MotoGP: Große Veränderungen bei KTM

Technik: Wohin steuert die MotoGP-Klasse?

Von Manuel Pecino
Chassis, Motor, Elektronik und Aerodynamik. In diesem exklusiven Interview verraten die Verantwortlichen von Honda, Yamaha, Ducati, Suzuki, Aprilia und KTM, in welche Richtung die Entwicklungsarbeit zukünftig gehen wird.

Saison für Saison eifern die Ingenieure in den Rennabteilungen der MotoGP-Hersteller Weiterentwicklung und Fortschritt nach, obwohl das technische Reglement immer restriktiver wird. Wir sprachen mit den Verantwortlichen jedes Herstellers, alle talentierte Ingenieure an der Spitze eines MotoGP-Projekts, und stellten ihnen dieselben fünf Fragen über die Zukunft der MotoGP-Klasse.

Kouichi Tsuji (Yamaha), Tetsuhiro Kuwata (Honda), Gigi Dall'Igna (Ducati), Ken Kawauchi (Suzuki), Romano Albesiano (Aprilia) und Sebastian Risse (KTM) beantworteten unsere Fragen.

Frage 1: In welche Richtung geht die Entwicklung im Hinblick auf die Aerodynamik nach dem Verbot der Winglets?

Kouichi Tsuji (Yamaha): Die Ingenieure versuchen weiter, einen Vorteil durch die Aerodynamik zu erzielen. Und wenn ihnen das gelingt, arbeiten sie daran, um ihn zu vergrößern. Das passierte im letzten Jahr mit den Wings. Nun hat die Entwicklungsarbeit ein einfaches Ziel: weniger Widerstand und mehr Fahrbarkeit.

Tetsuhiro Kuwata (Honda): Durch weniger «down force» [nach unten wirkende Kraft] wurde unsere Leistungsfähigkeit beeinträchtigt. Nun denkt jeder über Lösungen nach, um die verlorene Unterstützung durch die Aerodynamik wiederzuerlangen. Das ist ohne Winglets schwierig, aber als Ingenieure sind wir hier, um Lösungen zu finden. Wir brauchen Herausforderungen, das ist aber eine große.

Gigi Dall’Igna (Ducati): Ohne die Wings ist es nicht einfach. Es wird für uns unmöglich sein, dieselben aerodynamischen Kräfte herzustellen. Wir versuchen nun, die Balance, die wir hatten, wieder herzustellen, aber unsere Maschine bietet nun ganz klar weniger Stabilität. Wir suchen nach dem richtigen Kompromiss. Wir werden die Saison 2017 ziemlich sicher mit unserer 2016-Verkleidung ohne die Wings und dem Modell, das wir in Sepang testeten, beginnen.

Ken Kawauchi (Suzuki): Wir alle wissen, welches Level von aerodynamischer Unterstützung wir durch die Winglets erreichten. Nun suchen wir alle nach Wegen, um die verlorene «down force» auf andere Weise zu erzeugen. Es wird aber sehr schwierig, das wiederherzustellen, was die Wings schafften, aber wir müssen das Meiste aus dem herausholen, was die Regeln zulassen. Was die Agilität und Fahrbarkeit der Maschine betrifft, hat das Verschwinden der Wings das Verhalten der Suzuki nicht verändert.

Romano Albesiano (Aprilia): Über die Winglets wurde viel gesprochen. Natürlich kann niemand leugnen, dass sie im Hinblick auf die Stabilität ein Gewinn waren. Trotzdem glaube ich, dass ihre Effektivität überbewertet wurde. Der Beweis wurde erbracht, als Aleix unser Bike in Valencia ohne Wings fuhr und sofort gute Zeiten vorlegte. Nun versuchen manche Hersteller, mehr «down force» durch neue Verkleidungsdesigns zu erzeugen, andere setzen ihre Prioritäten nicht in diesem Bereich.

Sebastian Risse (KTM): Wir haben nie Wings eingesetzt. Wir haben begonnen, dieses Gebiet zu erkunden, aber wir haben schnell erfahren, dass sie verboten werden, darum verfolgten wir das nicht weiter. Ich bin gespannt, was unsere Gegner entwickeln werden, um den Verlust an «down force» zu kompensieren. Alle scheinen Ideen zu haben, aber wer wird das Risiko eingehen, die Saison mit einer revolutionären Verkleidung anzugehen ohne zu wissen, ob sie auf allen Strecken funktioniert? Hierbei kann keiner «Schritt für Schritt» vorgehen, da nur eine Evolution während der Saison erlaubt ist. Es ist kein Platz für Fehler.

Frage 2: Wo liegen die Prioritäten, wenn es um Motorkraft geht?

Kouichi Tsuji (Yamaha): Mehr Power bleibt eine immer wiederkehrende Aufgabe. Doch wir müssen auch in der Lage sein, sie zu nutzen und den bestmöglichen Charakter des Motors zu erhalten, denn er treibt das Motorrad schließlich an. Für uns ist der Motor auch eine Komponente des Chassis.

