Stefan Kirsch: «Bin wegen Jason niedergeschmettert»
Das sächsische CarXpert PrüstelGP-Team trat auch am vergangenen Wochenende bei der Dutch TT in Assen wieder nur mit dem Japaner Ryusei Yamanaka an. Erst im August in Spielberg (8. und 15. August) wird wieder ein zweiter Fahrer zum Team stoßen – der jetzt 19-jährige Tscheche Filip Salac, der schon 2019 für Prüstel fuhr und damals mit Platz 5 in Valencia überzeugte.
Stefan Kirsch, der Crew-Chief des in Mugello tragisch verunglückten Schweizers Jason Dupasquier (19), tut sich nach wie vor sehr schwer den Verlust seines Schützlings irgendwie zu verkraften. Das Unglück vor knapp vier Wochen ist dem 58-jährigen Haudegen sehr nahe gegangen. Nicht nur, weil die hoch talentierte Teenager das ganze Leben noch vor sich hatte. «Ich habe schon jüngere Rennfahrer betreut. Philipp Öttl war zum Beispiel viel jünger, als wir mit ihm in den Straßenrennsport eingestiegen sind. 2010 und 2011 sind wir mit ihm in der deutsche Meisterschaft gefahren, da war er 14 Jahre alt. 2012 sind wir mit ihm in die Spanische Moto3-Meisterschaft gegangen. 2013 sind wir in die Moto3-WM eingestiegen.»
In seiner langen Laufbahn als GP-Techniker hat Stefan Kirsch schon einige Unglücksfälle miterlebt, aber noch nie war er so direkt betroffen wie in Mugello 2021, als Dupasquier im Qualifying 2 stürzte und dann vom nachfolgenden Sasaki im Nackenbereich überfahren wurde.
Für die TV-Zuschauer daheim wurde rasch offenkundig, dass der Schweizer schwere Verletzungen erlitten hat. «Ich habe den Sturz am Bildschirm in der Box gar nicht gesehen», blickt Stefan Kirsch zurück. «Ich war beschäftigt, weil die Funktionäre eigentlich eine technische Kontrolle machen wollten. Ich habe mich gerade mit dem IRTA-Offiziellen unterhalten. Denn normal hätte unser Motorrad nach dem Q2 zur Kontrolle müssen. Als ich zurückgekommen bin, hat man mir erzählt: ‚Jason ist gestürzt.‘ Ich habe bloß noch ein Motorradl liegen gesehen, deshalb wusste ich nicht, wie heftig der Unfall gewesen ist. Ich habe nicht so genau gewusst, wie der Sturz zustande gekommen ist. Ja, mei, es war dann gleich eine Mordspanik. Wenn dann am Unfallort ewig nichts vorwärts geht und die Polizei beim Medical Centre steht, kann man sich vorstellen, dass die Verletzungen nicht gerade harmlos sind…»
Kirsch fuhr danach für das Prüstel-Team in die Klinik ins knapp 30 km entfernte Florenz. «Wir waren danach die ganze Zeit in der Klinik. In der Nacht sind Jasons Eltern aus der Schweiz angekommen. Ich bin dann zwei oder drei Stunden weggefahren. Aber nachher hat mir der Vater von Jason geschrieben, dass es sehr schlecht ausschaut. Deshalb bin ich um 5 Uhr in der Früh wieder hingefahren.»
Stefan Kirsch fällt es auch vier Wochen nach dem tragischen Unglück immer noch schwer, über diese extrem belastenden Stunden zu sprechen. Der Tod von Jason Duspasquier ist ihm verständlicherweise sehr nahe gegangen. Das war ein Grund, warum er bei Prüstel vorgeschlagen hat, Jason erst nach der Sommerpause zu ersetzen. Trotzdem lässt sich so ein fataler Unfall nicht in wenigen Wochen verarbeiten.
