen Scanner geschoben. Es unterhalten sich dort sechs Aufpasser-innen sehr angeregt, die Monitore beachten sie nicht. Diesmal deuteten sie mir: 'Du musst nichts checken lassen, geh' weiter, das Handy kann in der Hosentasche bleiben.' Erst an den Gates wird gecheckt. Aber bis dorthin könnte ein Passagier alles Mögliche mitschleppen.

Ich lasse absichtlich mein Mobiltelefon in der Hosentasche, den Computer im Trolley, die Uhr am Handgelenk, den Gürtel in der Hose. Es piepste wie verrückt. Aber das kümmert niemanden.

Man muss den Terminal wechseln, wenn man mit Qatar Airways fliegt. Es existiert seit Eröffnung des Flughafens ein moderner Airport-Zug, der einst in lichten Höhen flott hin und her brauste. Aber er ist seit Jahren defekt.

Und die Regierung hat wegen der galoppierenden Korruption kein Geld, um ihn zu reparieren, sagte man mir. Also steigt man eine Etage runter und wartet geduldig auf einen der vielen überfüllten Shuttle-Busse.

Trotzdem: Wir kommen wieder. Malaysia ist immer eine Reise wert. 

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