Zum 70. des dreifachen Weltmeisters Pierpaolo Bianchi
Pierpaolo Bianchi
Pierpaolo Bianchi erblickte am 11. März 1952 in Rimini, dem Adria-Badeort in der italienischen Emilia Romagna schlechthin, das Licht der Welt. Unweit der Rennstrecke von Misano war das Interesse für den Motorradrennsport auch bei ihm schnell geweckt. Auch die damals beliebten Straßenrennkurse von Cesenatico oder Riccione lagen quasi direkt vor seiner Haustür.
In Cesenatico bestritt der nicht sonderlich groß gewachsene Pierpaolo Bianchi 1968 mit einer 60er-Guazzoni, die man gern auch «Mailänder Moskito» nannte, schließlich auch sein erstes Rennen.
Seine ersten größeren Erfolge feierte er bei Bergrennen. 1972 wurde er Minarelli-Werksfahrer und bedankte sich als Italienischer Bergmeister der kleinsten Hubraumklasse bis 50 ccm mit seinem ersten Titelgewinn.
Das überschattete WM-Debüt
Auch in den beiden darauffolgenden Jahren gewann Bianchi die Italienische Bergmeisterschaft bei den 50ern und debütierte zudem 1973 in der Motorrad-WM. Bevor sich an jenem unsäglichen 20. Mai beim «Großen Preis der Nationen» wegen des Massenunfalls zu Beginn des 250er-Rennens in der berühmt-berüchtigten «Curva Grande» Trauer über die Rennstrecke legte, fuhr Pierpaolo Bianchi mit seiner Tomos im Rennen der 50-ccm-Klasse auf Rang 14. Bei den 125ern raste er beim Sieg des späteren Weltmeisters Kent Andersson aus Schweden mit seiner Yamaha auf den vielbeachteten fünften Platz.
In den Massencrash im Rennen der Viertelliter-Klasse waren damals 15 Fahrer involviert, von denen der Italiener Renzo Pasolini und der Finne Jarno Saarinen ihr Leben verloren.
1974 wurde der Große Preis von Italien in Imola ausgetragen, wo Pierpaolo Bianchi wieder bei den 50ern sowie der Achtelliterklasse an den Start ging – diesmal auf Minarelli. Bei den 50ern sah er keine Zielflagge, doch bei den 125ern kam er hinter dem Spanier Angel Nieto und Kent Andersson auf den dritten Platz und feierte damit seinen ersten WM-Podestrang. In der Achtelliterklasse nahm er in jenem Jahr am Saisonende noch die Rennen im jugoslawischen Opatija sowie im Montjuich Park im spanischen Barcelona in Angriff, die er allerdings ebenfalls vorzeitig beenden musste.
1975 wechselte Pierpaolo Bianchi auf Morbidelli, denn hier erhielt er die Chance, die gesamte 125-ccm-Weltmeisterschaft zu bestreiten. Beim Saisonauftakt im französischen Le Castellet war er noch nicht mit von der Partie, und beim zweiten Saisonrennen im spanischen Jarama verfehlte er als Vierter noch die Podestplätze. Danach stand er allerdings auf dem Salzburgring, in Hockenheim, Imola, Assen, Spa-Francorchamps und Anderstorp jeweils hinter der Nummer 1 im Team, dem späteren Weltmeister Paolo Pileri, sechs Mal in Folge als Zweiter auf dem Treppchen und wurde hinter seinem Stallgefährten und Landsmann Vizeweltmeister.
Die ersten WM-Titel auf Morbidelli
Dann kam das Jahr 1976, in dem Morbidelli seine beiden Fahrer zusätzlich zur 125-ccm-Kategorie auch in einige WM-Läufe der Viertelliterklasse schickte. Während Pierpaolo Bianchi neben zwei Ausfällen und einer Nichtqualifikation nur einen 15. Platz schaffte und damit außerhalb der Punkte blieb, denn die gab es damals nur bis zu Rang zehn, kam Paolo Pileri zwar auch nur einmal ins Ziel, dabei in Spa aber gleich als Zweiter aufs Podest.