«Ich kann meinen Gefühlszustand nicht beschreiben», seufzt der renommierte Crew-Chief. «Wer hat schon einmal einen Menschen aus seinem engsten Umkreis verloren, der so nett und jung war und das ganze Leben vor sich hatte? Das macht den Unterschied. Wenn plötzlich ein junger Mensch, mit dem du eineinhalb Jahre lang zusammengearbeitet hast, nicht mehr da ist... Ich habe zu Jason nicht einfach ein Mechaniker-Verhältnis gehabt. Mit jungen Talenten in diesem Alter bespricht man auch andere Dinge. Ich will jetzt nicht gerade von einem Vater-Sohn-Verhältnis sprechen, das wäre völlig übertrieben. Aber zeitweise haben wir bei den Rennen viel Zeit miteinander verbracht, wobei der Jason für sein Alter sehr abgeklärt war. Er hattte ein sehr gutes Elternhaus, daheim in seiner Familie war alles absolut top. Die ganze Familie bis zu den Großeltern hat ihn leidenschaftlich unterstützt.»
Kirsch zeigt auch Verständnis für die MotoGP-Rennfahrer, die am Sonntag von der Schweigeminute unmittelbar in die Startaufstellung fahren mussten und den Tod des Rennfahrerkollegen natürlich nicht von einer Minute auf die andere verdrängen konnten.
Anderseits kann so ein globales Sportereignis mit weltweiten TV-Übertragungen nicht von einer Minute zur anderen abgesagt werden. Sogar bei der Euro Open mussten die Dänen nach dem Herzinfarkt ihres ums Leben kämpfenden Mitspielers Christian Eriksen weiterspielen, nachdem er am Spielfeldrand reanimiert worden war...
«Das Problem war, dass die Fahrer ganz kurzfristig mit der Todesnachricht und der Schweigeminute konfrontiert wurden», meint Kirsch. «Und dann sollen sie aufs Motorradl steigen, mit 300 km/h durch die Gegend fahren, sich konzentrieren und keinen Fehler machen. Das war das Problem.»
Den Vergleich mit der Fußball-WM und Eriksen lässt Stefan Kirsch nicht gelten. «Wenn ein Fußballspieler nach so einem Vorfall unkonzentriert ist, schießt er den Ball vielleicht neben das Tor hin. Aber er fährt nicht auf einer Rennstrecke mit 300 km/h vor einer Kurve geradeaus...»
Stefan Kirsch hat 1994 als GP-Mechaniker begonnen und schon 1995 und 1996 für Peter Öttl in der 125er-WM gearbeitet. «1994 habe ich in der WM im Eckl-Aprilia-125-Team zwei- oder dreimal ausgeholfen, denn eigentlich habe ich damals Alexander Folger in der Europameisterschaft betreut», erinnert sich Kirsch.
Danach kümmerte sich der Bayer um Mike Baldinger in der EM, er betreute ihn dann 1999 bei Yamaha-Kurz in die 250er-WM ein, doch Mike hat dann einen Oberschenkelhalsbruch erlitten, der zum Rücktritt führte.
2001 schraubte Kirsch in der WM an der Honda 250 von Katja Poensgen. Später kam es zu einem Wiedersehen mit Peter Öttl, als dessen Sohn Philipp er zuerst in der IDM und in der Spanischen CEV Moto3-Meisterschaft betreute, danach von 2012 bis Ende 2018 in der 125er-WM – mit dem Sieg 2018 in Jerez als Höhepunkt. Als Philipp für die Saison 2019 bei Tech3 für die Moto2-WM unterschrieb, musste sich Kirsch ein neues Team suchen.
Jetzt sucht Stefan Kirsch wieder neue Motivation und Begeisterung für den Rennsport. Das fällt ihm vorläufig schwer. Vielleicht wird ihn der GP-Alltag im August helfen, diese Phase der Trauer zu überwinden.
«Es ist ja auch nicht jeder Mensch gleich. Wenn einer sensibel ist... Ich habe deshalb volles Verständnis gehabt für die MotoGP-Fahrer in Mugello. Denen wurde die Todesnachricht eine Stunde vor dem Start auf den Kopf geplatscht. Dann solten sie – 'zack-bumm' – die Gedenkminute abhalten und sich nachher aufs Motorrad schwingen. Bei der Gedenkminute hat es mich stark erwischt... Ich bin da auch so... Ich war da total niedergeschmettert.»