Locatelli: Aron lässt uns von großen Dingen träumen
Über weite Strecken der Saison 2024 hatte der Wettstreit in der mittleren WM-Kategorie einen außergewöhnlich bunten Anstrich. Zwar gilt die Moto2-WM seit jeher als sehr ausgeglichen, doch in Sachen Wettbewerbsfähigkeit erlebte das Sprungbrett zur MotoGP einen neuen Höhepunkt.
So gewannen die ersten sieben Rennen des Jahres sechs verschiedene Piloten. Erst als der Rennkalender etwa bis zur Mitte abgearbeitet war, kam Struktur in das Gemetzel um Tausendstel. Dennoch hatten am Jahresende die ersten neun Fahrer der Meisterschaft, Ogura, Canet, Gonzalez, Garcia, Aldeguer, Lopez, Vietti, Dixon und Roberts mindestens einen Sieg in der Tasche. Selbst nach dem Aufstieg von Ai Ogura und Fermin Aldeguer sowie Somkiat Chantra, der es nicht einmal unter die besten Zehn der Serie brachte, wäre es eigentlich überflüssig, schon jetzt von einem Favoriten für 2025 zu sprechen.
Und doch gibt es ihn. Denn in der zweiten Saisonhälfte war Aron Canet, der Pilot mit der bemerkenswertesten Einzelbilanz. Als sich der Spanier ab dem Jubiläums-GP auf der britischen Insel komplett auf seine italienische Fantic-Mannschaft eingeschossen hatte, verwandelte sich der wechselhafte Canet zum konstanten Podiumskandidaten. Lediglich zwei erfolglose Auftritte vermasselten eine nahezu perfekte zweite Saisonhälfte mit sieben Podestplätzen.
Damit polierte Canet seine Bilanz derart auf, dass er bei den Siegen an Weltmeister Ogura vorbei und in Hinblick auf die Anzahl der Top-3-Resultate gleich zog. Andersherum, ohne die vier Ausfälle in Teil 1 der Saison, hätte sich der Japaner beim Kampf um den Titel warm anziehen können.
Roberto Locatelli, Teammanager der Moto2-Struktur bei Fantic Racing beschreibt die Saison als überaus erfolgreiches Kennenlernen: «Wir haben Aron Canet Ende 2023 bei den Testfahrten in Valencia kennengelernt – es war die erste Gelegenheit, mit ihm zusammenzuarbeiten. Wenn man jemanden im Fernsehen sieht, bekommt man einen Eindruck, aber erst, wenn man gemeinsam in der Garage sitzt, lernt man ihn wirklich kennen, und das braucht Zeit.»
Der ehemalige 125er-Champion erinnert sich: «Zur Mitte der Saison waren wir an einem Punkt angelangt, an dem wir ihn kannten und Aron Fantic Racing kannte. Als Teammanager kann ich sagen, dass wir seine Schwächen, seine Überzeugungen und seine enormen Stärken verstanden haben. Wir haben ihn dabei unterstützt, etwas Entscheidendes für eine WM-Saison zu finden: Beständigkeit – nicht nur bei den Ergebnissen, sondern auch im Arbeitsprozess. Das Jahr auf dem zweiten Platz abzuschließen, war ein großer Erfolg.»
Aus sportlicher Sicht konzentrierte sich Fantic Racing dabei auf Aron Canet. Denn während in anderen Spitzenteams beide Piloten um Siege fuhren (Aldeguer/Lopez, Ogura/Garcia) war Xavi Cardelus als Kollege von Canet ein Totalausfall – auf den Locatelli für 2025 reagierte. Mit dem Belgier Barry Baltus kommt ein größeres Moto2-Kaliber in die Fantic-Box.
Die Rolle als Favoritenteam nimmt der Italiener nach den Erfahrungen 2024 an, verliert aber dennoch nicht den Blick auf die Realität: «Ich würde nicht sagen, dass wir einen Vorteil haben, denn jede Meisterschaft ist eine neue Geschichte, aber wir haben Vertrauen in unsere Fähigkeiten. Es wird nicht einfacher, aber wir werden versuchen, mit Aron konstant um Podiumsplätze zu kämpfen. Sein außergewöhnliches Potenzial lässt uns von großen Dingen träumen. In dieser Saison waren seine Hauptkonkurrenten nicht immer so beständig, von denen, die in die MotoGP aufgestiegen sind, wie Aldeguer und Ogura, der verdientermaßen den Titel gewann, bis hin zu Dixon, Vietti und Gonzalez, die auch 2025 wichtige Konkurrenten sein werden. Wir sind bereit, um die Moto2-Weltmeisterschaft zu kämpfen.»
Aufgrund der hohen Leistungsdichte wird 2025 dennoch niemand auf den komplettes Alleingang nur eines Piloten setzen. Dazu kommen von unten erneut starke Rookies. Collin Veijer und insbesondere Moto3-Weltmeister David Alonso werden alles daran setzen, die Aron-Canet-Show zu verhindern.