Tetsuhiro Kuwata (Honda): Obwohl es das für unsere Arbeit nicht einfacher macht, ist die Motorenentwicklung am einfachsten zu beschreiben. Ein kraftvoller Motor ist der Schlüssel für schnellere Beschleunigung und mehr Geschwindigkeit auf den Geraden. Das ist eine der besten Arten, um in einer besseren Zeit um eine Rennstrecke zu kommen. Natürlich muss die Power nutzbar sein, darum müssen wir sie gut mit der Elektronik steuern. Zudem darf die Power das Chassis nicht beeinträchtigen. Das ist die Balance, nach der wir suchen.

Gigi Dall’Igna (Ducati): Wir hören nie auf, den Motor weiterzuentwickeln. Unser Ziel ist es, dass er einfach zu handhaben ist und trotzdem die Power behält, die seine Stärke ist.

Ken Kawauchi (Suzuki): Seit dem letzten Jahr haben wir im unteren Drehzahlbereich gut aufgeholt. Unser Motor ist einfach zu handhaben und diese Charakteristik wollen wir auch beibehalten. Zur selben Zeit wollen wir die Power bei mittlerem und hohem Speed noch verbessern. Doch alles muss in der Balance bleiben, denn die Power im unteren Drehzahlbereich einfach zu erhöhen, würde zu viele Slides verursachen und wäre eine zu große Beanspruchung für die Traktionskontrolle. Das wollen wir nicht. Die Verbindung der Kraftentfaltung im unteren und mittleren Drehzahlbereich ist sehr wichtig.

Romano Albesiano (Aprilia): Wir versuchen, die Drehmomentkurve zu verbessern. Auf jeden Fall wissen wir sehr genau, dass Power essentiell ist, wenn wir gegen unsere Gegner kämpfen. Je schneller du auf den Geraden bist, umso besser.

Sebastian Risse (KTM): Die Power ist da. Was ihre Nutzbarkeit betrifft, haben wir gutes Feedback von unseren Fahrer erhalten. Wir haben nun zwei Fahrer, die in der MotoGP-Klasse zuvor nur die Yamaha fuhren. Die M1 hat den Ruf, eine sehr gute Kraftentfaltung zu haben und sehr benutzerfreundlich zu sein. Nun müssen sie sich an einen V4-Motor gewöhnen, der andere Charakteristika aufweist. Und wir müssen ebenfalls Fortschritte erzielen. Seit November wurde viel Arbeit erledigt. Pols und Bradleys Rückkehr auf das Bike mit seiner Gasannahme und diesem Drehmoment lief nicht allzu schlecht.

Frage 3: Seit dem letzten Jahr seid ihr alle gezwungen, dieselbe Elektronik, auch dieselbe Software, zu verwenden. Wie weit seid ihr mit ihrer Abstimmung und der Entwicklung gekommen?

Kouichi Tsuji (Yamaha): Aus der Sicht der Leistung dürfen keine großen Verbesserungen erwartet werden. Auf der anderen Seite müssen wir in Sachen Sicherheit noch eine Steigerung erreichen.

Tetsuhiro Kuwata (Honda): Wir sind noch nicht bei hundert Prozent. Obwohl wir schon bei 99 Prozent sind, müssen wir weiterarbeiten, um es noch besser zu machen.

Gigi Dall’Igna (Ducati): Wir können sie nicht weiterentwickeln. Wir sind nun alle auf demselben Level.

Ken Kawauchi (Suzuki): Das ist eine unendliche Geschichte. Ich würde sagen, dass wir sie nun zu 70 bis 80 Prozent nutzen können. Wir haben noch locker 20 Prozent Raum für Verbesserungen.

Romano Albesiano (Aprilia): Für mich gibt es noch Luft nach oben. Wir sind weit davon entfernt, alle Möglichkeiten dieser Software zu kennen. Es gibt tausende Parameter zu bedenken. Meiner Meinung nach wird es uns mindestens fünf Jahre kosten, um sie ganz zu erkunden.

Sebastian Risse (KTM): Diese Software ist ein großer Werkzeugkasten. Es sind nicht unbedingt alle vorhanden, die wir uns ausgesucht hätten. Ein paar sind nutzlos, ein paar fehlen, aber alle haben die gleichen Werkzeuge. Wir müssen also die vorhandenen Parameter optimieren und richtig platzieren, um Fehler zu vermeiden. Auch wenn die Software einheitlich ist, ist sie doch ziemlich komplex. Vielleicht sogar noch mehr, als wenn jeder seine eigene Software verwenden würde. Doch am Ende sind es immer die Besten, die es am besten machen.

Frage 4: Was das Chassis betrifft, habt ihr den Übergang von Bridgestone zu Michelin in Hinsicht auf die Balance schon gemeistert?

Kouichi Tsuji (Yamaha): Ein Motorrad an die Reifen anzupassen, ist ein unendlicher Prozess, denn das Ziel der Entwicklung ist, die Funktion und Performance dieser Reifen auf unterschiedlichen Strecken zu optimieren.