In der 125-ccm-Klasse hatte Pierpaolo Bianchi seinen Stallrivalen allerdings im Griff. Beim Saisonauftakt auf dem Salzburgring gewann er seinen ersten Grand Prix und feierte danach in Mugello, Opatija, Assen, Anderstorp, Imatra sowie beim Saisonfinale in Barcelona sechs weitere Siege. Damit holte er sich seinen ersten WM-Titel vor Angel Nieto und Paolo Pileri.
1977 fuhr inzwischen mehr als drei Viertel des Feldes Morbidelli, davon Pierpaolo Bianchi am besten. Von den zehn Saisonrennen gewann er sieben und stand zudem zwei weitere Male auf dem Siegerpodest. Damit hatte er seinen WM-Titel erfolgreich verteidigt.
Obwohl Morbidelli inzwischen in Form von MBA eine neue ernstzunehmende Konkurrenz hatte, wechselte Bianchi 1978 zurück zu Minarelli. MBA war kein klassischer Motorradhersteller, sondern ein auf den Rennsport spezialisiertes Unternehmen, welches 1975 von den Firmen Morbidelli und Benelli Armi gegründet wurde. Im Zwei-Mann-Werksteam von Minarelli schaffte er an der Seite von Angel Nieto vier Grand-Prix-Siege sowie einen dritten Platz, denen allerdings auch vier Ausfälle entgegenstanden. Somit musste er sich hinter der MBA-Speerspitze Eugenio Lazzarini sowie seinem spanischen Stallgefährten mit WM-Endrang drei begnügen.
In der darauffolgenden Saison hatte er wieder vier Nuller zu verzeichnen, gewann nur im schwedischen Karlskoga einen WM-Lauf und stand lediglich beim Saisonfinale in Le Mans noch einmal als Dritter auf dem Podest. Hinzu kamen nur zwei weitere Ergebnisse in den Punkterängen. Während Angel Nieto seinen neunten von insgesamt 13 WM-Titeln feierte, musste Pierpaolo Bianchi mit WM-Rang zehn vorliebnehmen.
Mit MBA zurück auf Erfolgskurs
1980 vertraute auch er auf eine MBA, die inzwischen die Vorherrschaft in der 125-ccm-Klasse übernommen hatte. Die ersten beiden Saisonrennen in Misano und Jarama konnte er mit der vom Bauunternehmer Emilio Sanvenero gesponserten MBA gleich für sich entscheiden. Danach holte er noch zwei zweite und einen dritten sowie zwei vierte Plätze, so dass er diesmal vor allem wegen seiner Konstanz seinen dritten WM-Titel gewann.
Wiederum ein Jahr später hatte Minarelli sein Engagement noch einmal verstärkt und gewann mit Angel Nieto und Loris Reggiani zehn von zwölf WM-Läufen. Zwar ohne Sieg, dafür aber mit sechs Podestplätzen bei drei Ausfällen wurde Pierpaolo Bianchi als WM-Dritter quasi «best oft he rest». Zudem rückte er fallweise mit einer in der Entwicklung befindlichen 250er-MBA aus.
Ab 1982 drückte mit Garelli die nächste italienische Motorradmarke der 50-ccm- und vor allem der 125-ccm-Weltmeisterschaft ihren Stempel auf. In der Achtelliterklasse führte an Angel Nieto und Eugenio Lazzarini kaum ein Weg vorbei. Pierpaolo Bianchi fuhr weiter eine Sanvenero, bei der es sich um eine als MBA bekannte Maschine handelte. Der italienische Gönner hatte die inzwischen geschlossene MBA-Rennabteilung übernommen, doch am Jahresende musste auch er unter der Schuldenlast das Handtuch werfen. Obwohl Pierpaolo Bianchi nicht bei allen Rennen an den Start ging und er «nur» fünf Podestplätze einfahren konnte, wurde er hinter den Garellis von Angel Nieto und Eugenio Lazzarini sowie dem venezolanischen MBA-Privatier Ivan Pallazzese WM-Vierter.
Ähnlich, jedoch weniger erfolgreich, verlief für ihn 1983. Mit der ihm noch zur Verfügung stehenden Sanvenero-MBA bestritt er wieder nur einen Teil der WM-Rennen, wurde dabei drei Mal Dritter sowie am Jahresende WM-Achter.
Ein Abstieg in Raten
In den folgenden Jahren trat er für verschiedene kleinere Hersteller bzw. als Privatfahrer an und konnte nur noch fallweise an seine großen Erfolge anknüpfen. So zum Beispiel 1984, als die 50-ccm-Klasse von den 80ern abgelöst wurde und er für die kleine portugiesische Motorradschmiede Casal an den Start ging. Diese legte ihre Rennsportaktivitäten in die Hände der Niederländer Jan Huberts und Jaap Voskamp, so dass die 80-ccm-Rennmaschine als Huvo-Casal in die Geschichte einging.
Für das 80er-Premierenjahr war allerdings Zündapp am ausgeschlafensten und dominierte mit dem Schweizer Stefan Dörflinger und dem Deutschen Hubert Abold die WM. Pierpaolo Bianchi startete zwar mit zwei Siegen am Saisonbeginn in Misano und in Jarama in die neue Ära, doch danach setzten sich doch die Zündapps durch, so dass dem kleinen Italiener als WM-Dritten mal wieder nur der Ehrenpreis «best oft he rest» blieb.
1985 forderte er mit einer privat eingesetzten MBA noch einmal Garelli in der 125-ccm-Klasse heraus, gewann den Saisonauftakt in Jarama sowie später in Mugello und in Assen und stand zudem drei weitere Male auf dem Podest. Kurz vor seinem vierten WM-Titelgewinn stehend, konnte er allerdings aufgrund einer Verletzung beim letzten Saisonrennen ausgerechnet in Misano nicht an den Start gehen und verlor den Titel mit 99 zu 109 Punkten schließlich an seinen Landsmann und Garelli-Treiber Fausto Gresini.
1986 war Bianchi noch einmal Doppelstarter. Er wurde bei den 125ern auf MBA sowie bei den 80ern auf einer Seel jeweils WM-Achter. Diesmal konnte er in Misano an den Start gehen und feierte dort im Rennen der nun kleinsten Hubraumklasse noch einmal einen GP-Sieg, seinen 27. und damit letzten seiner bemerkenswerten Karriere, womit er diesbezüglich auf einer Stufe mit Freddie Spencer, Eugenio Lazzarini und Klaus Enders steht.
Danach folgte leider sein Abstieg in Raten. Inzwischen 35-jährig, fuhr er 1987 meist als bester MBA-Pilot ins Ziel und in Donington als Zweiter sogar noch einmal aufs Podium. Im WM-Endklassement sprang für ihn nur Rang 7 heraus.
1988 versuchte er die neue 125er-Cagiva renntauglich zu machen, was mit WM-Endrang 19 nicht wirklich gelang. Sein bestes Einzelergebnis war Platz vier in Imola.
1989 fuhr er eine 125-ccm-Seel, mit der er sich in Jerez und in Misano nicht fürs Rennen qualifizierte. In Hockenheim qualifizierte er sich zwar, schied aber aus. Danach folgten auf dem Salzburg und in Assen zwei weitere Nichtqualifikationen, so dass der Große Preis von Deutschland sein letzter Grand Prix war, denn am Jahresende beendete Pierpaolo Bianchi seine überaus erfolgreiche Karriere.
Die sehenswerte Bilanz
Insgesamt hatte Bianchi 127 Grand Prix absolviert. Außerdem feierte er 1975, 1976 und 1980 in der Achtelliterklasse drei nationale Meisterschaften und fügte seinen drei Berg-Titeln aus den Jahren 1972, 1973 und 1974 in den Jahren 1984 und 1985 noch zwei weitere hinzu.
2003 wurde Pierpaolo Bianchi vom damaligen italienischen Staatspräsidenten Carlo Azeglio Ciampi der Titel «Commendatore dell'Ordine al Merito della Repubblica Italiana» verliehen, der italienische Verdienstorden, mit dem er sich mit zum Beispiel Giacomo Agostini, Carlo Ubbiali, Eugenio Lazzarini und Bruno Ruffo in guter Gesellschaft befindet.