Tetsuhiro Kuwata (Honda): Das ist bei weitem das kleinste unserer Probleme. Ich denke, dass sich mittlerweile alle an den Wechsel des Reifenherstellers angepasst hat. Solange sich die Fahrer nicht mehr über das Verhalten der Maschine in Verbindung mit den Reifen beklagen...

Gigi Dall’Igna (Ducati): Wir streben in allen Bereichen nach Fortschritt. Jetzt sind wir in einer zufriedenstellenden Situation, obwohl uns das Winglet-Verbot zwingt, ein neues Gleichgewicht zu finden, weil die Maschine nun nicht mehr so viel Stabilität bietet.

Ken Kawauchi (Suzuki): Der Wechsel des Reifenherstellers hat uns nicht wirklich beeinflusst. Seit unserer MotoGP-Rückkehr hatten wir immer ein Motorrad auf einem hohen Level, was den Kurvenspeed betrifft, aber ein bisschen weniger am Kurvenausgang. Wir machten in diesem Bereich Fortschritte, aber das stand nicht wirklich mit den Reifen in Verbindung.

Romano Albesiano (Aprilia): Wir fanden eine gute Balance, die sich nicht besonders von der Basis unterscheidet, die wir zuvor hatten. Der Wechsel des Reifenherstellers ist am Ende mehr eine Frage des Fahrers und seines Gefühls als des Settings.

Sebastian Risse (KTM): Wir haben von Anfang an mit den Michelin-Reifen gearbeitet. Darum mussten wir nichts an einen neuen Reifenhersteller anpassen, unser Motorrad wurde mit diesen Reifen entwickelt. Im letzten Jahr hielten wir engen Kontakt mit Michelin, um herauszufinden, in welche Richtung sie arbeiten. Es war nicht immer einfach, die Tests mit Reifen zu absolvieren, die vielleicht nicht während der Grands Prix eingesetzt werden. Doch insgesamt sind wir happy mit der Situation, in der wir uns befinden.

Frage 5: Ist es trotz immer einschränkenderen technischen Vorschriften noch möglich, den Unterschied zu machen? Was ist eure Vision als Ingenieure?

Kouichi Tsuji (Yamaha): Was das technische Reglement betrifft, ist noch viel Spielraum. Zudem sind Einschränkungen manchmal gleichbedeutend mit Erfindungen. In jedem Fall sind wir mit den derzeitigen Vorschriften zufrieden.

Tetsuhiro Kuwata (Honda): Einschränkungen sind immer eine Herausforderung für einen Ingenieur. Es liegt an uns, Lösungen zu finden, um mit den Grenzen umzugehen, die uns gesetzt werden. Das ist eine interessante Aufgabe. Natürlich wollen wir mehr Freiheit, um weiter gehen zu können, aber wir müssen realistisch sein und an die Kosten denken. Diese Art von Regeln sorgte auch für das Engagement neuer Hersteller in diesem Sport. Das ist positiv.

Gigi Dall’Igna (Ducati): Wir haben noch immer Raum für Weiterentwicklungen. Obwohl die Regeln eine Einschränkung sind, bleiben Vorstellungskraft und Kreativität in diesem Sport sehr wichtig. Ich hoffe allerdings, dass es nicht zu viele neue Verbote geben wird, so wie bei den aerodynamischen Anhängseln. Es ist natürlich gut, dass wir entwickeln ohne exzessive Budgets zu beanspruchen.

Ken Kawauchi (Suzuki): Als Ingenieur würde ich die Regeln, was das Einfrieren der Entwicklung während der Saison betrifft, gerne lockern. Obwohl anerkannt werden muss, dass es so möglich ist, das Budget zu kontrollieren, hilft es den Ingenieuren bei ihrer Arbeit nicht gerade, da sie den Motor nach dem ersten Rennen nicht mehr weiterentwickeln können. Trotzdem müssen wir aber weiterarbeiten, um am Ende der Saison wieder bereit zu sein. Das ist nicht einfach. Ich hätte auch gerne mehr Testtage, um wirklich das Maximum zu erreichen. Doch ich spreche aus der Sicht eines Ingenieurs, nicht der eines Teammanagers.

Romano Albesiano (Aprilia): Wir haben es bei dieser Geschichte mit den aerodynamischen Anhängseln gesehen. Ingenieure schätzen die Verbote neuer technischer Lösungen nie. Doch das Reglement muss ein Kompromiss aus Kostenkontrolle und der Freiheit, neue Wege zu erkunden, sein. Ich denke, dass das derzeitige Reglement nicht so schlecht ist. Obwohl es Einschränkungen gibt, ist noch immer Raum für Innovation.

Sebastian Risse (KTM): Wir haben noch immer ziemlich viel Freiheit. Am Ende bleibt der Job derselbe: Wir müssen die Regeln studieren und die Grenzen definieren, um zu sehen, wie weit wir gehen können. Ich denke nicht, dass das schädlich für die Kreativität des Ingenieurs ist. Die Regeln sind die Grenzen, das ist alles.

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